Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur (KJL ... - hannahdenker.de
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ealen Welt kollidiert. Hier ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Protagonist ein Grenzgänger zwischen <strong>de</strong>n Welten, <strong><strong>de</strong>r</strong> auf<br />
tragische Weise scheitert. (Vgl. Ewers 2002: 124f) Ein klassischer Vertreter dieser<br />
Weltenmischung <strong>und</strong> Kollisionen ist E.T.A. Hoffmann, <strong><strong>de</strong>r</strong> in seinen Romanen <strong>und</strong> Novellen<br />
prosaische mit phantastischen Elementen auf witzige – aber auch gespenstische Weise -<br />
mischt (vgl. Zetterholm/ Quenell 1991: 149). Ein Beispiel für ein Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>kunstmärchen, das<br />
noch nicht einen Zusammenstoß <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n Welten darstellt, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n diesen als einen sich in<br />
bei<strong>de</strong>n Welten parallel vollziehen<strong>de</strong> Kampf beschreibt, ist „Das frem<strong>de</strong> Kind“ von E.T.A.<br />
Hoffmann (2008). Hier sind nahezu alle Elemente romantischer (Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>-)Literatur<br />
versammelt: Die real-idylische Welt eines ländlich-freien Lebens wird durch <strong>de</strong>n Besuch<br />
städtischer, <strong>de</strong>biler Verwandter empfindlich gestört <strong>und</strong> führt die in ihrer Freiheit<br />
beschnittenen Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> in eine phantastische Welt. Die Oppositionen von (unges<strong>und</strong>em)<br />
Stadtleben <strong>und</strong> (ges<strong>und</strong>em) Landleben, von kreativem kindlichen Spiel gegenüber<br />
mechanistisch erzeugten gesellschaftlichen Fortschrittsprodukten, von trägen<br />
wissenschaftlichen Fachausdrücken gegenüber <strong><strong>de</strong>r</strong> Fähigkeit zu einem lebendigen Umgang<br />
mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt wer<strong>de</strong>n hier prototypisch gegenübgergestellt. Hinzu kommt eine für die<br />
romantische Literatur typische Sprache, die von „Glanz <strong>und</strong> Pracht“ (Hoffmann 2008: 11) <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
kreativen, phantastischen Welt erzählt.<br />
Tieck <strong>und</strong> Hoffmann haben mit ihren Texten quasi eine Revision <strong><strong>de</strong>r</strong> romantischen<br />
Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>literaturprogrammatik eingeleitet, da sie erkannt haben, dass Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> eines bestimmten<br />
Alters Differenzerfahrungen zwischen ihrer kindlichen Vorstellungswelt <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> rationalen<br />
Erwachsenenwelt spannungsreich erleben müssen. E.T.A. Hoffmanns (2008) „Das frem<strong>de</strong><br />
Kind“ ist <strong>de</strong>shalb noch ein Kunstmärchen, weil auch die reale Welt in seiner idylischen<br />
Verklärung noch einer Form <strong><strong>de</strong>r</strong> Disseitswelt zuzuordnen ist. In seinem Werk „Nußknacker<br />
<strong>und</strong> Mausekönig“ überschreitet E.T.A. Hoffmann die Grenze von einem dualistischen zu<br />
einem Wirklichkeitsmärchen <strong>und</strong> löst sich damit von <strong><strong>de</strong>r</strong> klassischen Gattung „Märchen“.<br />
Dieses ‚Märchen’ muss eher einem mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen psychologischen Realismus zugeordnet<br />
wer<strong>de</strong>n. Die Mehr<strong>de</strong>utigkeit <strong>de</strong>s Ausgangs <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Geschichte</strong> führt <strong>de</strong>n kindlichen Leser <strong>und</strong> die<br />
kindliche Leserin <strong>und</strong> <strong>de</strong>n/die erwachsenen Leser <strong>und</strong> Leserinnen zu unterschidlichen<br />
Deutungen: So wür<strong>de</strong>n Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> sich eher mit <strong><strong>de</strong>r</strong> phantastischen Welt von Marie Stahlbaum<br />
i<strong>de</strong>ntifizieren <strong>und</strong> das En<strong>de</strong> als heiteren Ausgang verstehen, wohingegen <strong><strong>de</strong>r</strong>/die erwachsene<br />
Leser <strong>und</strong> Leserin die <strong>Geschichte</strong> als Krankheitsgeschichte mit tödlichem Ausgang lesen<br />
kann. (Vgl. Ewers 2002: 125ff)<br />
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