28.07.2023 Aufrufe

Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2023

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Barbara Frey Heute, da die Natur weitgehend zerstört<br />

ist, gibt es eine sehr intensive Tierforschung, was eine<br />

seltsame Ironie hat. Man zählt gerne zu den »intelligenten<br />

Tieren« jene, die über Erinnerungsfähigkeit verfügen, ein<br />

Gedächtnis haben wie zum Beispiel Primaten, Elefanten,<br />

Ratten, Oktopusse. Was heißt das umgekehrt für die<br />

Natur des Menschen, <strong>der</strong> ja ein sich erinnerndes Tier ist?<br />

Was bedeutet Erinnerung in eurer Arbeit?<br />

Mats Staub Ein Weg ins Innere, im Wortsinn.<br />

Michael Loeken Erinnerung ist eine Begleiterscheinung<br />

des Suchens und Erforschens. Was gibt es zu<br />

entdecken? Zum Beispiel die Vogelbeobachter, die<br />

wir fotografieren: Aus <strong>der</strong> Beobachtung <strong>der</strong> Vögel erinnern<br />

sich die Leute an ihre eigene Situation. Haben<br />

die Vögel auch Spaß? Was machen sie eigentlich da?<br />

Ulrike Franke Erinnern ist Unberechenbarkeit: Plötzlich<br />

kommt etwas hoch in einem, ausgelöst durch einen<br />

Geruch o<strong>der</strong> einen Lichtreflex. Das ist verbunden<br />

mit Emotionen, fröhlichen o<strong>der</strong> melancholischen. Die<br />

Gier nach Erinnerung ist auch <strong>der</strong> Antrieb für das,<br />

was noch kommt. Man ist hin- und hergerissen.<br />

Michael Loeken Erinnerung geht oft mit Verdrängung<br />

einher.<br />

Der Geist von Hamlets ermordetem Vater bittet seinen<br />

Sohn nicht nur um Rache – er bittet ihn eindringlich darum,<br />

sich an ihn zu erinnern: »Remember me« (»Gedenke<br />

mein«). Daraus entsteht bei Hamlet diese merkwürdige<br />

Tathemmung.<br />

MS Es ist ja auch gut, sich genau zu überlegen, was<br />

<strong>der</strong> nächste Schritt sein kann. Da kommt die eigene<br />

Entscheidung ins Spiel. Unsere Arbeit ist das Innehalten<br />

und Beiseitetreten.<br />

ML Bei bestimmten unserer Projekte merken wir, dass<br />

man sich nicht erinnern will. Es sollen neue Projekte her,<br />

neue Landschaften im Ruhrgebiet entstehen. Alte<br />

Gebäude müssen weg – und umgekehrt pflegt man<br />

aber richtige Kathedralen <strong>der</strong> Vergangenheit. In unserer<br />

Arbeit gibt es aber keine Nostalgie, eher Melancholie.<br />

Nichts an eurer Arbeit wirkt nostalgisch o<strong>der</strong> gar romantisch.<br />

Das Lakonische dominiert als Grundgestus.<br />

UF Es geht um den Moment an sich. Da stößt man auf<br />

das bloße Sein. Ein Blick, eine Geste, hier und jetzt.<br />

Da verbirgt sich die Lakonie.<br />

ML Wir öffnen uns <strong>der</strong> ganzen Bandbreite <strong>der</strong> Gefühle,<br />

die wir erfassen wollen. Humor ist z. B. wichtig! Ein<br />

Humor, <strong>der</strong> Menschen nicht vorführt. Man muss gemeinsam<br />

lachen.<br />

MS Die Gefühle muss man aufkommen und weiterziehen<br />

lassen. Das ist das Lakonische in meiner Arbeit.<br />

Im Theater gibt es überhaupt nur den Moment. Nichts<br />

Bleibendes. Wie nähert ihr euch in euren Filmen dem<br />

Individuum, um es optimal zum Erzählen zu motivieren?<br />

Wie entsteht diese Unmittelbarkeit, die wir beim Anschauen<br />

empfinden?<br />

UF Im Theater muss <strong>der</strong> magische Moment reproduzierbar<br />

sein. Beim Filmemachen gibt es nur die absolute<br />

Einmaligkeit. Aber bloß nichts festzurren im Vorhinein!<br />

Die Menschen müssen auch unsere eigenen<br />

Sorgen und Ängste spüren, es gibt kein einseitiges<br />

Nehmen unsererseits. Nur durch Vertrauen entsteht<br />

so etwas wie Wahrhaftigkeit.<br />

ML Man muss die eigenen Schwächen zeigen, das<br />

schafft Normalität.<br />

MS Ich sage den Menschen immer, ich führe keine<br />

Interviews, son<strong>der</strong>n wir kommen miteinan<strong>der</strong> ins<br />

Gespräch. Ich zeige mich auch, bin präsent. Im Unterschied<br />

zu euch, Ulrike und Michael, muss ich aber etwas<br />

erzeugen, das absolut nicht natürlich ist. Bei 21<br />

– Erinnerungen ans Erwachsenwerden z. B. ist es eine<br />

Ulrike Franke und Michael Loeken<br />

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