Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2023
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Andreas Karlaganis Bei Lektüre des Sommernachtstraums<br />
fällt auf, wie viele Themen darin verhandelt werden,<br />
die uns heute auch bewegen, von <strong>der</strong> Klima kata strophe<br />
bis zur Triggerwarnung im Theater. Und es ist ein zeitloses<br />
Stück über die Verwandlung.<br />
Christina Wald Ein Sommernachtstraum wird unterschätzt,<br />
wenn man denkt, er sei eine liebliche Komödie<br />
über Feen. Zu Shakespeares Zeit gab es so<br />
etwas wie den Sommernachtswahnsinn während<br />
einer festlichen Zeit im Mai und Juni, zu <strong>der</strong> Jugendliche<br />
zusammen in den Wald zogen. Natürlich<br />
war nicht gedacht, dass man sich unmoralisch entgrenzt,<br />
aber es war dennoch ein Initiationsritus mit<br />
Transgressionspotential. Es gab die Idee, dass es<br />
dabei zu Verwandlungen kommen könnte, sowohl<br />
innerer als auch äußerer Art, bei denen Hexerei im<br />
Spiel sein könnte. Neben solchen Bräuchen war<br />
Shakespeare literarisch von Ovids Metamorphosen<br />
inspiriert, die uns Verwandlungen vom Menschen ins<br />
Posthumane zeigen, sei es in Pflanzen o<strong>der</strong> in Tiere.<br />
Es sind ambivalente Verwandlungen. Es können Erlösungen,<br />
es können aber auch Bestrafungen sein<br />
wie Gefangenschaften im falschen Körper, ein Thema,<br />
das uns im Rahmen <strong>der</strong> Transsexualität gerade<br />
sehr beschäftigt. Die enge körperliche Verknüpfung<br />
von nicht-menschlicher Umwelt und Menschen wie<strong>der</strong>um<br />
wird in <strong>der</strong> Ökokritik immer deutlicher betont.<br />
Zettel, <strong>der</strong> Handwerker, wird in einen Esel verwandelt,<br />
doch interessanterweise nicht komplett, son<strong>der</strong>n er<br />
kriegt nur dessen Kopf. Er wird zum hybriden Wesen.<br />
Die Öko kritik spricht von »Trans-species«, ein Begriff,<br />
<strong>der</strong> deutlich machen soll, dass <strong>der</strong> Mensch nicht so<br />
souverän und unabhängig ist von <strong>der</strong> Tierwelt und<br />
<strong>der</strong> Natur, wie wir es über Jahrhun<strong>der</strong>te glauben wollten.<br />
Der Klimawandel und die Pandemie haben uns<br />
deutlich gemacht, dass wir von Mikroben, Viren, dem<br />
Wetter usw. abhängig sind und also vernetzt sind mit<br />
<strong>der</strong> Natur. Insofern ist Ein Sommernachtstraum tatsächlich<br />
ein Stück <strong>der</strong> Stunde.<br />
Der Übergang zur alternativen Lebensform scheint mit<br />
Gefühlen des Grauens verbunden zu sein. Man erkundet<br />
Dinge im Wald, die etwas mit einem selbst zu tun haben,<br />
die einen aber beunruhigen.<br />
Ja, Shakespeare zeigt uns auch einen Mittsommernachtsalbtraum,<br />
auch wenn sich für manche Figuren<br />
Wunschträume erfüllen. So wechselt Lysan<strong>der</strong> das<br />
Liebesobjekt, aber er leidet nicht so stark wie manche<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. Auch Zettel realisiert nicht, dass er in<br />
einen Esel verwandelt ist, und wun<strong>der</strong>t sich, warum er<br />
so abgöttisch geliebt wird von <strong>der</strong> Feenkönigin Titania.<br />
Erst danach ist er verstört und versucht, sein Erlebnis<br />
in Worte zu fassen. Er ringt um eine Sprache, die versucht,<br />
den Traum darzustellen. Bei Titania ist die Deutung<br />
umstritten: Gerät sie in einen Albtraum o<strong>der</strong> kann<br />
sie ausleben, was sie sich immer schon gewünscht<br />
hat? Des einen Wunschtraum wird zum Albtraum des<br />
an<strong>der</strong>n. Das können wir in <strong>der</strong> unglücklichen Liebe tatsächlich<br />
oft sehen.<br />
Theater ist die Kunst <strong>der</strong> Verwandlung. In welchem Zustand<br />
ist <strong>der</strong> Mensch überhaupt fähig, sich zu verwandeln?<br />
Die Handwerker werden »rude mechanicals« genannt<br />
und verstehen Theater als basales Handwerk. An<strong>der</strong>erseits<br />
stehen auch die Elfen für das Theater, und<br />
Puck beginnt seinen Schlussmonolog mit den Worten:<br />
»If we shadows have offended …«. Das Theater ist somit<br />
verortet zwischen Handwerk und Zauberei, jener<br />
hohen Kunst, die für den Menschen eigentlich gar nicht<br />
zugänglich ist. Es ist <strong>der</strong> Raum, wo Verwandlung und<br />
alternative Wahrnehmung möglich sind. Auch wird die<br />
Frage aufgeworfen, wie begrenzt diese Verwandlung<br />
ist. Endet sie mit dem Theaterabend o<strong>der</strong> geht sie darüber<br />
hinaus? Es ist ausschlaggebend, dass Demetrius<br />
am Ende nicht zurückverwandelt wird. Wenn wir das<br />
Theater eher mit <strong>der</strong> Zauberei und <strong>der</strong> Magie assoziieren<br />
wollen, dann kann etwas davon weiterbestehen.<br />
Das wäre die Hoffnung, die das Theater eigentlich hat.<br />
Bei Zauberei spielen auch Substanzen eine Rolle – ein<br />
Elixier wird den schlafenden Menschen von den Elfen in<br />
die Augen getropft. Heute könnte man diesen Zustand<br />
mit Drogen herstellen.<br />
Bei Shakespeare ist die Grenze zwischen schädlichen<br />
Drogen und hilfreichem Medikament nicht klar gezogen.<br />
»Potion« ist ein neutraler Ausdruck, selbst das<br />
englische »drug« kann beides bedeuten – wir kennen<br />
den Ausdruck »drugstore« für Drogerie. Wir haben also<br />
das ganze Spektrum zwischen Therapie, Rausch und<br />
Gift für diese Mittel <strong>der</strong> Zeit. Im Sommernachtstraum<br />
wird die Liebe ohnehin als Rauschzustand dargestellt.<br />
Wenn man sich die aktuelle Hirnforschung o<strong>der</strong> die<br />
Erkenntnisse <strong>der</strong> Biochemie anschaut, wird deutlich,<br />
dass <strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> Verliebtheit ähnlich funktioniert.<br />
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