Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur (KJL ... - hannahdenker.de

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dass sie sich von Michael Endes Erzähler ein kleines bisschen in das Zeitalter der Romantik (ver-)führen ließ: Zunächst erlebte sie die Phantasie der Kinder – die Grenzgänger zur sekundären Welt - auf ihren Abenteuerreisen, bauten mit ihnen Luftschlösser, ließ sich in die Welt innerer Geschichten durch die Figur Gigi, den ‚Fremdenführer’ mitreißen und erlebte die Strategien der grauen Herren, die den Menschen die Musik ihres Herzens, die Zeit zu stehlen verstanden. Wie in der Romantik zeigt sich die sekundäre Welt (ebd.) als voll von Gold und Schönheit gegenüber einer (industrialisiert-fortschrittlichen) Primärwelt. Hannah sah das Bild einer seelenlosen Stadt mit grauen Betonklößen nicht nur bildlich vor ihrem inneren Auge, sondern erlebte dies gleichsam täglich in der S-Bahn, wenn sie in die leeren Augen ihren zeitlosen Genossen blickte. Sie hätte es damals wohl nicht „Antikapitalismus“ (Steinz/ Weinheim 2005: 122) bzw. Kapitalismuskritik getauft, aber sie erkannte intuitiv, dass sich ihr hier ein Vorbild bot, wie die Welt auch aussehen könnte und dass Freundschaft ein Wert war, der sich nicht in Geldeinheiten messen ließ. Und sie fühlte mehr als sie wusste, dass sie hier ein Angebot für einen Befreiungsschlag gegen die Welt der Erwachsenen erhielt. In der Szene mit dem (langweiligen) vorgefertigten Spielzeug – ein wiederkehrendes Motiv in der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur (vgl. Sullivan 2007: 15f) – erkannte Hannah ihr eigenes Unvermögen mit den ach so perfekten Spielzeugen ihrer Zeit umzugehen und einen Moment trauerte sie um ihre verlorene Phantasie. Leider blieb es bei diesem gefühlten Wissen, denn sie nutzte – oder sollte man sagen – vergewaltigte, den Text, indem sie ihn genau für diejenigen Zwecke benutzte, gegen die er sich ihrer Meinung nach doch aufzulehnen versuchte: Sie erfüllte die institutionell- gesellschaftliche Anforderung, sich mit dem Seminar schriftlich auseinanderzusetzen. Zu ihrer Ehrenrettung sei aber hinzugefügt, dass sie das Zeitmanagementsystem vernichtend beurteilte und es als Reinkarnation der grauen Herren darstellte (siehe Anhang B). Das fremde Kind diente ihr als lebendig gewordener Gesprächspartner, der das Ziel, Zeit zu sparen und die „richtigen“ (Lebens-)entscheidungen zu treffen infragezustellen vermochte. Sie erkannte – immerhin – dass sich Empathie nicht in einen Time-Planer eintragen lässt und dass Zeit etwas ist, das man im Herzen und nicht auf dem Handgelenk trägt. (Übrigens zeigt sich hier wieder das Erbe der Romantik, zu dem Michael Ende sich selbst bekannte (vgl. Tabbert 2005: 193) und was es ihm vielleicht erst ermöglichte, sich in solch empathischer Weise dem Begriff der Zeit anzunähern.) 26
In gewissem Sinne hat Hannah es mit Momos Hilfe geschafft, die Widersprüche, die sich 20 Jahre nach der Revolution der 68er Generation, wenn man sie denn so nennen will, produktiv auzulösen: Einerseits hat sie die Anforderungen der institutionalisierten (gleichgeschalteten?) Welt erfüllt, andererseits hat sie sich ein kleines Stück Freiheit erkämpft, indem sie ihre verschüttete Kreativität wiederbelebte. Momo wäre stolz auf sie gewesen, denn sie hat den Zeitdieben tatsächlich einen kleinen Schlag versetzt. Der Seminarleiter reagierte nach der Zeitungsveröffentlichung sehr wütend, er fühlte sich falsch verstanden und es sei doch genau das Ziel seines Seminars Zeit zu schaffen für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Also doch: Empathie in den Time-Planer eintragen? 27
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