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DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

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Lykke Li<br />

»Wir krochen durch Erdtunnel, kletterten über Felsen und wollten einen Berg besteigen«<br />

funden hatte, wollte ich nicht mehr weitermachen. Aber man lernt<br />

bei so einer Arbeit, dass die Menschen sich gegenseitig helfen müssen.<br />

Ein großes Problem in unserer Kultur ist ja, das wir unsere<br />

Alten allein lassen. In einem Altersheim lernt man vor allem, dass<br />

das Leben sehr kurz ist. Und dass es daher wichtig ist, sich rechtzeitig<br />

um die Verwirklichung der eigenen Träume zu kümmern.<br />

Ehrlich gesagt, fühle ich mich jetzt schon manchmal<br />

sehr alt, weil ich so viel Schlaf brauche wie ein Rentner und immer<br />

nur ins Bett will. Manchmal wünsche ich mir, total dumm<br />

zu sein, um mir nicht mehr so oft den Kopf zu zerbrechen über<br />

Gott und Welt. Aber dann hätte ich vielleicht auch nur noch<br />

langweilige Träume.<br />

Lykke Li,<br />

26, heißt mit bürgerlichem Namen Li Lykke Timotej Svensson<br />

Zachrisson und ist eine schwedische Musikerin. In Deutschland<br />

wurde sie in den vergangenen Monaten durch den Hit »I Follow<br />

Rivers« bekannt, der im Juli Platz 1 der Single-Charts erreichte<br />

treten. Aber zu einer Weltkarriere hat es dann doch nicht gereicht.<br />

Trotzdem habe ich die Hoffnung bis heute nicht aufgegeben. Ich<br />

bin ja noch jung, da kann noch viel passieren. Andererseits habe<br />

ich Angst davor, alt zu werden. Das scheint mir ein Albtraum zu<br />

sein. Ein kurzes, schnelles, aufregendes Leben würde ich einem<br />

öden und langen vorziehen.<br />

Bevor ich Musikerin wurde, habe ich ein halbes Jahr in<br />

einem Altersheim gearbeitet. Ich habe dort vollgepinkelte Windeln<br />

gewechselt, schmutzige Bettlaken ausgetauscht und gewaschen,<br />

alte Menschen geduscht und für sie gekocht. Ich habe also alles<br />

gemacht, was so anfiel. Am Abend war ich dann immer völlig zerstört.<br />

Es war harte Arbeit, aber ich brauchte das Geld. Noch anstrengender<br />

als die Arbeit war es, so viele einsame Menschen zu<br />

sehen, die niemanden mehr hatten. Ich betreute zehn von ihnen.<br />

Glücklich waren nur die Leute, die Alzheimer hatten und nicht<br />

mehr viel merkten. Da war eine alte Frau, mit der ich mich etwas<br />

angefreundet hatte. Eine ehemalige Friseurin. Die sagte immer:<br />

Kindchen, du musst hier weg, du solltest Filmstar werden. Nachdem<br />

ich einen sterbenden alten Mann in seinem Blut liegend ge-<br />

Bevor ich schlafen gehe, überlege ich mir immer, wovon ich träumen<br />

möchte. Alle meine Träume sind sehr intensiv, psychedelisch.<br />

Oft beginnen sie gruselig. Neulich irrte ich mit einem merkwürdigen,<br />

mir unbekannten Mann durch einen finsteren Wald. Wir<br />

krochen durch Erdtunnel, kletterten über Felsen und wollten einen<br />

Berg besteigen. Bei solchen Träumen stehe ich manchmal<br />

neben mir und freue mich darüber, was ich da gerade wieder Aufregendes<br />

träume. Ich merke also, dass ich träume, was die psychedelische<br />

Wirkung noch erhöht. Manchmal werde ich dann allerdings<br />

auch traurig, weil ich weiß, dass der Traum leider bald zu<br />

Ende sein wird, spätestens, wenn wir die Bergspitze erreichen.<br />

Wenn ich aus einem wilden Traum erwache, bin ich immer traurig.<br />

Oft notiere ich mir dann, was passiert ist. Alle Songs, die ich<br />

schreibe, sind von meinen Träumen beeinflusst.<br />

Musiker zu sein ist dagegen kein Traum, sondern<br />

nüchterne Realität. Das ist meine Arbeit, mit der ich meinen Lebensunterhalt<br />

finanziere. Wären meine Kindheitsträume wahr<br />

geworden, wäre ich nämlich ein Filmstar geworden. So wie Gena<br />

Rowlands. Als Kind bin ich oft mit unserem Schultheater aufge-<br />

33 Aufgezeichnet von Christoph Dallach Foto Nadine Elfenbein Zu hören unter www.zeit.de/audio

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