Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur (KJL ... - hannahdenker.de

Ferne - die Distanz, die zwischen den beiden Lebenswelten herrscht. Das in einer Figur
vereinte farbliche Gegensatzpaar von roter und weißer Kleidung, verbunden mit dem
Verhalten der Farbenträgerin, sie will ihr armes Spiegelbild zweimal vertreiben, stärken die
These, dass auch innerhalb einer Figur ambivalente – rot für Aufruhr und Gewalt und weiß
für Sauberkeit und Anstand – vereinigt sein können. Diese textuelle Isotopie (Duden 2006:
1151) wird in der armen Heldin noch expliziter dargestellt. Sie schwankt in ihrem Verhalten
gegenüber diesen unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen: Einerseits probiert sie eine
gewaltsame Lösung des äußeren Konfliktes, indem sie der anderen wortwörtlich ‚Steine in
den Weg legt’ – sie fordert eine Verletzung des Talmädchens dadurch heraus, dass sie Steine
in deren Aufenthaltsorte wirft. „Blut sollte auf ihre schöne weiße Bluse tropfen!“ (Wölfel
2004: 17). Andererseits erkennt sie, dass Änderungen auch durch sie selbst initiiert werden
können: Sie entscheidet sich „[v]ielleicht“ (ebd.: 19) für den mühsamen Weg über
Bildungsprozesse aus ihrem Slum herauszukommen und die produktive Kraft von Wut zu
bündeln. „Zorn macht“ (ebd.) eben in verschiedenen Richtungen „stark“ (ebd.), so dass
zumindest die Möglichkeit besteht, dass die graue, ungebildete Welt des Dorfmädchens zu
einer grünen, fruchtbaren Welt werden kann.
Dass die Räume in der Kurzgeschichte durchgängig relevant sind, zeigt sich auch darin, dass
neben der antithetischen Struktur von Bergdorf (Arm) und Tal (Reichtum) auch nach dem
gescheiterten Emanzipationsversuch der Dorfbewohner und dem dadurch bedingtem Umzug
in die Großstadt, die Dichotomie von armen, vorstädtischen Slums mit „Ratten in den Hütten
und stinkende[m] Wasser“ (ebd.: 17) auf dem Berg und „den fröhlichen Leuten“ im
Villenviertel des Tales (ebd.) aufrechterhalten wird. Juanitas Vater fasst diese
Klassendifferenz mit den einfachen Worten „[d]ie armen Leute sollen arm und dumm bleiben,
damit sie gern für die paar Cents im Tal arbeiten“ (ebd.: 15) zusammen. Hier verlagert sich
die Symbolik vom Figuren- und Farbkontrast zu einer Opposition zwischen vertrautem Dorf,
in dem das Ordnungssystem und der Verhaltenskodex bekannt sind, und fremden Stadtgebiet.
Poetologische Mittel
Karst (1999: 36) betont, dass Wölfels Texte Parallelen zur Struktur des klassischen Dramas
aufweisen: Problempräsentation, ansteigende Spannung, Höhepunkt und Umschwung. Dieser
Aufbau findet sich auch in dieser Kurzgeschichte: Eine gesellschaftliche Spannungssituation
wird in drei Begegnungen aufgezeigt und auf eine zukünftige Entscheidung hin zugespitzt.
Das Blut an der Nase der vermögenden Juanita verweist auf die Möglichkeit eines
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