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DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

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Prophet gilt, tobt ein jahrhundertelanger<br />

Kampf um die Erinnerung, der immer wieder<br />

zu Pogromen und Massakern geführt<br />

hat. 1929 fielen 67 Juden einem Massenmord<br />

zum Opfer, 1994 erschoss der Siedler<br />

Baruch Goldstein 29 betende Muslime. In<br />

He bron ist der Nahostkonflikt wie unter<br />

einem Brennglas zu beobachten.<br />

Einige jüdische Siedlungen, das ist das<br />

Besondere, liegen in der früher arabisch<br />

dominierten Altstadt He brons. Die Siedlerbewegung<br />

hat hier angefangen. Nach Israels<br />

Sieg im Sechstagekrieg von 1967 wurde<br />

He bron als Teil des Westjordanlands<br />

von israelischen Truppen besetzt. Bald begannen<br />

National-Religiöse, im Zentrum<br />

der Stadt Häuser zu besetzen. Eine Gruppe<br />

um den Rabbiner Mosche Lewinger mietete<br />

sich in einem Hotel für eine Pessach-<br />

Feier ein und blieb. Die Armee rückte an,<br />

um die Siedler abzusichern. So ging es<br />

immer wieder in He bron: Checkpoints<br />

wurden errichtet, Straßen gesperrt. Die<br />

palästinensische Bevölkerung verließ infolgedessen<br />

das Zentrum zu Tausenden,<br />

und He bron wurde durch den Oslo-Vertrag<br />

von 1994 eine geteilte Stadt: In »H1«<br />

sind die Palästinenser für die Sicher heit<br />

verantwortlich, in »H2« – dem alten Stadtkern<br />

– die Israelis. Allerdings versuchten<br />

die Siedler immer wieder, in palästinensisches<br />

Ter ri to rium vorzudringen.<br />

Jehuda wurde Zeuge einer solchen<br />

Aktion. Eines Tages zu Beginn von Jehudas<br />

Dienstzeit hatte sich eine Gruppe jüdischer<br />

Siedlerfrauen mit ihren Kindern<br />

nach Abu Sneina aufgemacht, einem arabischen<br />

Stadtteil He brons. Das war lebensgefährlich.<br />

Aus diesem Quartier heraus war<br />

einige Wochen zuvor ein zehn Monate altes<br />

israelisches Baby von einem arabischen<br />

Heckenschützen erschossen worden. Es<br />

wimmelte in Abu Sneina von Militanten.<br />

Die Siedlerfrauen wollten in dem arabischen<br />

Viertel einen Stützpunkt errichten.<br />

Die Armee, so ihr Kalkül, musste ihnen<br />

folgen, um sie zu schützen. Wenn es ihnen<br />

gelänge, sich festzusetzen, wäre ein weiteres<br />

Stück biblischen Bodens befreit. Es wurde<br />

Alarm ausgelöst, und Jehudas Kampfgruppe<br />

bekam den Auftrag, die Frauen aus Abu<br />

Sneina herauszuholen und in die sichere<br />

Zone zurückzugeleiten. Nach Abschluss der<br />

Aktion bildeten die Soldaten einen Ring um<br />

die Siedlung, um die Frauen daran zu hindern,<br />

wieder loszuziehen. »Da ging das Geschrei<br />

los«, erinnert er sich: »Ihr seid Nazi-<br />

Soldaten, die Juden ins Ghetto einsperren!<br />

Hey, Nazi, hier ist eine Schwangere. Schlag<br />

sie doch, dann wird sie eine Fehlgeburt haben,<br />

und es gibt einen Juden weniger!«<br />

Von anderen Juden, für die man gerade<br />

sein Leben riskiert hatte, Nazi genannt<br />

zu werden war ein Schock. Die Armee war<br />

in He bron, um Juden vor Arabern zu beschützen.<br />

Aber hier musste man oft genug<br />

die Araber vor den Juden schützen – und<br />

He brons Juden vor sich selbst.<br />

Jehuda Schaul hat die Gruppe<br />

Breaking the Silence gegründet<br />

Jehuda stammt selbst aus einer ultraorthodoxen<br />

Familie. Er hat sich aus dieser Welt<br />

gelöst, betrachtet sich aber weiter als gläubig,<br />

ernährt sich koscher und hält den Sabbat<br />

ein. Seine Entscheidung, zur Armee zu<br />

gehen – statt, wie es damals gesetzlich erlaubt<br />

war, als Ultraorthodoxer vom Privileg<br />

der Befreiung vom Wehrdienst Gebrauch<br />

zu machen –, fiel gegen den Willen der Familie:<br />

»Ich sah es als patriotische Pflicht.«<br />

Für die Siedler He brons, musste er erkennen,<br />

war er als Soldat nur ein Mittel<br />

zum Zweck in ihrem Kampf um den heiligen<br />

Boden. Doch um diese Menschen zu<br />

schützen, hat er Dinge getan, die er sich vor<br />

He bron nicht hätte vorstellen können.<br />

Einer seiner ersten Einsätze bestand<br />

darin, aus einem Posten hoch über der<br />

Stadt ein Granatmaschinengewehr zu bedienen.<br />

Aus dem arabischen Viertel waren<br />

immer wieder die Siedlungen beschossen<br />

worden. Also wurde befohlen, zurückzuschießen:<br />

»Es ist unmöglich, mit einem<br />

Granatmaschinengewehr präzise zu treffen.<br />

In einem 15-Meter-Radius vom Zielpunkt<br />

tötet es alles. Jetzt sollte ich diese Waffe in<br />

einer dicht besiedelten Stadt abfeuern. Ich<br />

habe geschossen und gebetet, dass ich keine<br />

Unschuldigen treffe.« Die ersten Tage waren<br />

schrecklich, aber bald gewöhnte er sich<br />

daran: »Nach einer Weile war es dann die<br />

Attraktion des Tages, wenn man endlich<br />

zurückschießen konnte.«<br />

Doch irgendwann begann Jehuda mit<br />

dem Gedanken der nachträglichen Dienstverweigerung<br />

zu spielen, was eine Gefängnisstrafe<br />

zur Folge gehabt hätte. Er hat es<br />

nach einem Gespräch mit seinem Kommandeur<br />

nicht getan, sondern sich sogar<br />

zum Offizierskurs angemeldet. Gerade<br />

Leute wie er müssten dabeibleiben, wurde

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