Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur (KJL ... - hannahdenker.de
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zw. <strong><strong>de</strong>r</strong> Leserin die Möglichkeit, sich auf humoristische Art <strong>und</strong> Weise von <strong><strong>de</strong>r</strong> Figur zu<br />
distanzieren <strong>und</strong> sie auch als infantiles Kind wahrzunehmen.<br />
Pippi stellt ein i<strong>de</strong>alisiertes Kindheitsbild dar, das sich in mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen Formen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Selbsterziehung frei erproben kann <strong>und</strong> Züge <strong>de</strong>s Frem<strong>de</strong>n-Kind-Motivs (vgl. Sullivan 2007:<br />
17) trägt. Sie bricht zwar alle Regeln (Sprachkonventionen, Moralkonventionen <strong>und</strong><br />
allgemeine Lebensregeln <strong>und</strong> -gewohnheiten), aber sie beherzigt dabei doch die Norm,<br />
nieman<strong>de</strong>n ernstlich zu verletzen. Kindheit erscheint in diesen Romanen als eine beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e,<br />
erhaltenswerte Lebenszeit. Die Autorin erkennt die Grenzen einer freien, <strong>de</strong>mokratischen<br />
Erziehung sehr wohl, sie will mit <strong>de</strong>n Pippi-<strong>Geschichte</strong>n nicht einer Welt ohne Regeln das<br />
Wort re<strong>de</strong>n, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n die schönen Seiten einer beson<strong><strong>de</strong>r</strong>en Lebensphase beleuchten. Lindgren<br />
schafft mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Titelfigur eine Heldin, die gängigen Vorstellungen von Kindheit als einem<br />
Lebensalter <strong><strong>de</strong>r</strong> Schwäche <strong>und</strong> Unselbstständigkeit wi<strong><strong>de</strong>r</strong>spricht (vgl. Steinz/Weinmann 2005:<br />
102).<br />
In <strong><strong>de</strong>r</strong> berühmten Re<strong>de</strong> anlässlich <strong><strong>de</strong>r</strong> Verleihung <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>nspreises <strong>de</strong>s Deutschen<br />
Buchhan<strong>de</strong>ls 1978 sagt sie:<br />
„Freie <strong>und</strong> unautoritäre Erziehung be<strong>de</strong>utet nicht, dass man die Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> sich selber<br />
überlässt, dass sie tun <strong>und</strong> lassen dürfen, was sie wollen. Es be<strong>de</strong>utet nicht, dass sie<br />
ohne Normen aufwachsen sollen, was sie selbst übrigens gar nicht wünschen. (…) Ganz<br />
gewiss sollen Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> Achtung vor ihren Eltern haben, aber ganz gewiss sollen auch<br />
Eltern Achtung vor ihren Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>n haben, <strong>und</strong> niemals dürfen sie ihre natürliche<br />
Überlegenheit missbrachen. Liebevolle Achtung voreinan<strong><strong>de</strong>r</strong>, das möchte man allen<br />
Eltern <strong>und</strong> allen Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>n wünschen“ (Lindgren 1978 [2007]: 55).<br />
Die politischen Implikationen, die sich auf die Überwindung stereotyper Rollenvorstellungen<br />
<strong>und</strong> die Unterdrückung von Menschen beziehen, <strong>de</strong>uten ein humanistisches Weltbild an, dass<br />
sich tatsächlich eine Welt wünscht, in <strong><strong>de</strong>r</strong> Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> frei <strong>und</strong> ungezwungen, die Grenzen <strong>de</strong>s<br />
an<strong><strong>de</strong>r</strong>en respektierend, bewegen können. Aber Astrid Lindgren weiß, „dass es eine Utopie ist“<br />
(Re<strong>de</strong> anlässlich <strong><strong>de</strong>r</strong> Verleihung <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>nspreises <strong>de</strong>s Deutschen Buchhan<strong>de</strong>ls 1978<br />
[2007]: 56). Mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Romantrilogie Pippi Langstrumpf hat sich nicht nur ein Wan<strong>de</strong>l <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Kindheitsvorstellungen vollzogen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n es kam auch zu einem Wechsel <strong>de</strong>s bislang<br />
vorherrschen<strong>de</strong>n Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>literaturkonzepts, zu einem kin<strong><strong>de</strong>r</strong>literarischen Themen- <strong>und</strong><br />
Formenwan<strong>de</strong>l (vgl. Steinz/Weinmann 2005: 102).<br />
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