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Credit Suisse bulletin, 1999/04

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ECONOMIC RESEARCH<br />

– Viertens ist Einstimmigkeit bei den Entscheiden<br />

umso schwieriger zu erreichen,<br />

je grösser die Gemeinschaft ist. Bereits<br />

mit der Realisierung des gemeinsamen<br />

Binnenmarktes hat man in vielen Bereichen<br />

zum Prinzip der qualifizierten Mehrheit<br />

gewechselt (62 von 87 Stimmen).<br />

Ob die EU den Mut hat, dies auf weitere<br />

Gebiete auszudehnen – beispielsweise die<br />

Steuerpolitik –, ist noch völlig offen.<br />

Die Kandidaten stehen Schlange<br />

Wie rasch es der EU gelingt, ihre eigenen<br />

Reformen durchzusetzen, um erweiterungsfähig<br />

zu bleiben, ist entscheidend für<br />

den Fahrplan der Osterweiterung. Derzeit<br />

Beitritt bedeutet Quantensprung<br />

Nun muss aber nicht nur die EU gerüstet<br />

sein, die Kandidaten aufzunehmen. Diese<br />

selbst haben eine Reihe von Voraussetzungen<br />

zu erfüllen. Zunächst achtet die<br />

EU auf die institutionelle Stabilität. Eine<br />

demokratische und rechtsstaatliche Ordnung,<br />

die Wahrung der Menschenrechte<br />

sowie die Achtung und der Schutz von<br />

Minderheiten sind eine Grundvoraussetzung.<br />

Ausserdem muss eine funktionsfähige<br />

Marktwirtschaft etabliert sein. Seit<br />

dem Ende der Planwirtschaft haben die<br />

Länder diesbezüglich zwar grosse Fortschritte<br />

erzielt. Doch müssen sie dereinst<br />

auch in der Lage sein, dem Wettbewerbsdruck<br />

innerhalb der EU standzuhalten.<br />

Und schliesslich haben die Beitrittskandidaten<br />

die gesamte Rechtsordnung der<br />

EU – den sogenannten «acquis communautaire»<br />

– zu übernehmen. Den Ländern<br />

kommt zugute, dass sie bei ihrem Neubeginn<br />

schon früh und in vielen Bereichen<br />

EU-REFORM: AUCH DIE SCHWEIZ IST BETROFFEN<br />

– Die Vertiefung des EU-Binnenmarktes kommt den hiesigen Unternehmen zugute. Mit den bilateralen<br />

Verträgen könnten sie künftig diesen Wirtschaftsraum vom Standort Schweiz aus besser erschliessen.<br />

– Mit der Perspektive auf einen EU-Beitritt gewinnen die Länder Mittel- und Osteuropas für Schweizer<br />

Firmen an Attraktivität. Sie sind dann nicht mehr nur als Produktionsstandort interessant, sondern auch als<br />

Eingangstor in die Europäische Union.<br />

– Wenn die EU im Rahmen der Reform ihrer Agrarpolitik die Preise weiter senkt, muss auch die Schweiz<br />

nachziehen. Nur so wird unsere Landwirtschaft in der Lage sein, die neuen Exportchancen wirklich zu<br />

nutzen (siehe auch Beitrag auf S. 34ff).<br />

– Die mit der EU ausgehandelte Personenfreizügigkeit wird dereinst auch bezüglich der neuen EU-Länder<br />

gelten. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Schweiz nach sieben Jahren nochmals über den Vertrag<br />

abstimmen kann und die volle Freizügigkeit erst nach zwölf Jahren gilt – also nicht vor 2013.<br />

– Je stärker sich die Gemeinschaft erweitert, desto schwieriger wird es für die Schweiz, mit ihr zu verhandeln<br />

– ob im Hinblick auf vertiefte bilaterale Beziehungen oder einen längerfristigen EU-Beitritt. Schon beim<br />

jetzigen bilateralen Vertragswerk hat sich gezeigt, dass die Schweiz eigentlich nicht mit der EU, sondern<br />

faktisch mit 15 Mitgliedstaaten verhandeln musste.<br />

sind in Brüssel 14 Beitrittsgesuche hängig.<br />

Den Kopf der Warteschlange bilden Estland,<br />

Polen, Slowenien, Tschechien, Ungarn<br />

und Zypern. Mit ihnen laufen seit<br />

April 1<strong>99</strong>8 konkrete Beitrittsverhandlungen.<br />

Bulgarien, Lettland, Litauen, Rumänien<br />

und die Slowakei bilden den Mittelteil;<br />

sie können bei entsprechenden Fortschritten<br />

zur Kopfgruppe aufschliessen. Die drei<br />

Gesuche von Malta, der Schweiz und der<br />

Türkei sind auf Eis gelegt.<br />

Die Verhandlungen mit der Kopfgruppe<br />

laufen zwar weitgehend parallel. Es ist<br />

aber nicht damit zu rechnen, dass automatisch<br />

alle sechs Länder gleichzeitig<br />

Aufnahme finden. Die EU nimmt auf<br />

den unterschiedlichen Entwicklungsstand<br />

Rücksicht. Sie hat bewusst auch keine<br />

feste Terminzusage gemacht. Die Beitrittskandidaten<br />

selber haben aber ganz<br />

konkrete Vorstellungen. Besonders selbstsicher<br />

tritt Polen auf, das eine Mitgliedschaft<br />

ab 2003 anstrebt.<br />

Die Fläche der EU wächst durch eine<br />

erste Osterweiterung um 17 Prozent (siehe<br />

Tabelle S. 40). Im gleichen Ausmass<br />

nimmt die Bevölkerung zu. Hingegen<br />

steigt das Bruttoinlandprodukt lediglich<br />

um vier Prozent, weil die sechs Beitrittskandidaten<br />

im Vergleich zum EU-Durchschnitt<br />

einen deutlich tieferen Wohlstand<br />

pro Kopf aufweisen. Berücksichtigt man<br />

allerdings die Kaufkraft, dann verringern<br />

sich die Unterschiede recht markant.<br />

die Gesetzgebung der EU zum Vorbild<br />

genommen haben.<br />

Die Annäherung an die EU findet also<br />

nicht erst seit der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen<br />

statt. Brüssel hat in den<br />

Neunzigerjahren die Beziehungen zu den<br />

Ländern Mittel- und Osteuropas schrittweise<br />

vertieft. Deren Aufnahme als Mitglieder<br />

ist jedoch ein echter Quantensprung.<br />

Er will gut vorbereitet sein.<br />

FRITZ STAHEL, TELEFON 01 333 32 84<br />

FRITZ.STAHEL@CREDIT-SUISSE.CH<br />

41<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 4 |<strong>99</strong>

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