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DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

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FEUILLETON<br />

Geburt des Theaters<br />

Vor dem Theater, morgens. Natürlich<br />

trifft man gleich welche, die schon<br />

wissen, dass es idiotisch ist. Drei<br />

Opern an einem Tag, alle drei, die von<br />

»Il divino Claudio« überliefert sind,<br />

das ist doch bloß Event und Rekordversuch, die<br />

werden sich gegenseitig erschlagen. Manche haben<br />

sich den Verdacht zurechtgelegt, dass eine Neuinstrumentierung,<br />

die auch arabische Einsaiter und<br />

einen Synthesizer umfasst, nur weltmusikalisches<br />

Gaga sein kann, Populismus! Fürs Erste versprechen<br />

sie sich Kontaktpflege von diesem Tag an Berlins<br />

Komischer Oper. So viele Intendanten, Dramaturgen,<br />

Dirigenten sind angereist, dass ein Hauch Betriebsausflug<br />

in der Spätsommerluft liegt.<br />

Aber auch ein Hauch Huldigung. Ohne ihn, ohne<br />

Claudio Monteverdi, gäbe es das Genre gar nicht.<br />

Vielleicht erhofft man sich da den Zuspruch des<br />

großen, alten Bruders in einer anstrengenden Zeit,<br />

er hatte es ja auch nicht leicht. Alle sind erschöpft, es<br />

schläft keiner mehr ausreichend, alle haben Sorgen,<br />

erst recht die großen, rumpelnden Opernhausmaschinen.<br />

Dauernd werden sie auf einen ominösen Prüfstand<br />

geschoben, der, von wem, weiß keiner, so<br />

eingestellt ist, dass der Pfeil immer auf »zu teuer«<br />

zeigt. Das hat Konsequenzen, das schlaucht. Manche<br />

halten sich aufrecht mit der Gewissheit, dass schon<br />

seit gut 400 Jahren Opern gespielt werden.<br />

Im Theater, vormittags, Orpheus. Ein tiefes<br />

schwankendes D vom Kontrabass. Flirrende Orientalistik<br />

von einer Djoze, einem einsaitigen Streichinstrument<br />

aus dem Irak. Etwas Cimbalom. Frühe<br />

Regungen, die Oper ist noch gar nicht erfunden, nur<br />

Amor gibt es längst, einen alterslosen Mann im rosa<br />

Röckchen, der sich an einem Teich zu schaffen macht.<br />

Der Tod ist auch schon da, ein Mann in Schwarz<br />

lenkt die zarten Bewegungen einer skelettartigen<br />

Puppe. Dann aber platzt die Toccata aus dem Graben,<br />

und überall im Raum, in den Rängen, im wuchernden<br />

Garten, sind plötzlich Nymphen und Faune und<br />

lassen an langen Stangen Vögel flattern. Nymphen<br />

und Faune! Wo sind wir denn hier? In einem deut-<br />

schen Opernhaus des frühen 21. Jahrhunderts? Egal,<br />

es ist das pure Glück. Wäre der Jubel der Musik nicht<br />

so stark, man könnte hören, wie den Kritikern die<br />

Skalpelle und Messgeräte vom Schoß fallen. Es ist ein<br />

Ausbruch von so traumhafter, bunter Vitalität, dass<br />

einem der Grauschleier von Augen und Ohren gerissen<br />

wird und man nichts Geringeres erlebt als die<br />

Geburt des Theaters. Regisseur Barrie Kosky, der hier<br />

als Regisseur zugleich seine Intendanz eröffnet, ist<br />

offensichtlich kein bisschen erschöpft – und auch<br />

nicht naiv. In der überwältigenden Direktheit seines<br />

arkadischen Urknalls stecken alle Erfahrungen des<br />

Regietheaters, Ironie, Überspitzung, Brechung.<br />

Er hatte aber einfach mal Lust, neu anzufangen<br />

auf dieser Basis. Im wuchernden Garten, den Katrin<br />

Lea Tag geschaffen hat, gedeihen surreal große<br />

Früchte, während der Teich eindeutig ein Plastikpool<br />

ist. Das Timing, in dem die Fabelmenschen<br />

ausschwärmen, ist genau auf die Partitur abgestimmt.<br />

Elena Kats-Chernin, die sie neu instrumentiert,<br />

teils neu komponiert hat, lässt sie auch<br />

nicht einfach deswegen so arabisch starten, weil<br />

ein bisschen Cross-over nie schaden kann. Die Renaissance,<br />

aus der Monteverdi wuchs, ist undenkbar<br />

ohne den Umweg antiker Stoffe über jene<br />

maurischen Gelehrten, die sie besser hüteten als<br />

die Christen. Was wiederum alles egal ist, wenn<br />

man sich von dieser Musik verstanden fühlt.<br />

Es entsteht jene Komik, unter der<br />

man die Tiefe ahnt<br />

Dass Monteverdis Linien und Harmonien für Freude<br />

und Trauer, Schmerz und Hoffnung über 400<br />

Jahre hinweg ihre Bindungskraft behalten haben, ist<br />

ein Wunder, das gerade hier deutlich wird, im durchtrieben<br />

schlichten Setting. Wenn Orpheus (man singt<br />

deutsch) vom Tod seiner Eurydike erfahren hat, spielt<br />

Amor versonnen und tröstlich mit Papierschiffchen<br />

im Bassin, es sind aber zugleich die Vehikel des Fährmanns<br />

Charon – eine von vielen unaufwendigen,<br />

beiläufigen, treffenden Chiffren. In diesem Bassin<br />

ertrinkt am Ende der Held, anstatt mit Apoll zum<br />

Himmel aufzusteigen. Die Freudengesänge der Hirten<br />

sind zum puren Rhythmus skelettiert, in einem<br />

Trommelgewitter kämpft der Sänger vergeblich gegen<br />

seinen Untergang.<br />

Theater, mittags, 33 Jahre später. So viel Zeit verging<br />

für Monteverdi zwischen L’Orfeo und Il ritorno<br />

d’Ulisse, uraufgeführt 1640 in Venedig, diesmal nicht<br />

für einen vermögenden Herrscher, sondern für bürgerliches<br />

Publikum und mit kleinerem Etat, also<br />

ohne Chor. Vom zeitlosen Arkadien zum historisch<br />

grundierten Mythos, vom Garten zur Kunstrasenschräge,<br />

um die herum nun das Orchester sitzt – acht<br />

Celli, viel Blech, zwei Flügel, zwei moderne Harfen,<br />

eine westafrikanische Stegharfe, eine arabische Laute.<br />

Diesmal hat der exzellente Dirigent André de<br />

Ridder Probleme mit der Koordination, es fehlt zunächst<br />

am metrischen Zugriff, und auf dem Kunstrasen<br />

geht es szenisch so reduziert zu, dass ein paar<br />

Erschöpfte im Publikum eine Siesta einlegen. Theater<br />

ist eben auch anstrengend.<br />

Gerade noch rechtzeitig reißt Kosky den kargen<br />

Gegenentwurf zum verlorenen Arkadien hoch zur<br />

Karikatur, gemeinsam mit Monteverdi, der neben<br />

dem Erfinder der Oper auch ihr erster Hochkomiker<br />

ist. Die Freier, die Penelope belagern und hier als<br />

halbseidene Knallchargen auf Klappstühlen lümmeln,<br />

wären aber ohne Wirkung, hätte man nicht<br />

zuvor erlebt, wie bitter das ungewisse Warten für<br />

Penelope und Odysseus war. Die zwanzig Jahre der<br />

Trennung stellt man sich gern vor mittelmeerischem<br />

Hintergrund vor. Von dem bleibt hier nur das Funkeln<br />

der Kaskaden an Flügeln und Harfen, wobei das,<br />

nicht fern von Poulenc, auch etwas Ironisches hat.<br />

Der Kunstrasen lässt eher an Ehepaare denken, die<br />

sich auf ihrem Stückchen Grün vorm Reihenhaus<br />

auch ungetrennt nie wirklich finden.<br />

Monteverdi schreibt jetzt differenzierte, realitätsnahe<br />

Rezitative, in den Zwischenspielen lässt noch<br />

Orpheus grüßen. Zugleich aber wird deren archaische<br />

Aura von Elena Kats-Chernin in Tango und Paso<br />

doble überführt, und wenn dazu die Freier posen,<br />

entsteht jene Komik, hinter der es eben nicht flach,<br />

sondern tief wird. Trotzdem bleibt das Ganze so<br />

skizzenhaft wie das von Monteverdi überlieferte<br />

Material. Weder der Komponist spannt den großen<br />

Bogen noch der Regisseur – wobei ironischerweise<br />

der große Bogen des Odysseus zentrales Requisit ist.<br />

Es bleibt ein Tastversuch, Theater in der Krise, auch<br />

im 17. Jahrhundert, eine Krise, die dort allerdings<br />

einen ungeheuren Sprung vorbereitet.<br />

Zu preisen ist Barrie Kosky, einer der<br />

musikalischsten Regisseure heutzutage<br />

Arkadische Szene aus<br />

Monteverdis »Orpheus«<br />

an der Komischen Oper<br />

Berlin<br />

Vorm Theater, abends. Irgendwie ist man sogar<br />

erleichtert, dass der Odysseus ein bisschen karg und<br />

nicht nur aufregend war. Wer den ganzen Tag in<br />

und vor einem Opernhaus zubringt, sieht es gern,<br />

wenn es auch gewisse Parallelen zum Alltag gibt,<br />

vorausgesetzt, dass die Kurve am Abend wieder<br />

steigt. Und das tut sie, gerade weil Claudio Monteverdi,<br />

mittlerweile 75 Jahre alt, nur zwei Jahre<br />

nach seinem Odysseus, endgültig in der gesellschaftlichen<br />

Gegenwart ankommt mit der Krönung<br />

der Poppea. Längst versunken das mythische<br />

Arkadien mit seinen zeitlosen Schmerzen, es gibt<br />

auch keine Helden mehr, keine lauteren Herrscher.<br />

Es gibt Intrigen, Machtwahn, Geilheit, nirgends<br />

einen Gott.<br />

Außer natürlich Amor, den überragenden Peter<br />

Renz, der aber nun, längst zynisch geworden, als Diva<br />

mit weißer Boa den Champagnerkelch aus dem<br />

Bassin füllt, das einst ein Teich in Arkadien war und<br />

nun eine Pfütze in einer Steinwüste ist. Und Amor<br />

unterstützt ausgerechnet die Verbindung der Bösesten.<br />

Nur, wie böse sind Nero und Poppea? Monteverdi<br />

liefert in Dialogen von einer treffsicheren Rasanz,<br />

neben der jedes deutsche Fernsehspiel eine<br />

Meditationsrunde ist, eine Kritik der Macht und der<br />

Feigheit, die umso tiefer sitzt, als er jedem Protagonisten<br />

differenziert begegnet. Dem finalen Herrscherpaar,<br />

das über die Leiche des Philosophen Seneca geht,<br />

schreibt er eines der schönsten aller Liebesduette.<br />

20. September <strong>2012</strong> <strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong> N o <strong>39</strong> 53<br />

Abenteuerreise in die Welt Claudio Monteverdis:<br />

In Berlin sind alle drei Opern des Komponisten an einem Tag<br />

zu sehen – ein aufregender Kraftakt VON VOLKER HAGEDORN<br />

Niemanden verurteilt er mit seiner Musik, alle<br />

sieht er genau an, mal spöttisch, mal einfühlend. Eine<br />

comédie humaine der Oper, von keinem eingeholt – es<br />

ist, als habe Monteverdi die Entwicklung der Gattung<br />

vom Urmythos bis zu dem Moment, in dem Menschen<br />

wie wir auf der Bühne die Augen aufschlagen,<br />

in seinem Schaffen vorweggenommen. Barrie Kosky<br />

ist nicht der Erste, der die Gegenwärtigkeit entdeckt,<br />

aber er kann im Zusammenhang der Trilogie zusätzlich<br />

den Prozess der Ernüchterung zeigen, in der<br />

die Sehnsucht dem Zynismus weicht. Er will außerdem<br />

zeigen, welche Grausamkeiten der Zynismus<br />

hervorbringt. Sein Nero, seine Poppea foltern, blenden,<br />

richten hin. Sie sind richtig böse.<br />

Damit aber bleibt Kosky weit hinter Monteverdi<br />

zurück und auch hinter dem aktuellen Stand der<br />

Opernregie. Wie man eine Vergewaltigung so inszeniert,<br />

dass die Musik stirbt, das hat an diesem Haus<br />

vor neun Jahren Calixto Bieto vorgeführt, das brauchen<br />

wir nicht mehr, und eigentlich ist Kosky selbst<br />

viel weiter – als einer der musikalischsten Regisseure.<br />

Es ist wunderbar, wenn die gewaltige Amme Arnalta<br />

in Gestalt einer Putzfrau ihre Kippe genau dann ins<br />

Gürteltäschchen ascht, wenn neben fünf Bratschen<br />

ein Synthi-Ornament aufflackert. Und wie dieselbe<br />

Amme – Thomas Michael Allen mit dem raren Register<br />

des Haute-Contre – ihr Wiegenlied für Poppea<br />

singt, für diese Innigkeit hat Kosky Sinn.<br />

Und was dann nachts bleibt, wenn seltsamerweise<br />

niemand mehr erschöpft ist, das sind doch<br />

weniger diese und jene Schwäche und die Frage, ob<br />

das Banjo in der Poppea nicht unter seinen Möglichkeiten<br />

eingesetzt wurde. Es ist Bewunderung für 32<br />

Solisten, viele überragend, für einen kreativen Kraftakt,<br />

der weit mehr als die Summe seiner Teile hervorbrachte,<br />

nämlich das Universum eines Künstlers,<br />

der so viel von uns weiß, der unsere Gefühle in einer<br />

ungeheuren Klarheit wachruft. Natürlich wird sich<br />

das wieder alles relativieren, und die Kritiker haben<br />

ihr Besteck längst wieder zur Hand genommen.<br />

Aber so geht das ja nun schon seit 400 Jahren.<br />

Manchmal fühlen die sich an wie ein Tag.<br />

Foto (Ausschnitt): drama-berlin.de

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