DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks
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MANCHMAL GIBT einem der Zufall Antworten, ehe man<br />
seine Fragen gestellt hat. Der Taxifahrer, der mich vom Flughafen Dallas<br />
zum Hotel bringen soll, heißt Haile, ist Mitte vierzig und stammt<br />
aus Eritrea. Er glaubt an Gott, Großzügigkeit und Dirk Nowitzki.<br />
Haile trägt ein blaues T-Shirt mit Nowitzkis 41. Sein Taxi riecht nach<br />
Süßholz, an seinem Rückspiegel baumelt ein Rosenkranz aus blau-weißen<br />
Plastikperlen, die Farben der Dallas Mave ricks. Auf seinem Armaturenbrett<br />
klebt eine elfenbeinerne Plakette, der heilige Christophorus,<br />
Schutzpatron der Autofahrer. Direkt daneben: eine goldgerahmte Autogrammkarte<br />
von Dirk Nowitzki mit langen Haaren und Stirnband.<br />
Nowitzki ist der Grund, warum ich nach Dallas gekommen bin,<br />
aber davon weiß der Taxifahrer nichts, als er »Saint Dirk« sagt und<br />
lächelt, »savior of Dallas basketball«. Der Verkehr ist dickflüssig, die<br />
Sonne steht steil auf dem Asphalt, die Klimaanlage des Taxis jammert.<br />
Haile hupt und jubelt und reicht mir Lakritz. Warum ich nach<br />
Dallas gekommen sei, fragt er. Ich sei hier, um Dirk Nowitzki zu<br />
treffen, erkläre ich und nicke Richtung Armaturenbrett, Richtung<br />
blau-weißer Rosenkranz, es seien ja jetzt Play-offs. Haile dreht sich in<br />
voller Fahrt um und starrt mich fassungslos an. »You’re meeting Dirk?<br />
Are you fucking joking?«<br />
Wie viele andere habe auch ich einmal von einer Basketballkarriere<br />
geträumt. Die Träumerei aufgegeben habe ich 1994, als man zum<br />
ersten Mal Gerüchte von einem talentierten Spargeltarzan aus Würzburg<br />
hörte, 16 Jahre alt, knapp zwei Meter groß, sehr beweglich und<br />
mit exzellentem Wurf. In den Turnhallen erzählte man sich, dass er das<br />
Zeug zum besten Spieler Deutschlands habe. Ein paar Jahre später sah<br />
ich Nowitzki dann zum ersten Mal spielen, Brandt Hagen gegen<br />
Würzburg, es muss 1998 gewesen sein. Das Spiel war nicht ausverkauft.<br />
Nowitzki war jetzt 2,13 Meter und musste sich schon damals<br />
nicht mehr an die Rollen und Regeln halten, an die man in Deutschland<br />
glaubte: Große und schwere Spieler unter den Korb, kleine und<br />
schnelle nach außen. Nowitzki konnte alles. Er war groß, schnell und<br />
clever, er konnte von überall werfen und treffen, er dribbelte und fand<br />
seine freien Mitspieler – er beherrschte das Spiel auf allen Ebenen.<br />
14<br />
Dallas-Mavericks-Fans im American Airlines<br />
Center, »the house that Dirk built«<br />
Nowitzki schien die Struktur des Spiels besser lesen zu können, er<br />
schien schneller zu denken. Er war anders als alle anderen Basketballspieler,<br />
die wir damals kannten. Mein altes Team gewann das Spiel<br />
gegen Würzburg, doch wir hatten die Zukunft des Spiels gesehen.<br />
Basketball hat mich nie in Ruhe gelassen. Ich liebe das Spiel, das<br />
ich nur noch selten spiele. Ich bin Enthusiast, in seltenen Momenten<br />
bin ich Fan. Wenn ich Basketballspiele sehe, ist da eine melancholische<br />
Begeisterung, eine freudige Nostalgie, eine angenehme Trauer um die<br />
Dinge, die einmal möglich schienen, aber nie geschehen sind. Solche<br />
wie mich gibt es viele: Nostalgiker und Statistikliebhaber, theoretische<br />
Sportler. Dirk Nowitzki ist unser Stellvertreter. Er ist alles, was wir<br />
niemals geworden sind. Nur viel, viel besser.<br />
In Deutschland ist Dirk Nowitzki bekannter als das Spiel, das er<br />
spielt. Er ist berühmt, weil er berühmt ist. Seit Jahren wirbt er für eine<br />
Bank und eine Sportmarke. Er sitzt bei Wetten, dass..?. In den USA ist<br />
Nowitzki ein echter Superstar. Er gehört zu den absolut Besten einer<br />
uramerikanischen Sportart. Die eigenen Fans lieben Nowitzki, die<br />
gegnerischen fürchten ihn. Zu Recht. Journalisten und Kulturwissenschaftler<br />
schreiben über das Faszinosum Nowitzki. Angela Merkel<br />
empfängt ihn im Kanzleramt, Barack Obama empfängt ihn im Weißen<br />
Haus. Nowitzki ist der beste Europäer, der jemals das Spiel gespielt<br />
hat. Er ist der beste weiße Basketballer seiner Zeit. Er war wertvollster<br />
Spieler der Finalserie, Fahnenträger bei Olympia, Allstar,<br />
NBA-Champion. Sein Spiel hält dem immensen Sportwissen Amerikas<br />
stand – statistisch, taktisch und historisch. Mehr noch: Nowitzki<br />
hat ein amerikanisches Spiel grundlegend verändert, er hat es revolutioniert.<br />
Basketball nach Nowitzki ist anders als Basketball vor ihm:<br />
beweglicher, variabler, weniger erwartbar, feiner, raffinierter.<br />
Ich bin in Dallas, um von Nowitzkis Bedeutung und den Gründen<br />
dafür zu erzählen. Es gibt unfassbar viele Texte zu Nowitzki, es<br />
gibt Biografien, es gibt Hunderte Interviews und Porträts. Dirk Nowitzki<br />
steht in der Gala, im Goldenen Blatt und in der Super Illu. Die<br />
Geschichte, die erzählt wird, ist immer ähnlich: Ein Junge aus Würzburg<br />
wird allen Widerständen und Unwahrscheinlichkeiten zum Trotz