Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2023
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Wie kaum ein an<strong>der</strong>es soziales Konstrukt ist »Männlichkeit« zu einem Kampfplatz zwischen<br />
Bewahrung von konservativen Vorstellungen und Vorherrschaften sowie kritisch emanzipierten<br />
Infragestellungen geworden, <strong>der</strong> ein Nachdenken darüber an den Rand <strong>der</strong> Unmöglichkeit<br />
gebracht hat. Doch was bedeutet Männlichkeit heute und mit welchen Vorbil<strong>der</strong>n –<br />
zum Nach ahmen o<strong>der</strong> Angreifen – wachsen Jugendliche heute auf? Für das Projekt von Marco<br />
Layera und La Re-sentida La posibilidad de la ternura wurden in einem halbjährigen Prozess<br />
in Santiago de Chile Workshops mit verschiedenen männlich gelesenen Jugendlichen<br />
mit unterschiedlichen sozialen Herkünften durchgeführt. Dabei fiel auf, wie schnell sich<br />
geeinigt wurde, wenn es darum ging, das toxische, maskuline, patriarchale Negativbild von<br />
Männlichkeit zu beschreiben, und wie schwer es im Gegenzug ist, ein positives Bild zu<br />
skizzieren. Wir veröffentlichen hier einige <strong>der</strong> Antworten auf die Frage:<br />
»Welchen Mann in deinem Leben würdest du als positives Modell für dein Bild von Männlichkeit<br />
beschreiben?«<br />
Matías<br />
José Araya, mein Theaterlehrer. Von ihm habe ich viel<br />
gelernt. Er ist ein sehr spiritueller Mensch, <strong>der</strong> stark<br />
mit <strong>der</strong> Natur verbunden ist. José ist eine Person, die<br />
nicht auf Kämpfe aus ist, und dafür bewun<strong>der</strong>e ich<br />
ihn sehr. Er ist ein Mensch, <strong>der</strong> sich mit <strong>der</strong> Seele<br />
an<strong>der</strong>er verbindet, er sucht stets das Gespräch und<br />
ist sich bewusst, dass es auf <strong>der</strong> Welt nicht nur Menschen<br />
gibt, son<strong>der</strong>n viele an<strong>der</strong>e Lebewesen, die ihr<br />
Leben gelassen haben, damit wir hier sein können,<br />
und wir deshalb <strong>der</strong> Natur dankbar sein müssen.<br />
Marcos<br />
Ein Vorbild für mich ist Paolo, <strong>der</strong> Freund meiner<br />
Mutter. In letzter Zeit hat er mir viel beigebracht. Es<br />
ist unglaublich, wie jemand, <strong>der</strong> dich kaum kennt,<br />
so viel Ruhe in dein Leben bringen kann. Paolo versucht<br />
immer, die Dinge ruhig anzugehen und dabei<br />
an das Wohl aller zu denken, auch wenn ich denke,<br />
dass ihm diese Anstrengung manchmal zu schaffen<br />
macht. Ich möchte ein Mensch sein, <strong>der</strong> innerlich so<br />
ruhig ist wie er.<br />
Dimitri<br />
Der Mann, <strong>der</strong> mich inspiriert hat, ist Fe<strong>der</strong>ico Moura:<br />
Er ist sensibel, ruhig, kann mit Emotionen umgehen,<br />
er spielt in zwei Bands, er respektiert seine Mitmenschen,<br />
er lebte schon in den 80er-Jahren offen seine<br />
Homosexualität und er schrieb ein Lied darüber: Sin<br />
disfraz (dt: Ohne Verkleidung). Er schreibt Gedichte und<br />
hat eine sozialistische Grundeinstellung. Er ist lei<strong>der</strong><br />
vor 24 Jahren an AIDS gestorben.<br />
Aukan<br />
Mein Bru<strong>der</strong> Alexis ist mir in vielerlei Hinsicht sehr<br />
ähnlich, wir teilen viele Schwächen, aber er hat es geschafft,<br />
sie zu überwinden. Alexis ist sehr ehrlich und<br />
hat kein Problem damit, dir die Wahrheit zu sagen, denn<br />
er nimmt kein Blatt vor den Mund. Seine innere Logik<br />
ist beeindruckend: Er ist, was er sagt, und er macht,<br />
was er sagt. So will ich auch sein. Ich bewun<strong>der</strong>e ihn,<br />
seit ich klein war, als Kind war er mein Superheld.<br />
David<br />
Mein Vorbild ist mein Onkel Facundo. Ich bewun<strong>der</strong>e<br />
ihn, er wurde in einer armen Familie geboren, aber hat<br />
es dank harter Arbeit geschafft, ein Stipendium zu erhalten,<br />
um zu studieren. Er ist heute Informatiker, reist<br />
auf <strong>der</strong> ganzen Welt herum und lebt in Australien. Ich<br />
bewun<strong>der</strong>e ihn für alles, was er erreicht hat, und für<br />
seine schöne Beziehung zu seiner Partnerin. Er unternimmt<br />
viel, hat aber trotzdem immer Zeit für seine<br />
Freunde, liest und macht viel Sport. Obwohl er viel arbeitet,<br />
hat er Zeit, sich weiterzubilden. Facundo ist ein<br />
sehr toller und beson<strong>der</strong>er Mensch. Er ist wirklich eine<br />
Person, von <strong>der</strong> ich sagen kann: Ich wäre gern wie er.<br />
Daniel<br />
Ich habe mich für Mauricio entschieden, den Zwillingsbru<strong>der</strong><br />
meines Vaters. Ich finde, dass mein Onkel<br />
ein Beispiel für Standhaftigkeit und Mut ist, weil er<br />
Teil <strong>der</strong> LGBTQ+-Community ist, dies aber lange Zeit<br />
nicht offen gelebt hat und viel Schweres durchmachen<br />
musste. Trotzdem hat er es geschafft, zu sagen,<br />
wer er war und was er fühlte – auch gegenüber seinen<br />
Eltern, was zu seiner Zeit sehr schwer war. Außerdem<br />
bewun<strong>der</strong>e ich ihn für sein Wissen, er hat so<br />
viele Wissenfel<strong>der</strong>: Gärtnern, zeitgenössischen Tanz,<br />
Landschaftsbau … Ich wusste seine Aufmerksamkeit<br />
immer zu schätzen, die er mir als Kind schenkte. Er<br />
ging mit mir Kleidung kaufen o<strong>der</strong> nahm mich mit zu<br />
kulturellen Veranstaltungen, einfach nur, um Zeit mit<br />
mir zu verbringen – etwas, das mein Vater nie wirklich<br />
gemacht hat. Und Maurico arbeitet viel an sich selbst,<br />
meditiert und reflektiert. Eine solche Entwicklung <strong>der</strong><br />
Persönlichkeit hätte ich auch gern.<br />
Camilo<br />
Als Beispiele kann ich nur Frauen nennen. Denn ich<br />
habe nach wie vor das Gefühl, dass Frauen viel freier<br />
sind als Männer in <strong>der</strong> Art und Weise, wie sie sich<br />
ausdrücken, wie sie denken und wie sie mit Kin<strong>der</strong>n<br />
umgehen.<br />
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