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Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2023

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Oberon erzählt stolz die Entstehungsgeschichte jener<br />

Blume, für die es damals verschiedene Begriffe gab<br />

und die nur <strong>der</strong> Elfenkönig finden könne. Wenn man<br />

sich genauer ansieht, was es mit diesem »love-juice«<br />

auf sich hat, sieht man allerdings, dass es ein wildes<br />

Stiefmütterchen ist, das in Shakespeares Zeit in England<br />

in jedem Garten wuchs. Wir wissen, dass in Gesetzeserlassen<br />

<strong>der</strong> Zeit die Herstellung von Liebestränken<br />

verboten wurde, es also einen gewissen Glauben daran<br />

gegeben haben muss. Das Stück spielt mit dieser kulturellen<br />

Fantasie, respektive <strong>der</strong> kulturellen Angst.<br />

Nach dem Ende des Rauschs <strong>der</strong> Sommernacht beschreibt<br />

Puck die verdammten Seelen, die sich voller<br />

Scham vor dem Tag retten.<br />

Puck spielt auf Menschen an, die durch Selbstmord<br />

gestorben sind o<strong>der</strong> aus an<strong>der</strong>en Gründen nicht anständig<br />

beerdigt werden konnten und deswegen die<br />

Lebenden weiter heimsuchen und nachts umherwan<strong>der</strong>n<br />

müssen. Nichtsdestotrotz ist es auch für die<br />

ganze Komödie interessant, dass Puck am Ende einer<br />

ausschweifenden Fantasie-Nacht von <strong>der</strong> Scham <strong>der</strong><br />

Rückkehr spricht. Zu Shakespeares Zeit wurde das<br />

Theater von den Autoritäten ja als eine gefährliche<br />

Gegenwelt zu den Moralvorstellungen <strong>der</strong> Kirche verstanden.<br />

Das war ein Grund, warum keine Frauen als<br />

Schauspielerinnen auftreten durften, weil allein diese<br />

Zurschaustellung für den öffentlichen Blick als sexueller<br />

Akt begriffen wurde. Daher die »boy-actors«,<br />

die ihrerseits nochmal ganz an<strong>der</strong>e Fragen betreffend<br />

Repräsentation von Geschlecht und Sexualität aufwerfen.<br />

Das Theater wurde von den Puritanern zu <strong>der</strong><br />

Zeit als eine Gefahrenquelle gesehen, eine mögliche<br />

Quelle <strong>der</strong> Verwandlung <strong>der</strong> Gesellschaft auf eine Art<br />

und Weise, die nicht gewünscht war.<br />

Kann man die Zeit, in welcher <strong>der</strong> Sommernachtstraum<br />

entstand, mit <strong>der</strong> heutigen Zeit vergleichen, wo sich Teile<br />

<strong>der</strong> patriarchalen Welt aus vielen Gründen ebenfalls mit<br />

rabiater Gewalt gegen Transformationen zur Wehr setzen?<br />

Patriarchal war das damalige System natürlich, trotzdem<br />

hatte es über Jahrzehnte mit Elisabeth I. eine<br />

weibliche Herrscherin, die das Patriarchat geschickt für<br />

sich zu nutzen wusste und sich auch als »a prince« präsentierte.<br />

Und zugleich war sie die »virgin queen«. Sie<br />

hat für sich eine über- respektive doppelgeschlechtliche<br />

Identität inszeniert. Es ist insgesamt interessant<br />

an <strong>der</strong> frühen Neuzeit, dass es im Vergleich zu heute<br />

einerseits rigi<strong>der</strong>e und moralischere Vorstellungen gab,<br />

die bis in die Details <strong>der</strong> gesetzlichen Klei<strong>der</strong>ordnung<br />

gingen, um Klassen- und Geschlechterzugehörigkeit<br />

zweifelsfrei zu signalisieren. An<strong>der</strong>erseits gab es im<br />

Theater aber strukturell vorgegeben Männer, die sich<br />

als Frauen verkleideten. In vielen Shakespeare-Komödien<br />

verkleiden sich diese Frauen wie<strong>der</strong> zu Männern.<br />

Infolgedessen haben wir ganz oft unklare sexuell-erotische<br />

Anziehungen, die gleichgeschlechtlich sind o<strong>der</strong><br />

sich gerade für die uneindeutige Geschlechtlichkeit<br />

interessieren. Was auch fasziniert – und das bringt<br />

uns zur Verwandlung zurück – ist, dass man zu Shakespeares<br />

Zeit von dem »one sex model« ausgegangen<br />

ist. Eine sehr patriarchale Vorstellung, die davon ausging,<br />

dass das einzige und eigentliche Geschlecht das<br />

männliche ist und Frauen in einer Vorstufe verhaftet<br />

sind. Man hat sich das biologisch so vorgestellt, dass<br />

Frauen einen nach innen invertierten Penis haben, welcher<br />

durch mangelnde Körperhitze nicht nach außen<br />

getreten ist. Wenn man sich Zeichnungen aus <strong>der</strong> Zeit<br />

anschaut, unterscheiden sie sich gar nicht so sehr von<br />

heutigen Darstellungen <strong>der</strong> Geschlechtsorgane. Das<br />

legt nahe, dass sich Frauen damals zumindest theoretisch<br />

zu Männern verwandeln konnten. Es gab Geschichten,<br />

die besagten, dass dies auch passiert sei.<br />

Konkret handelte es sich zum Teil um die Auflösung für<br />

lesbische Liebesgeschichten: Eine Frau hat sich zum<br />

Mann »verwandelt« und konnte so auch offiziell mit<br />

ihrer Partnerin zusammenleben.<br />

EIN SOMMERNACHTS­<br />

TRAUM WAR<br />

SCHON DAMALS EIN<br />

NOSTALGISCHER<br />

BLICK AUF EINE VON<br />

DEN MENSCHEN<br />

UNBERÜHRTE NATUR.<br />

Athen ist <strong>der</strong> Ort, <strong>der</strong> die Flucht und den Traum überhaupt<br />

erst auslöst. Das Stück beginnt mit <strong>der</strong> Todesdrohung<br />

eines Vaters gegen seine Tochter Hermia.<br />

Shakespeare braucht nur ein paar Zeilen, um deutlich<br />

zu machen, wie rigide dieses System ist. Er führt ein<br />

patriarchales Muster ein, in dem Theseus, <strong>der</strong> Herrscher<br />

Athens, sagt, die Väter können die Töchter wie<br />

Wachs formen und auch verformen. Der Vater ist ein<br />

Gott, <strong>der</strong> erschaffen, aber auch zerstören darf. Dieses<br />

System wird gespiegelt, indem Theseus in <strong>der</strong> Vorgeschichte<br />

die Amazonenkönigin Hippolyta unterwirft.<br />

Wenn man sich den Mythos <strong>der</strong> Amazonen genauer<br />

anschaut, sieht man aber, dass in diesem Matriarchat<br />

wie<strong>der</strong>um die jungen Söhne, wie auch <strong>der</strong>en Väter,<br />

umgebracht wurden. Kein nachhaltiges Zukunftsmodell<br />

also, son<strong>der</strong>n einfach das invertierte bestehende<br />

Modell als männliche Angstfantasie. Die Frage ist, ob<br />

uns die Wald- und Feenwelt eine Alternative bietet,<br />

einen dritten Raum. Schon allein die Tatsache, dass<br />

die Feen sich geschlechtlich nicht einordnen lassen,<br />

ist etwas, das über die konventionelle Klassifikation<br />

und Machtverteilung hinausgehen und somit tatsächlich<br />

eine Gegenwelt bieten könnte.<br />

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