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Credit Suisse bulletin, 1999/04

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Reform der Agrarpolitik: Wer der EU<br />

beitritt, wird in die gemeinsame Agrarmarktordnung<br />

eingebunden. Vor allem<br />

Polen als grosses Land mit einem starken<br />

Landwirtschaftssektor stellt diesbezüglich<br />

eine echte Herausforderung dar. Noch in<br />

den Sechzigerjahren machten die Agrarausgaben<br />

mehr als vier Fünftel des gemeinsamen<br />

Haushaltes der EU aus; diesen<br />

Anteil konnte sie schrittweise auf knapp<br />

die Hälfte reduzieren. Will die EU diese<br />

Anstrengungen mit der Osterweiterung<br />

nicht einfach zunichte machen, muss sie<br />

die Agrarpolitik zuerst reformieren.<br />

Dazu gehört, die Marktstützungspreise<br />

weiter zu senken und die Direktzahlungen<br />

für die Landwirtschaft anzuheben. Die<br />

Bauern sollen also einen geringeren Anreiz<br />

haben, die Produktion mit garantierten<br />

Preisen auszuweiten, um ihr Einkommen<br />

zu sichern – und Überschüsse zu produzieren,<br />

deren Verwertung die EU Milliarden<br />

von Euro kostet.<br />

BEITRITTS-KANDIDATEN IM VERGLEICH<br />

Land Fläche Bevölkerung BIP BIP/Kopf BIP/Kopf *<br />

(1000 km 2 ) (Mio.) (Mrd. EUR) (EUR) (EUR)<br />

Estland 45 1.5 4 2 800 7 000<br />

Polen 313 38.7 120 3 100 7 500<br />

Slowenien 20 2.0 16 8 100 13 000<br />

Tschechien 79 10.3 46 4 500 12 000<br />

Ungarn 93 10.1 40 3 900 8 900<br />

Zypern 6 0.7 11 14 500 14 300<br />

EU-15 3 236 373 7 207 19 219 18 140<br />

*Kaufkraftbereinigt<br />

Reform der Strukturpolitik: Die EU<br />

unterstützt wirtschaftlich weniger stark<br />

entwickelte Regionen. Damit will sie insbesondere<br />

die dortige Infrastruktur verbessern<br />

und das wirtschaftliche Wachstum<br />

fördern. Die in verschiedenen Programmen<br />

eingesetzten Gelder hat sie im Laufe<br />

der Jahre schrittweise aufgestockt – auf<br />

derzeit rund 35 Milliarden Euro. Spanien,<br />

Portugal, Griechenland und Irland sind<br />

die grössten Empfängerländer. Aber auch<br />

Regionen in den andern Mitgliedstaaten<br />

hängen an diesem Tropf.<br />

Mit der Erweiterung vergrössert sich<br />

der Empfängerkreis deutlich. Um die Zahlungen<br />

nicht aufzublähen, braucht es eine<br />

interne Umverteilung und einen effizienteren<br />

Einsatz der Gelder. Im Rahmen von<br />

Agenda 2000 will die EU die Strukturhilfen<br />

stärker auf die ärmsten Regionen<br />

konzentrieren. Auch beabsichtigt sie, die<br />

Mittel vermehrt dorthin fliessen zu lassen,<br />

wo Arbeitsplätze geschaffen werden.<br />

Finanzrahmen 2000–2006: Für die<br />

Beitrittskandidaten ist während der kommenden<br />

sieben Jahre eine «Heranführungshilfe»<br />

von insgesamt 75 Milliarden<br />

Euro vorgesehen. Den gemeinsamen<br />

Haushalt möchte die EU dadurch aber<br />

nicht aufblähen. Der Finanzrahmen von<br />

derzeit rund 100 Milliarden Euro pro Jahr<br />

darf höchstens im Gleichschritt mit dem<br />

Bruttoinlandprodukt wachsen. Die Frage<br />

nach der (Um-)Verteilung der Lasten<br />

lieferte deshalb einigen Diskussionsstoff.<br />

Deutschland forderte zunächst eine substanzielle<br />

Reduktion seiner Nettozahler-<br />

Position, doch letztlich brachte der erzielte<br />

politische Kompromiss nur wenige Verschiebungen.<br />

Institutioneller Umbau gefordert<br />

Die EU ist ein historisch gewachsenes Gebilde.<br />

Das gilt auch für deren Institutionen,<br />

die ursprünglich auf sechs Mitgliedstaaten<br />

«DIE AUFNAHME NEUER<br />

MITGLIEDSTAATEN<br />

WILL GUT VORBEREITET SEIN.»<br />

ausgelegt waren. Will die Gemeinschaft<br />

auch mit der Osterweiterung handlungsfähig<br />

bleiben, sind dringende institutionelle<br />

Reformen fällig. Vorgesehen waren diese<br />

schon bei der letzten Revision der «Verfassung»<br />

der EU, die als Amsterdamer<br />

Vertrag am 1. Mai 1<strong>99</strong>9 in Kraft trat. Doch<br />

in der letzten Verhandlungsnacht fehlte<br />

den fünfzehn Staats- und Regierungschefs<br />

der Mut zu diesem Schritt. Das<br />

Thema wollen sie nun an einer weiteren<br />

Regierungskonferenz aufnehmen. Dabei<br />

geht es um folgende vier Punkte:<br />

– Erstens ist die EU-Kommission mit<br />

20 Mitgliedern (Deutschland, Frankreich,<br />

Grossbritannien, Italien und Spanien je<br />

zwei Sitze, die übrigen Länder je ein Sitz)<br />

bereits heute recht schwerfällig. Im Interesse<br />

einer verbesserten Entscheidungsfähigkeit<br />

wäre eine Reduktion angezeigt –<br />

zumindest aber keine Aufstockung durch<br />

neue Länder.<br />

– Zweitens stösst auch das im Juni 1<strong>99</strong>9<br />

neu gewählte Europäische Parlament mit<br />

seinen derzeit 626 Mitgliedern an die<br />

Kapazitätsgrenze.<br />

– Drittens geht es um eine Neugewichtung<br />

der Stimmen im 15-köpfigen Rat (gebildet<br />

entweder durch die Fachminister<br />

oder die Staats- und Regierungschefs).<br />

Hier haben die kleineren Länder im Laufe<br />

der schrittweisen Erweiterung der EU an<br />

Einfluss gewonnen. So kommt beispielsweise<br />

200 000 Luxemburgern heute das<br />

gleiche Gewicht zu wie 6 Millionen Franzosen.<br />

Die Osterweiterung droht diesen<br />

Trend noch zu verschärfen.<br />

40 CREDIT SUISSE BULLETIN 4 |<strong>99</strong>

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