Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2023
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NATUR UND TECHNIK<br />
JUTTA WEBER / ANNA DREXLER /<br />
THEO NABICHT<br />
Der Golem, jenes Wesen aus Lehm des Baal Schem Tov,<br />
diese »Masse ohne Form«, ist das Werkzeug, das sich<br />
von seinem Herrn emanzipiert. Und Mary Shelley hat mit<br />
Frankensteins Monster <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne einen Albtraum geschenkt.<br />
Er sucht den Menschen in <strong>der</strong> Form <strong>der</strong> Technologie<br />
heim, als Cyborg, als Humanoid, als Roboter, als<br />
Künstliche Intelligenz. Gleichzeitig transportieren die<br />
Geräte die Sehnsucht nach <strong>der</strong> Erlösung von <strong>der</strong> Sterblichkeit<br />
und <strong>der</strong> Gewalt: Der Tod und das Patriarchat<br />
werden durch den künstlichen Menschen überwunden.<br />
Aber ist die Maschine wirklich künstlich o<strong>der</strong> gehört sie<br />
zu unserer Natur, zur Natur des Menschen? Gibt es eine<br />
Grenze zwischen <strong>der</strong> Humanität und dem Humanoiden?<br />
Steht das eine dem an<strong>der</strong>en feindlich gegenüber? Liegt<br />
die Menschlichkeit in <strong>der</strong> Überwindung des Menschen,<br />
in <strong>der</strong> Maschine?<br />
The golem, the creature made of clay by Baal Schem Tov,<br />
this »formless mass«, is the tool that liberates itself from<br />
its master. And Mary Shelley provided the Mo<strong>der</strong>n age with<br />
a nightmare in Frankenstein’s monster: The nightmare that<br />
haunts human beings in the form of technology, as a cyborg,<br />
as a humanoid, as a robot, as Artificial Intelligence.<br />
At the same time, devices convey a longing for redemption<br />
from mortality and violence: death and the patriarchy are<br />
being overcome by artificial humans. But is the machine<br />
really artificial – or is it part of our nature, human nature?<br />
Is there a bor<strong>der</strong>line between humanity and the humanoid?<br />
Is one the enemy of the other? Does humanity lie in<br />
overcoming humans – in the machine?<br />
So 3. September<br />
17.00 Uhr<br />
Lukas Bärfuss im Gespräch mit <strong>der</strong> Professorin für Technik forschung<br />
und Mediensoziologie Jutta Weber (Umkämpfte Bedeutungen:<br />
Naturkonzepte im Zeitalter <strong>der</strong> Technoscience)<br />
19.30 Uhr<br />
Lesung: Anna Drexler<br />
Musik: Theo Nabicht<br />
NATUR UND TRAURIGKEIT<br />
MATTHIAS GLAUBRECHT / WIEBKE PULS /<br />
SACHIKO HARA / CARL OESTERHELT<br />
Der Mensch, so schreibt Robert Burton in seinem monumentalen<br />
Buch über die Melancholie, sei <strong>der</strong> souveräne<br />
Herr <strong>der</strong> Welt, und gleichzeitig lebe er im Elend, unter allen<br />
Tieren, zermartert von schwarzen Gedanken, vom Todesdrang.<br />
Man kann es mit George Steiner auch an<strong>der</strong>s<br />
sehen: Die Traurigkeit ist die Voraussetzung des Denkens<br />
und damit des Menschseins. Vernunft und Kritik bedürfen<br />
eines Bewusstseins, das die Trennung begreift und diese<br />
in einem Gedanken aufzuheben versucht. Als Metapher<br />
und Idee unerlässlich, endet Traurigkeit mitunter tödlich.<br />
Depression ist die Geißel <strong>der</strong> Menschheit, eine lebensgefährliche<br />
Volkskrankheit, beschrieben und beklagt von<br />
<strong>der</strong> Literatur aller Zeiten, aller Kontinente. Sie führt zur<br />
Individualität, zu Hamlet und zum Hilfsbuchhalter Bernardo<br />
Soares. Und manchmal, bei einer jungen Frau etwa,<br />
Antigone mit Namen, wird die Trauer politisch. Können wir<br />
die Traurigkeit teilen, organisieren, kann sie uns als Gesellschaft<br />
versammeln, vereinen?<br />
Mankind, Robert Burton writes in his monumental book<br />
on melancholy, is the sovereign master of the world, yet at<br />
the same time, he lives a life of misery, lower than all the<br />
animals, plagued by dark thoughts, by a death urge. One<br />
can also see this differently, as George Steiner did. Sadness<br />
is a pre-requisite of thinking and therefore also of<br />
humanity. Reason and critique require a consciousness<br />
that un<strong>der</strong>stands the distinction and attempts to remove<br />
them in a single thought. Indispensable as a metaphor<br />
and an idea, sadness sometimes ends fatally. Depression<br />
is the scourge of humanity, a life-threatening and widespread<br />
disease, described and lamented by the literature<br />
of all ages and all continents. It leads to individuality,<br />
to Hamlet, and to the assistant bookkeeper Bernardo<br />
Soares. And sometimes, for example in a young woman<br />
by the name of Antigone, sadness becomes political. Can<br />
they share and organize sadness, can it assemble and<br />
unite us as a society?<br />
So 10. September<br />
17.00 Uhr<br />
Dialog: Lukas Bärfuss im Gespräch mit dem Zoologen und Wissenschaftsjournalisten<br />
Matthias Glaubrecht (Das Ende <strong>der</strong> Evolution.<br />
Der Mensch und die Vernichtung <strong>der</strong> Arten)<br />
19.30 Uhr<br />
Lesung: Wiebke Puls<br />
Musik: Sachiko Hara und Carl Oesterhelt<br />
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