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Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2023

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zu werden, verkörpern sie eine nahezu abstrakte Ursache<br />

von Gewalt. Sie sehen menschlich aus, sind aber praktisch<br />

unbesiegbar. Es reicht nicht aus, sie einmal zu töten. Diese<br />

beiden Elemente, Unsichtbarkeit und Unbesiegbarkeit,<br />

spiegeln die gesellschaftlich verinnerlichten und die Zeit<br />

überdauernden Formen <strong>der</strong> oben erwähnten Machtstrukturen<br />

wi<strong>der</strong>.<br />

In Kult-Slasher-Filmen wie Halloween von 1978 sind es<br />

immer wie<strong>der</strong> Jugendliche aus Vor- und Kleinstädten, die<br />

Gefahren ausgesetzt sind: zu Hause, in <strong>der</strong> Schule, beim<br />

Camping und in den Ferien. In den meisten dieser Filme erscheinen<br />

Eltern als völlig abwesend im Leben ihrer Kin<strong>der</strong>,<br />

sowohl physisch als auch emotional. Die Teenager:innen<br />

müssen immer allein mit den Killer:innen fertig werden.<br />

Das Zuhause in diesen Filmen bietet keinen sicheren Zufluchtsort<br />

vor einer aus den Fugen geratenen Welt. In <strong>der</strong><br />

Literatur über das Genre wird dies mit den Erfahrungen<br />

<strong>der</strong> Teenager:innen in verän<strong>der</strong>ten Familienstrukturen<br />

<strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne (Möglichkeit <strong>der</strong> Scheidung, verän<strong>der</strong>te<br />

Arbeitswelten) verknüpft. Doch dieser Aspekt wird im<br />

südafrikanischen Kontext gänzlich an<strong>der</strong>s gelesen. Denn<br />

mit <strong>der</strong> Arbeitspolitik und den Passgesetzen setzte das<br />

Apartheidregime eine staatlich orchestrierte und effektive<br />

Zerstörung von Familienstrukturen um. Männer waren oft<br />

dazu verpflichtet, sich für längere Zeit von ihren Familien<br />

fernzuhalten. So leben heute in Südafrika nur noch etwa<br />

35 Prozent <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> mit ihren beiden Elternteilen zusammen.<br />

Erwartung, Horror und Absurdes<br />

»Annie: Fürchtest du dich noch?<br />

Laurie: Ich habe mich nicht gefürchtet.<br />

Annie: Lüge!«<br />

Dialog aus Halloween von John Carpenter, 1978.<br />

Erwartung ist ein<br />

entscheidendes Element, um das Gefühl<br />

eines bevorstehenden Übels hervorzurufen. Bereits<br />

durch die reine Beschwörung seiner Anwesenheit wird das<br />

Böse in <strong>der</strong> Imagination des:<strong>der</strong> Zuschauer:in zum Leben<br />

erweckt. Erwartung bildet in diesen Filmen die Quelle des<br />

Schreckeffekts. Aber wie die Kinokritikerin Carol J. Clover<br />

hervorhebt, ist <strong>der</strong> schnelle Wechsel zwischen »echtem«<br />

Schrecken auf <strong>der</strong> einen Seite und einem persiflierenden,<br />

sich selbst parodierenden Schrecken auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

eines <strong>der</strong> auffälligsten Merkmale des Genres. Die Erwartung<br />

<strong>der</strong> Angst löst sich oft absichtlich in einer Übertreibung<br />

auf, die manchmal ins Absurde kippt und damit sogar<br />

Humor hervorbringt. David Lynch erläutert diesen Zusammenhang<br />

sehr anschaulich: »Wenn Sie einen Mann immer<br />

wie<strong>der</strong> gegen eine Wand rennen sehen, bis er zu blutigem<br />

Brei wird, bringt es uns nach einer Weile zum Lachen, weil<br />

es absurd ist.« Ein weiteres Phänomen in Slasher-Filmen<br />

ist <strong>der</strong> fehlende Zusammenhang zwischen <strong>der</strong> verübten Gewalt<br />

und ihren Auswirkungen. Einige Figuren sterben nach<br />

einem einzigen Schlag, während an<strong>der</strong>e nach 20 Messerstichen<br />

im Körper vom Balkon stürzend weiterleben.<br />

THE VISITORS spielt mit diesen Charakteristiken. Der<br />

wahre Schrecken, <strong>der</strong> durch die Erwartung geschürt wurde,<br />

wird durch Inkohärenz unterbrochen. So als ob die<br />

Figuren meinten, es sei <strong>der</strong> effizienteste Weg, den Monstern<br />

(<strong>der</strong> Vergangenheit?) zu begegnen, indem man die<br />

Kommunikation im Verlauf des Gesprächs radikal än<strong>der</strong>t.<br />

Absurde Wendungen in den Handlungssträngen wie z. B.<br />

die Entdeckung, dass Tanzen die Monster vertreibt, funktionieren<br />

als humorvolle Auswege aus dem unerbittlichen<br />

Kreis des wie<strong>der</strong>kehrenden Grauens.<br />

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