15.06.2013 Aufrufe

DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

MANCHMAL GIBT einem der Zufall Antworten, ehe man<br />

seine Fragen gestellt hat. Der Taxifahrer, der mich vom Flughafen Dallas<br />

zum Hotel bringen soll, heißt Haile, ist Mitte vierzig und stammt<br />

aus Eritrea. Er glaubt an Gott, Großzügigkeit und Dirk Nowitzki.<br />

Haile trägt ein blaues T-Shirt mit Nowitzkis 41. Sein Taxi riecht nach<br />

Süßholz, an seinem Rückspiegel baumelt ein Rosenkranz aus blau-weißen<br />

Plastikperlen, die Farben der Dallas Mave ricks. Auf seinem Armaturenbrett<br />

klebt eine elfenbeinerne Plakette, der heilige Christophorus,<br />

Schutzpatron der Autofahrer. Direkt daneben: eine goldgerahmte Autogrammkarte<br />

von Dirk Nowitzki mit langen Haaren und Stirnband.<br />

Nowitzki ist der Grund, warum ich nach Dallas gekommen bin,<br />

aber davon weiß der Taxifahrer nichts, als er »Saint Dirk« sagt und<br />

lächelt, »savior of Dallas basketball«. Der Verkehr ist dickflüssig, die<br />

Sonne steht steil auf dem Asphalt, die Klimaanlage des Taxis jammert.<br />

Haile hupt und jubelt und reicht mir Lakritz. Warum ich nach<br />

Dallas gekommen sei, fragt er. Ich sei hier, um Dirk Nowitzki zu<br />

treffen, erkläre ich und nicke Richtung Armaturenbrett, Richtung<br />

blau-weißer Rosenkranz, es seien ja jetzt Play-offs. Haile dreht sich in<br />

voller Fahrt um und starrt mich fassungslos an. »You’re meeting Dirk?<br />

Are you fucking joking?«<br />

Wie viele andere habe auch ich einmal von einer Basketballkarriere<br />

geträumt. Die Träumerei aufgegeben habe ich 1994, als man zum<br />

ersten Mal Gerüchte von einem talentierten Spargeltarzan aus Würzburg<br />

hörte, 16 Jahre alt, knapp zwei Meter groß, sehr beweglich und<br />

mit exzellentem Wurf. In den Turnhallen erzählte man sich, dass er das<br />

Zeug zum besten Spieler Deutschlands habe. Ein paar Jahre später sah<br />

ich Nowitzki dann zum ersten Mal spielen, Brandt Hagen gegen<br />

Würzburg, es muss 1998 gewesen sein. Das Spiel war nicht ausverkauft.<br />

Nowitzki war jetzt 2,13 Meter und musste sich schon damals<br />

nicht mehr an die Rollen und Regeln halten, an die man in Deutschland<br />

glaubte: Große und schwere Spieler unter den Korb, kleine und<br />

schnelle nach außen. Nowitzki konnte alles. Er war groß, schnell und<br />

clever, er konnte von überall werfen und treffen, er dribbelte und fand<br />

seine freien Mitspieler – er beherrschte das Spiel auf allen Ebenen.<br />

14<br />

Dallas-Mavericks-Fans im American Airlines<br />

Center, »the house that Dirk built«<br />

Nowitzki schien die Struktur des Spiels besser lesen zu können, er<br />

schien schneller zu denken. Er war anders als alle anderen Basketballspieler,<br />

die wir damals kannten. Mein altes Team gewann das Spiel<br />

gegen Würzburg, doch wir hatten die Zukunft des Spiels gesehen.<br />

Basketball hat mich nie in Ruhe gelassen. Ich liebe das Spiel, das<br />

ich nur noch selten spiele. Ich bin Enthusiast, in seltenen Momenten<br />

bin ich Fan. Wenn ich Basketballspiele sehe, ist da eine melancholische<br />

Begeisterung, eine freudige Nostalgie, eine angenehme Trauer um die<br />

Dinge, die einmal möglich schienen, aber nie geschehen sind. Solche<br />

wie mich gibt es viele: Nostalgiker und Statistikliebhaber, theoretische<br />

Sportler. Dirk Nowitzki ist unser Stellvertreter. Er ist alles, was wir<br />

niemals geworden sind. Nur viel, viel besser.<br />

In Deutschland ist Dirk Nowitzki bekannter als das Spiel, das er<br />

spielt. Er ist berühmt, weil er berühmt ist. Seit Jahren wirbt er für eine<br />

Bank und eine Sportmarke. Er sitzt bei Wetten, dass..?. In den USA ist<br />

Nowitzki ein echter Superstar. Er gehört zu den absolut Besten einer<br />

uramerikanischen Sportart. Die eigenen Fans lieben Nowitzki, die<br />

gegnerischen fürchten ihn. Zu Recht. Journalisten und Kulturwissenschaftler<br />

schreiben über das Faszinosum Nowitzki. Angela Merkel<br />

empfängt ihn im Kanzleramt, Barack Obama empfängt ihn im Weißen<br />

Haus. Nowitzki ist der beste Europäer, der jemals das Spiel gespielt<br />

hat. Er ist der beste weiße Basketballer seiner Zeit. Er war wertvollster<br />

Spieler der Finalserie, Fahnenträger bei Olympia, Allstar,<br />

NBA-Champion. Sein Spiel hält dem immensen Sportwissen Amerikas<br />

stand – statistisch, taktisch und historisch. Mehr noch: Nowitzki<br />

hat ein amerikanisches Spiel grundlegend verändert, er hat es revolutioniert.<br />

Basketball nach Nowitzki ist anders als Basketball vor ihm:<br />

beweglicher, variabler, weniger erwartbar, feiner, raffinierter.<br />

Ich bin in Dallas, um von Nowitzkis Bedeutung und den Gründen<br />

dafür zu erzählen. Es gibt unfassbar viele Texte zu Nowitzki, es<br />

gibt Biografien, es gibt Hunderte Interviews und Porträts. Dirk Nowitzki<br />

steht in der Gala, im Goldenen Blatt und in der Super Illu. Die<br />

Geschichte, die erzählt wird, ist immer ähnlich: Ein Junge aus Würzburg<br />

wird allen Widerständen und Unwahrscheinlichkeiten zum Trotz

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!