CARTE BLANCHE: BRUNO BOHLHALTER «BEIM LERNEN WACHSEN VISIONEN. DAS IST VOR ALLEM FÜR DIE ZWEITE HÄLFTE DER KARRIERE WICHTIG.» BRUNO BOHLHALTER, MITGLIED DER GESCHÄFTSLEITUNG « DER CREDIT SUISSE Heutzutage veraltet einmal Gelerntes sehr rasch. Es muss dauernd aufgefrischt und durch neues Wissen ergänzt werden. Die zunehmende Arbeitsteilung vergrössert den Grad der Spezialisierung. Ein Trend, der verstärkt wird durch den Zwang zur Fokussierung und zur Konzentration in den Märkten. Zudem fördern der vielerorts herrschende Verdrängungswettbewerb und die steigenden Ansprüche der Kapitalgeber diese Tendenzen. Was bedeutet das nun für den Einzelnen, was für die Mitarbeitenden ? Einerseits können sie profitieren von den erheblichen Investitionen, die der Staat und die Wirtschaft in die Ausbildungsstrukturen tätigen. Sie können hier grossen Nutzen ziehen, ohne eine besondere materielle Leistung zu erbringen. Andererseits wird ihnen viel abverlangt. Denken wir nur an den zeitlichen Einsatz: Weiterbildungen von zwei bis vier Wochen jährlich sind heute gang und gäbe. Ein grosser Teil davon geht zu Lasten der Musse und Familie. Die Fachausbildung ist eher auf die Vertiefung von Wissen ausgerichtet. Sie konzentriert sich auf Schwerpunkte einzelner Gebiete wie Kenntnisse von Produkten, Prozessen, Abläufen. Sie fördert die Spezialisierung. Das hat auch Nachteile: Die Fachausbildung schränkt den Blickwinkel ein und begünstigt das kurzfristige Handeln. Zudem läuft sie dem langfristigen Denken eher entgegen; es besteht die Gefahr der Abschottung. Gefragt ist heute jedoch das Gegenteil. Die globale Wirtschaft, die technologischen Entwicklungen, die zunehmende weltweite Arbeitsteilung stellen wohl sehr hohe Ansprüche an das fachliche Wissen – an die persönlichen Fähigkeiten aber ebenso. Ich denke dabei an die Veränderungs-, Ausdrucks-, Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit. Der berufliche Alltag verlangt je länger, je mehr Verständnis für andere Standpunkte, andere Meinungen und Kulturen. Diesen ‹soft factors›, weichen Faktoren, kommt in der Unternehmungsführung zunehmend grössere Bedeutung zu. Für viele Fachleute sind diese Faktoren sogar die entscheidenden. Dennoch finden sie in den traditionellen Ausbildungswegen wenig Raum. Nicht, dass sie vernachlässigt würden, aber die Ausbildung auf diesem Gebiet lässt sich nicht so einfach institutionalisieren. Sich in diesen Bereichen auszubilden zielt ja nicht auf ein Fach oder eine Sache, sondern auf die einzelne Persönlichkeit. Und Individuelles ist schwerer zu standardisieren. Also muss hier die Initiative vermehrt beim Arbeitnehmer liegen, während sie in der Fachausbildung eher vom Unternehmen aus geht. Beim Entwickeln der weichen Faktoren liegt die Betonung stärker auf Bildung als auf Ausbildung im engeren Sinn. Vom Einzelnen ist dafür eine offene Grundhaltung gefordert. Es braucht Neugier auf Dinge, die ausserhalb der beruflichen Spezialisierung liegen. Lernen motiviert und führt zu neuen Zielsetzungen und Visionen – besonders im persönlichen Bereich. Das macht Freude und ist vor allem für die zweite Hälfte einer beruflichen Karriere wichtig. Die Visionen der jungen Leute liegen in der Gestaltung der Zukunft und in den Karrierezielen. Die Älteren benötigen andere Visionen. Die Midlife Crisis ist oft nichts anderes als ein Mangel an Perspektiven. Vieles läuft auf eingefahrenen Geleisen. Das Betreten von Neuland wird zur Last. Hier ist Lernen oft der Schlüssel zum Erfolg. Form und Inhalt des Lernens sind dabei weniger entscheidend als die Tatsache, dass man es tut. Die Bandbreite dürfte vom Lesen geeigneter Bücher bis zum Absolvieren eines Studiums liegen. Besonders geisteswissenschaftliche Disziplinen eignen sich sehr gut, spricht man ihnen doch zu, dass sie das selbstständige und langfristige Denken fördern. Lernen ist dynamisch und führt immer weiter. Es heisst, dem Mitmenschen und sich selber begegnen und Verständnis entwickeln für die Sorgen der anderen. Lernen schafft Abstand zum Alltag und eröffnet persönliche Freiräume. Weil die Neigungen und Bedürfnisse so verschieden sind, gibt es dafür keine Patentrezepte. Jedermann muss seinen Weg finden. Ich selber studiere in meiner Ferien- und Freizeit Philosophie und Geschichte an der Universität Freiburg – dabei sammle ich spannende Erfahrungen. » CREDIT SUISSE BULLETIN 4 |<strong>99</strong>
OB NACH MANILA, RIO ODER BÜMPLIZ: HIER GEHT DIE POST AB. CREDIT SUISSE, POSTZENTRUM ÜETLIHOF, 2. UNTERGESCHOSS, 11.25 UHR.