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Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2023

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Das Eindringen<br />

»Weiße kommen nie hierher, außer um uns ein Problem<br />

zu bereiten. Glauben Sie mir, das wollen wir nicht.«<br />

Dialog aus Candyman von Bernard Rose, 1992.<br />

Eine weitere Inspiration für THE VISITORS ist die berühmte<br />

Kurzgeschichte Das besetzte Haus des argentinischen<br />

Autors Julio Cortázar von 1946. Sie handelt von einem Geschwisterpaar,<br />

das in seinem Elternhaus lebt. Das Haus<br />

wird allmählich und auf furchteinflößende Weise von unbekannten<br />

Wesen o<strong>der</strong> Kräften »besetzt«. Diese nicht<br />

näher identifizierte und gruselige Kraft wird es schließlich<br />

schaffen, die Figuren aus ihrem Zuhause zu vertreiben.<br />

Am Ende verlassen sie das Haus, schließen die Tür hinter<br />

sich ab und werfen den Schlüssel in einen Gully, in <strong>der</strong><br />

Hoffnung, dass niemand ihn je finden wird. Die Geschichte<br />

selbst bietet keine Erklärungen o<strong>der</strong> Antworten, worauf<br />

sich die gruseligen Kräfte beziehen. In ihrer späteren Rezeption<br />

in Argentinien und Südamerika wurden sie stark<br />

mit <strong>der</strong> Schreckenszeit <strong>der</strong> lokalen Militärdiktaturen (und<br />

<strong>der</strong> mit ihnen verbündeten ausländischen Staaten während<br />

des Kalten Krieges) in Zusammenhang gebracht.<br />

In <strong>der</strong> Tradition von Slasher-Filmen gibt es immer einen<br />

Ort des Schreckens, an dem die Handlung stattfindet.<br />

Aber an<strong>der</strong>s als in Das besetzte Haus erfolgt die Invasion<br />

dieses Ortes nie allmählich o<strong>der</strong> subtil, son<strong>der</strong>n – im Gegenteil<br />

– plötzlich und spektakulär. In aufreibenden Szenen<br />

schließt sich das Opfer (in einem Haus, einer Schule,<br />

einem Zimmer, einem Auto) ein und wartet dort mit klopfendem<br />

Herzen, während sich <strong>der</strong> Mör<strong>der</strong> den Weg hinein<br />

bahnt – schlägt, hackt o<strong>der</strong> schlitzt. Dies sind die sogenannten<br />

»Penetrationsszenen« und üblicherweise Schlüsselmomente<br />

des Films.<br />

Der Schrecken, <strong>der</strong> durch das Eindringen des Monsters in<br />

den Schutzraum des Opfers hervorgerufen wird, wird im<br />

gefeierten Film Get Out von Jordan Peele auf eine weitere<br />

Ebene gehoben. Im Film versuchen die Monster, in<br />

den Kopf des Opfers einzudringen, um dessen Gehirn und<br />

Verstand zu kapern. Das Bild <strong>der</strong> Gehirntransplantation<br />

wird verwendet, um die Fortdauer von Rassismus zu veranschaulichen.<br />

In diesem Film ist, wie Peele es beschreibt,<br />

»die Gesellschaft selbst das Monster«.<br />

Der Ort des Schreckens in THE VISITORS ist die lutherische<br />

Friedenskirche in Johannesburg. Sie befindet sich<br />

in Hillbrow, einem Viertel, das während <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Apartheid<br />

von Deutschen geprägt war. Anschließend wurde es<br />

zu einem zentralen Ort für Migrant:innen aus den Townships,<br />

aus dem ländlichen Südafrika und an<strong>der</strong>en afrikanischen<br />

Län<strong>der</strong>n, insbeson<strong>der</strong>e Nigeria. Heute kämpft das<br />

Gebiet mit einem hohen Grad an Intoleranz und Xenophobie.<br />

Im Jahr 2019, als die gesellschaftlichen Spannungen<br />

(später zusätzlich befeuert durch die COVID-19-Pandemie)<br />

zunahmen, kam es auch in Hillbrow zu fremdenfeindlichen<br />

Übergriffen. Die lutherische Friedenskirche ist das einzige<br />

architektonische Überbleibsel <strong>der</strong> dortigen deutschen Gemeinde.<br />

Das Gebäude, welches jetzt in Church of Peace<br />

umbenannt wurde und Outreach-Community-Programme<br />

anbietet, erinnert nach wie vor an die Strukturen <strong>der</strong><br />

Vergangenheit. Seine neoromanische Architektur und<br />

sein markanter barocker Glockenturm heben sich auf befremdliche<br />

Weise vom Rest <strong>der</strong> Nachbarschaft ab. Es wirkt<br />

nahezu wie ein Geisterhaus einer europäischen Religion.<br />

TAMARA SAPHIR arbeitete als Dramaturgin bereits bei<br />

Hillbrowfication mit Constanza Macras zusammen und<br />

begleitet ebenso The Visitors in seiner Enstehung.<br />

Aus dem Englischen von Oliver Chrzanoswki<br />

Foto: Kruger Van Deventer, Design: Roman Handt<br />

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