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Credit Suisse bulletin, 1999/04

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CARTE BLANCHE:<br />

BRUNO BOHLHALTER<br />

«BEIM LERNEN WACHSEN VISIONEN.<br />

DAS IST VOR ALLEM FÜR DIE ZWEITE<br />

HÄLFTE DER KARRIERE WICHTIG.»<br />

BRUNO BOHLHALTER,<br />

MITGLIED DER GESCHÄFTSLEITUNG<br />

«<br />

DER CREDIT SUISSE<br />

Heutzutage veraltet einmal Gelerntes sehr<br />

rasch. Es muss dauernd aufgefrischt und<br />

durch neues Wissen ergänzt werden. Die<br />

zunehmende Arbeitsteilung vergrössert<br />

den Grad der Spezialisierung. Ein Trend,<br />

der verstärkt wird durch den Zwang zur<br />

Fokussierung und zur Konzentration in<br />

den Märkten. Zudem fördern der vielerorts<br />

herrschende Verdrängungswettbewerb<br />

und die steigenden Ansprüche der<br />

Kapitalgeber diese Tendenzen.<br />

Was bedeutet das nun für den Einzelnen,<br />

was für die Mitarbeitenden ? Einerseits<br />

können sie profitieren von den erheblichen<br />

Investitionen, die der Staat und die<br />

Wirtschaft in die Ausbildungsstrukturen<br />

tätigen. Sie können hier grossen Nutzen<br />

ziehen, ohne eine besondere materielle<br />

Leistung zu erbringen. Andererseits wird<br />

ihnen viel abverlangt. Denken wir nur an<br />

den zeitlichen Einsatz: Weiterbildungen<br />

von zwei bis vier Wochen jährlich sind heute<br />

gang und gäbe. Ein grosser Teil davon<br />

geht zu Lasten der Musse und Familie.<br />

Die Fachausbildung ist eher auf die<br />

Vertiefung von Wissen ausgerichtet. Sie<br />

konzentriert sich auf Schwerpunkte einzelner<br />

Gebiete wie Kenntnisse von Produkten,<br />

Prozessen, Abläufen. Sie fördert die<br />

Spezialisierung. Das hat auch Nachteile:<br />

Die Fachausbildung schränkt den Blickwinkel<br />

ein und begünstigt das kurzfristige<br />

Handeln. Zudem läuft sie dem langfristigen<br />

Denken eher entgegen; es besteht<br />

die Gefahr der Abschottung. Gefragt ist<br />

heute jedoch das Gegenteil. Die globale<br />

Wirtschaft, die technologischen Entwicklungen,<br />

die zunehmende weltweite Arbeitsteilung<br />

stellen wohl sehr hohe Ansprüche<br />

an das fachliche Wissen – an die persönlichen<br />

Fähigkeiten aber ebenso. Ich denke<br />

dabei an die Veränderungs-, Ausdrucks-,<br />

Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit.<br />

Der berufliche Alltag verlangt je länger,<br />

je mehr Verständnis für andere Standpunkte,<br />

andere Meinungen und Kulturen.<br />

Diesen ‹soft factors›, weichen Faktoren,<br />

kommt in der Unternehmungsführung zunehmend<br />

grössere Bedeutung zu. Für<br />

viele Fachleute sind diese Faktoren sogar<br />

die entscheidenden. Dennoch finden sie in<br />

den traditionellen Ausbildungswegen wenig<br />

Raum. Nicht, dass sie vernachlässigt<br />

würden, aber die Ausbildung auf diesem<br />

Gebiet lässt sich nicht so einfach institutionalisieren.<br />

Sich in diesen Bereichen<br />

auszubilden zielt ja nicht auf ein Fach oder<br />

eine Sache, sondern auf die einzelne Persönlichkeit.<br />

Und Individuelles ist schwerer<br />

zu standardisieren. Also muss hier die<br />

Initiative vermehrt beim Arbeitnehmer liegen,<br />

während sie in der Fachausbildung<br />

eher vom Unternehmen aus geht. Beim<br />

Entwickeln der weichen Faktoren liegt die<br />

Betonung stärker auf Bildung als auf Ausbildung<br />

im engeren Sinn.<br />

Vom Einzelnen ist dafür eine offene<br />

Grundhaltung gefordert. Es braucht Neugier<br />

auf Dinge, die ausserhalb der beruflichen<br />

Spezialisierung liegen. Lernen motiviert<br />

und führt zu neuen Zielsetzungen und<br />

Visionen – besonders im persönlichen<br />

Bereich. Das macht Freude und ist vor<br />

allem für die zweite Hälfte einer beruflichen<br />

Karriere wichtig. Die Visionen der<br />

jungen Leute liegen in der Gestaltung der<br />

Zukunft und in den Karrierezielen. Die<br />

Älteren benötigen andere Visionen. Die<br />

Midlife Crisis ist oft nichts anderes als ein<br />

Mangel an Perspektiven. Vieles läuft auf<br />

eingefahrenen Geleisen. Das Betreten<br />

von Neuland wird zur Last. Hier ist Lernen<br />

oft der Schlüssel zum Erfolg.<br />

Form und Inhalt des Lernens sind dabei<br />

weniger entscheidend als die Tatsache,<br />

dass man es tut. Die Bandbreite dürfte vom<br />

Lesen geeigneter Bücher bis zum Absolvieren<br />

eines Studiums liegen. Besonders<br />

geisteswissenschaftliche Disziplinen eignen<br />

sich sehr gut, spricht man ihnen doch<br />

zu, dass sie das selbstständige und langfristige<br />

Denken fördern.<br />

Lernen ist dynamisch und führt immer<br />

weiter. Es heisst, dem Mitmenschen und<br />

sich selber begegnen und Verständnis<br />

entwickeln für die Sorgen der anderen.<br />

Lernen schafft Abstand zum Alltag und<br />

eröffnet persönliche Freiräume. Weil die<br />

Neigungen und Bedürfnisse so verschieden<br />

sind, gibt es dafür keine Patentrezepte.<br />

Jedermann muss seinen Weg finden.<br />

Ich selber studiere in meiner Ferien- und<br />

Freizeit Philosophie und Geschichte an<br />

der Universität Freiburg – dabei sammle<br />

ich spannende Erfahrungen.<br />

»<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 4 |<strong>99</strong>

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