DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks
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WIRTSCHAFT<br />
<strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong>: Herr Kim, ein Arzt als Chef der Weltbank?<br />
Sie haben selbst mal gesagt, Sie wüssten<br />
nicht, was ein Hedgefonds ist ...<br />
Jim Yong Kim: Das habe ich gesagt, ehe ich die<br />
Leitung der Universität in Dartmouth übernahm.<br />
Aber seit ich mich dort um das Stiftungskapital<br />
von 3,5 Milliarden Dollar kümmern musste, weiß<br />
ich sehr wohl, was ein Fonds ist! Es stimmt, dass<br />
ich der erste Chef der Weltbank bin, der nicht<br />
vorher Banker oder Politiker war. Dafür bin ich<br />
der erste, der praktische Erfahrungen in der Entwicklungshilfe<br />
hat.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Schon mit Bankern aneinandergeraten?<br />
Kim: Ganz und gar nicht. Ich treffe in der Weltbank<br />
viele Leute, die echtes Interesse an der Arbeit<br />
haben. Ein kleiner Teil schreibt vor allem wissenschaftliche<br />
Studien, die große Mehrheit kommt<br />
aus der Praxis und will, dass unsere Investitionen<br />
etwas verändern. Wir reden Klartext miteinander.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Und das ist neu?<br />
Kim: Es gab Zeiten in der Bank, da ging es vor<br />
allem um die ganz großen Ideen. Da wurde Strukturanpassung<br />
verordnet, Freihandel und freie<br />
Märkte, und es hieß: »Privatisiert die Gesundheitsversorgung!«<br />
oder »Lasst das Kapital frei fließen!«.<br />
Einige dieser Ideen halten wir auch heute<br />
noch für richtig, aber es gibt nicht die eine Lösung<br />
für alle. Besser, man entwickelt die passende<br />
Strategie für jedes einzelne Land – und dann können<br />
die Länder voneinander lernen.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Wie soll das gehen?<br />
Kim: Es gab in den Achtzigern den Durchbruch<br />
der evidenzbasierten Medizin ...<br />
<strong>ZEIT</strong>: Das heißt: Kein Eingriff, ohne dass die<br />
Wirkung belegt ist ...<br />
Kim: ... und seitdem erforschen Mediziner systematischer<br />
den Erfolg von Therapien. Ähnlich<br />
muss es in der Entwicklungspolitik sein. Wir<br />
müssen konkret fragen: Was hat funktioniert und<br />
was nicht? Wenn wir dann ein Land beraten, können<br />
wir beispielsweise sagen: Subventionen für<br />
Treibstoff haben meist diese und jene Wirkungen.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Machen Sie damit nicht eine tonangebende<br />
Institution zur Service-Einrichtung?<br />
Kim: Es gibt ja nach wie vor eine Menge Leute in<br />
der Bank, die große Ideen haben, und das ist sehr<br />
wichtig. Auch den Freiraum, darüber intensiv zu<br />
diskutieren, muss eine Wissensbank bieten. Es<br />
gab ja beispielsweise mal eine große Debatte darüber,<br />
ob man seine Grenzen für den Handel öffnen<br />
sollte oder nicht – heute verschließt sich kaum<br />
noch ein Land dieser Idee.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Der Grad und das Tempo der Öffnung sind<br />
allerdings nach wie vor strittig.<br />
Kim: Das ist der Punkt. Solche Entscheidungen<br />
kann man treffen, wenn man die Vor- und Nach-<br />
»Ich<br />
setze auf<br />
Beweise«<br />
Der neue Weltbankchef Jim Yong<br />
Kim zweifelt an großen Th eorien<br />
und allgemeingültigen Lösungen<br />
Jim Yong Kim war Arzt und Helfer<br />
teile der unterschiedlichen Modelle kennt. Als<br />
ich in Äthiopien war, interessierte sich die Regierung<br />
intensiv dafür, was sie von den Südkoreanern<br />
lernen könnte. Denen war auch mal vorhergesagt<br />
worden, sie würden sich nie entwickeln,<br />
aber dann schafften sie einen rasanten Aufstieg.<br />
Manche Wissenschaftler sagen: Der Konfuzianismus<br />
war der Schlüssel. Vor Jahrzehnten hieß es<br />
noch: Konfuzius ist das Problem. Solche Deutungsunterschiede<br />
machen mich sehr misstrauisch,<br />
wenn ich von angeblich allgemeingültigen<br />
Lösungen höre.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Ökonomen lieben allgemeingültige Ideen.<br />
Kim: Die helfen uns ja auch, anders zu denken.<br />
Aber Äthiopien braucht konkrete Hilfe bei der<br />
ländlichen Entwicklung und keine abstrakten<br />
Großentwürfe. Die gute Nachricht ist: Wir bei<br />
der Bank haben eine Unmenge von Experten, die<br />
haben in allen Ländern der Welt gearbeitet und<br />
kennen 20, 30 oder 40 Beispiele für Landwirtschaftsreformen.<br />
Die wissen genau, wo es funktioniert<br />
hat und wo es danebengegangen ist.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Landwirtschaft gilt als Schüssel zur Entwicklung,<br />
gerade die Nahrungsmittelproduktion<br />
steckt in einer dramatischen Krise. Sie sind in<br />
Iowa aufgewachsen, dort herrscht schlimme<br />
Dürre ...<br />
Kim: Ich habe dort Freunde, mit denen ich auf<br />
Facebook Kontakt halte, und kenne deren Sorgen.<br />
Ja: Dies ist die schlimmste Dürre seit 50 Jahren,<br />
und wir sind extrem beunruhigt.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Die Preise für Getreide sind explodiert, in<br />
manchen Ländern droht Hunger.<br />
Kim: Ich kenne das Problem aus der Perspektive<br />
des Arztes, ich habe in Ländern gearbeitet, in denen<br />
Menschen krank wurden, weil sie extrem unterernährt<br />
waren. Diese Bedrohung steckt mir sozusagen<br />
in den Knochen. Wir sind in der Bank<br />
hellwach, um die Länder, die ihre Menschen nicht<br />
ausreichend ernähren können, mit Wissen, Finanzmitteln<br />
und notfalls Lebensmitteln zu unterstützen.<br />
Wir wollen nicht, dass Eltern ihre Kinder<br />
aus der Schule nehmen müssen, weil sie nicht genug<br />
zu essen haben. Oder dass sie sich den Arzt<br />
nicht mehr leisten können.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Es gab immer wieder Kritik, dass die Weltbank<br />
gerade in der Landwirtschaft die Falschen<br />
unterstützt. Sie hat zum Beispiel in Entwicklungsländern<br />
die Investitionen von Agrarkonzernen finanziert.<br />
Kleinbauern wurden vertrieben und indigene<br />
Völker. Manche nennen das »Landraub«.<br />
Kim: Glauben Sie mir: Dieses Problem nehmen<br />
wir ganz besonders ernst. Eine Bestandsaufnahme<br />
war eine meiner ersten Beschäftigungen. Es ist<br />
ganz gewiss nicht die Absicht der Weltbank,<br />
Kleinbauern zu vertreiben, und es widerspricht<br />
unseren Wertvorstellungen, Menschen ihren Lebensunterhalt<br />
zu rauben. Im Gegenteil: Wir wollen,<br />
dass die Menschen von ihrem Land leben und<br />
es nachhaltig bewirtschaften können.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Müssten Sie sich nicht stärker in politische<br />
Debatten einmischen, um das zu erreichen? Beispielsweise<br />
bei der Biospritproduktion?<br />
Kim: Sie wissen, das ist ein hoch kontroverses<br />
Thema. Die Produktion von Pflanzen, aus denen<br />
dann Biosprit wird, begann ja einst als gute Idee.<br />
Man wollte die Klimagase reduzieren. Aber jetzt<br />
wachsen die Sorgen, dass Biosprit zu den höheren<br />
Lebensmittelpreisen beiträgt. Mein Eindruck ist,<br />
dass sich selbst die Wissenschaftler noch nicht einig<br />
sind. Wir müssen die Auswirkungen auf die<br />
Armen noch besser verstehen.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Wie politisch können Sie sein?<br />
Kim: Beim Klimawandel hat sich die Weltbank ja<br />
durchaus aus dem Fenster gehängt. Noch einmal:<br />
Ich bin der erste Wissenschaftler an ihrer Spitze,<br />
und bei diesem Thema sehe ich klar, dass es unter<br />
den Experten einen Konsens gibt. Die Klimaforscher<br />
haben gerade wieder bestätigt, dass das extreme<br />
Wetter dieses Sommers<br />
» Vielleicht schauen<br />
eine Folge der Treibhausgase ist,<br />
und wir beobachten in den Meeren<br />
Veränderungen, von denen<br />
wir dachten, sie träten erst bei<br />
zwei Grad ein. Ich verspreche Ihnen:<br />
Eines der Themen, über die<br />
ich laut reden werde, ist der Klimawandel.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Auch wenn Amerikaner<br />
und Chinesen manche Konsequenz<br />
daraus nicht gern hören?<br />
Kim: Meine Aufgabe ist, den Politikern die wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse nahezubringen.<br />
Man muss sich mithilfe von Beweisen durchsetzen,<br />
damit Entscheidungen besser getroffen werden<br />
können. Ist das politisch? Vielleicht, aber gerade<br />
deswegen verlasse ich mich auf die Fakten.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Auch bei den Umwelt- und Sozialstandards<br />
für Infrastrukturprojekte gibt es unterschiedliche<br />
Vorstellungen, etwa zwischen Europa und den<br />
großen Schwellenländern. Manche der Kriterien<br />
sind von Indien und China verwässert worden.<br />
Werden Sie sich für strenge Regeln einsetzen?<br />
Kim: Ich habe meinen Job als überzeugter Multilateralist<br />
angetreten. Wir müssen die Diskussionen<br />
über Standards intensiv führen. Das betrifft<br />
natürlich besonders die Energieversorgung.<br />
Unterwegs in Afrika habe ich erlebt, wie gigantisch<br />
die Herausforderung ist: Viele Länder<br />
brauchen ein immenses Wachstum, aber die<br />
Energie fehlt. Nigeria muss seine Energieproduktion<br />
in zehn bis fünfzehn Jahre verfünf-<br />
20. September <strong>2012</strong> <strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong> N o <strong>39</strong> 23<br />
fachen – auf der anderen Seite müssen wir<br />
Rücksicht auf die Umwelt nehmen.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Werden Sie über die Euro-Krise sprechen?<br />
Kim: Ich hoffe sehr, dass Sie die Krise bald überwinden.<br />
Sonst wären die Auswirkungen auf die<br />
Entwicklungsländer enorm! Der Nahe Osten,<br />
Nordafrika, ganz Afrika, viele Regionen leiden<br />
schon jetzt.<br />
europäische Länder<br />
sich etwas von den<br />
Erfahrungen der<br />
koreanischen<br />
Wirtschaftskrise der<br />
90er Jahre ab? «<br />
<strong>ZEIT</strong>: Würde die Weltbank eigentlich auch Län-<br />
dern wie Griechenland und Spanien helfen?<br />
Kim: Die Regierungen müssen uns natürlich fragen.<br />
Und wir sagen ihnen nicht, was sie zu tun<br />
haben. Aber wir bieten ihnen die besten Leute,<br />
die auch anderswo in Krisensituationen gearbeitet<br />
haben und ihnen Optionen vorstellen können.<br />
Wenn das hilft – wir kommen gern. Und wir<br />
bringen dann auch das Wissen des Südens mit.<br />
Denn es gibt inzwischen eine Menge Dinge, die<br />
reiche Länder von den Entwicklungsländern lernen<br />
können.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Zum Beispiel?<br />
Kim: Vielleicht schauen sich ja auch europäische<br />
Länder etwas von den Erfahrungen der koreanischen<br />
Wirtschaftskrise in den<br />
späten neunziger Jahren ab?<br />
Oder nehmen Sie das Gesundheitswesen,<br />
das ist für jedes<br />
Land zentral. In vielen Entwicklungsländern<br />
gibt es schon<br />
lange einfache Gesundheitsdienste<br />
in den Gemeinden,<br />
und jetzt stellen Sie sich vor:<br />
Die Vereinigten Staaten von<br />
Amerika haben festgestellt,<br />
dass solche Basismediziner die<br />
Kosten des Gesundheitswesens verringern und die<br />
Versorgung verbessern können – selbst bei sehr<br />
kranken Patienten.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Macht Ihnen der neue Job Freude – oder ist<br />
er vor allem anstrengend?<br />
Kim: Ich staune über die Möglichkeiten. Ich habe<br />
mein Leben lang gegen Armut und Krankheit<br />
gekämpft. Ich habe für Wohn- und Ernährungsprogramme<br />
gearbeitet, in Sibirien ein Gesundheitssystem<br />
aufgebaut und diese Arbeit geliebt.<br />
Und plötzlich kann ich mit den Ministern Niebel<br />
und Schäuble darüber reden, morgen mit Politikern<br />
in Südafrika. Wissen Sie: Ich träume tatsächlich<br />
immer noch von einer Welt ohne Armut.<br />
Und da ist die Weltbank eine von zwei, drei Organisationen,<br />
die dafür wirklich Entscheidendes tun<br />
können. Jeden Morgen gehe ich zur Arbeit, und<br />
denke: Okay, was könnte besser sein?<br />
Das Gespräch führten CHRISTIANE GREFE<br />
und PETRA PINZLER<br />
Fotos: Manfred Klimek für <strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong>