Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur (KJL ... - hannahdenker.de
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„Natürlich ist sie ein großartiges Rollenvorbild für aufmüpfige Mädchen <strong>und</strong> solche, die<br />
es wer<strong>de</strong>n sollen, <strong>und</strong> sie eignet sich auch hervorragend als Heldin <strong><strong>de</strong>r</strong> antiautoritären<br />
Erziehung“ (Osberghaus 2007: 31).<br />
Das geht sogar soweit, dass sie bewusst die Regeln <strong><strong>de</strong>r</strong> Sprache bricht -„Liebe kleine<br />
Krummelus – niemals will ich wer<strong>de</strong>n gruß“ (Lindgren 1967: 349) - <strong>und</strong> unmotiviert lügt.<br />
Aber ihre grandiosen, witzigen <strong>und</strong> einfallsreichen Lügen wer<strong>de</strong>n nicht unter <strong>de</strong>m<br />
moralischen Aspekt kindlichen Fehlverhaltens gewertet (vgl. Steinz/Weinmann 2005: 102),<br />
son<strong><strong>de</strong>r</strong>n sind nur ihr selbst verzeihbar <strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n von Annika auch geta<strong>de</strong>lt (vgl. Lindgren<br />
1967: 15). „Der Akzent liegt auf <strong>de</strong>m ästhetischen Vergnügen, <strong>de</strong>m Spaß am Verrückten, an<br />
Nonsens <strong>und</strong> zweckfreier Komik“ (Steinz/Weinmann 2005: 102). Pippi tut zwar nicht, was<br />
man ihr vorschreibt, aber sie ist zu ihrer Umgebung fre<strong>und</strong>lich o<strong><strong>de</strong>r</strong> doch zumin<strong>de</strong>st liebevoll<br />
ironisch (vgl. Cromme 1996: 312). So führt sie die reiche Fräulein Rosenblom, die ihre Gaben<br />
an unterprivilegierte Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> von Leistungen abhängig macht, durch ihre frechen Antworten ad<br />
absurdum <strong>und</strong> zeigt sich solidarisch mit <strong>de</strong>n Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>, die von ihr in die Ecke gestellt wer<strong>de</strong>n<br />
(vgl. Lindgren 1986: 56ff). Die ehemals traurigen Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> wer<strong>de</strong>n – kaum dass Pippi bei ihnen<br />
ist – „schon ein bisschen munterer“ (Lindgren 1986: 67). Cromme (1996: 305) sieht darin ein<br />
Element weißmagischer Hexen, die die Gabe haben, eine positive Wirkung auf ihre<br />
Mitmenschen auszuüben. Pippi kann somit auch als mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ner Abkömmling von Hoffmans<br />
frem<strong>de</strong>n Kind (vgl. Hoffmann 2006, Tabbert 2005: 192) interpretiert wer<strong>de</strong>n. Sie weist einige<br />
typische Elemente <strong>de</strong>s frem<strong>de</strong>n Kind-Motives auf: Elternlosigkeit, das androgyne Wesen, ein<br />
auffälliges Erscheinungsbild, beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e Fähigkeiten <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Verzicht auf das<br />
Erwachsenwer<strong>de</strong>n (vgl. Sullivan 2007: 17). Allerdings weist Pippi eine ausgefeilte<br />
Vorgeschichte auf (vgl. Ewers 1992: 132) <strong>und</strong> ihr Alter ist klar benannt - sie ist neun Jahre alt<br />
- in diesen Punkten weicht sie von <strong>de</strong>m genannten Motiv ab. Einschränkend muss jedoch<br />
darauf hingewiesen wer<strong>de</strong>n, dass die klare Altersgrenze dadurch gelockert wird, dass Pippi als<br />
ein Konglomerat aus Kind <strong>und</strong> Erwachsener interpretierbar ist. Sie ist zwar neun Jahre jung,<br />
besitzt aber die Selbstherrschaft <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Reichtum eines gut situierten Erwachsenen, sie kann<br />
als Zwitterwesen zwischen kindlicher Kreativität <strong>und</strong> erwachsenen Freiheiten betrachtet<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Kindheit wird hier als beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e, erhaltenswerte Zeit betrachtet. Annika, Thomas <strong>und</strong> Pippi<br />
wollen ihre Heranreifung verhin<strong><strong>de</strong>r</strong>n, um die negativen Aspekte <strong><strong>de</strong>r</strong> Erwachsenenrolle zu<br />
vermei<strong>de</strong>n, die Hühneraugen, die „Kumminalsteuern“ (Lindgren 1967:348) <strong>und</strong> die an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
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