TEQUILA Von wegen Party-Plörre Schluss mit Salz, Zitrone und Wurm! Denn eigentlich ist Tequila ein edler Tropfen mit jahrtausendealter Tradition 80 | <strong>KACHEN</strong> | 2 / <strong>2018</strong>
REPORTAGE n TEXT SUSANNE JASPERS Jede Spritnase hat das wohl schon einmal erlebt – und danach hoffentlich nie wieder: Ein nettes, geselliges Beisammensein, bei dem plötzlich jemand auf die Idee kommt, es mal so richtig krachen zu lassen und Tequila zu kippen. Traditionell geht das dann so: Salz auf den Handrücken, abschlecken, ein Gläschen Tequila auf ex und danach in ein Stück Zitrone beißen. Nicht nur die Säure der Zitrusfrucht sorgt dafür, dass man nach dem Genuss dieser zweifelhaften Delikatesse das Gesicht verzieht. Der dicke Kopf am nächsten Morgen trägt ein Übriges dazu bei. Schließlich bleibt es bei einem derartigen Umtrunk selten bei einer Runde. Besonders beliebt bei Besäufnissen ist auch die Variante „Tequila Boom Boom“, bei der … Halt! Stopp! Schluss mit den Klischees! Höchste Zeit, endlich mal ein gutes Wort für das mexikanische Nationalgetränk einzulegen. Schnäpschen aus dem Weltall? Das Gewächs, aus dem Tequila gewonnen wird, die blaue Agave oder Agave tequilana, ist in Mexiko seit über 8.000 Jahren bekannt. Da die alten Azteken glaubten, bei den Pflanzen handele es sich um herabgefallene Sterne, veranstalteten sie damit keine Saufgelage, sondern religiöse Rituale. Außerdem ließ sich das Blümchen ziemlich vielfältig verwenden. Aus den Fasern konnte man Stoffe weben, das Fruchtfleisch war essbar und die Stacheln wurden als Nadeln genutzt. Nun gut, offen gestanden kam man schon damals auf den Trichter mit der beschwipsenden Wirkung, auch wenn das Rauschmittel zunächst nur von Priestern und Kriegern genossen werden durfte: die Pulque. Vom Göttertrank zum Kolonialisten-Gebräu Als die trinkfreudigen Spanier Anfang des 16. Jahrhunderts über das Land herfielen, sah die Sache schon anders aus. Begeistert machten sich die Eroberer ans Destillieren – und stellten fest, dass das Resultat kein bisschen schmeckte. Irgendwann fanden sie dann heraus, dass man die Pflanzen vor der Weiterverarbeitung garen musste. Dank dieser glorreichen Erkenntnis ließ die Pulque sich fortan zu einem Getränk namens Vino mezcal destillieren. Na, klingelt da bei dem Wörtchen mezcal was? Genau! Aber dazu später. Leider gefiel es der spanischen Kolonialregierung überhaupt nicht, dass ihre Untertanen so eifrig Schnaps herstellten und auch konsumierten, so dass der Vino mezcal bald verboten wurde. Selbstredend braute und soff man dennoch munter weiter, von nun an eben heimlich. Bis im Jahr 1794 König Carlos IV. erstmalig einem Mexikaner die kommerzielle Produktion von Mezcal erlaubte. Por supuesto, señor. Schließlich hatte der schlaue Monarch vorher noch schnell eine Steuer drauf erhoben. Tja, und jener erste offizielle Mezcal-Produzent wohnte in einer Ortschaft namens … Tequila. Die Sache mit dem Wurm Folglich handelt es sich bei dem nach seiner Heimatstadt benannten Tequila also gar nicht um die Mutter aller Agavenschnäpse, sondern vielmehr um einen kleinen Bruder des Mezcal. Den gibt es übrigens noch in etlichen weiteren, weit weniger bekannten Varianten. Und weil wir gerade wieder beim Mezcal sind: Die Sache mit dem Wurm ist in gleich mehrerlei Hinsicht absoluter Unsinn. Zunächst einmal handelt es sich bei dem berüchtigten Wurm in Wirklichkeit überhaupt nicht um einen Wurm, sondern um eine Raupe. Die Schmetterlingsart Hypopta agavis fand Agavenblätter in den 1950er Jahren nämlich ziemlich lecker. Zufällig bemerkte ein Meczal-Erzeuger, dass das Getränk ein bisschen anders schmeckte, wenn er von Raupen befallene Blätter verwendete, statt unangeknabberte. So verfiel er auf den Marketinggag, eine Raupe in die Flaschen zu geben. Leider aber (liebe Schnapsnasen und Freunde stimulierender Rauschmittel, ihr müsst jetzt ganz tapfer sein) hat Mezcal trotz gleichklingenden Namens überhaupt nichts mit dem Halluzinogen Meskalin zu tun. Und auch der Verzehr der Raupe macht entgegen der Legende nicht high. Sie ist einfach nur ein fieser Werbetrick für noch fiesere Partyspiele und hat in einem ordentlichen Mezcal nichts verloren. Bloß nicht aus dem Schnapsglas! Der wahre Genießer trinkt seinen Mezcal in winzigen Schlucken aus dem Schwenker oder dem Stielglas, statt ihn mit dem Schnapsbecher wegzuexen. Es gibt in Holzfässern gereifte Varianten und solche, die nach Honig oder Wildkräutern schmecken. Doch all diese Nuancen erschließen sich natürlich nur, wenn man das Salz und die Zitrone weglässt. Bei dieser Unsitte handelt es sich übrigens um die sogenannte „amerikanische Variante“, die in erster Linie dazu dient, den scharfen Geschmack bei Agavenschnaps schlechter Qualität zu übertünchen. Der echte Mexikaner trinkt ihn zur Not mit Sangrita – aber am liebsten eben pur. <strong>2018</strong> / 2 | <strong>KACHEN</strong> | 81