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DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

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POLITIK<br />

Monaten beschuldigte er wiederholt deutsche kirchliche<br />

NGOs, sich zu einer Verschwörung gegen<br />

Khartoum zusammengeschlossen zu haben. Die<br />

CDU nennt Tayyib »böse«, weil sie die christliche<br />

politische Kaste gegen den Islam aufwiegele.<br />

In den Tagen und Wochen vor dem Sturm der<br />

deutschen Botschaft steigerte sich die antideutsche<br />

Berichterstattung dann zu einem Stakkato.<br />

Am vergangenen Freitag erschien Al-Intibaha mit<br />

einem Aufruf zur Demonstration vor der deutschen<br />

und amerikanischen Botschaft, »weil das<br />

christliche Deutschland (…) schon öfter diffamierende<br />

Bilder, Filme und Texte über unseren<br />

Propheten verbreitet hat«. Der Deutschland-Hass<br />

gilt zwar in Khartoumer Regierungskreisen vor<br />

allem als Tayyibs persönlicher Feldzug. Doch<br />

kommt er auch dem Präsidenten gelegen, drängt<br />

er doch die sozialen Proteste der vergangenen<br />

Monate gegen Armut und Preissteigerungen ins<br />

Abseits.<br />

In Tunesien sind die Fanatiker<br />

ein Risiko erster Ordnung<br />

Heißt all das nun, dass die Zornesausbrüche der<br />

vergangenen Tage wenig relevant und die Errungenschaften<br />

des Arabischen Frühlings stabil und<br />

unumkehrbar sind? Das heißt es nicht. Es mögen<br />

nur weniger Eiferer sein, die versuchen, alte<br />

Konfliktmuster wiederzubeleben. Doch auch<br />

kleine Gruppen können große Wirkungen entfalten.<br />

Die letzte weltpolitische Zäsur haben am<br />

11. September 2001 gerade einmal zwei Dutzend<br />

Fanatiker ausgelöst. Und noch ist keineswegs<br />

entschieden, welches Gesellschaftsmodell<br />

sich in den islamischen Revolutionsländern<br />

durchsetzen wird.<br />

In Tunesien, dem Land, in dem im Dezember<br />

2010 alles anfing, ist der Salafismus mittlerweile kein<br />

Randphänomen mehr, sondern ein Risiko erster<br />

Ordnung. Es gibt Kleinstädte, in denen Fundamentalisten<br />

seit Monaten diktieren, was erlaubt ist und<br />

was nicht. Seit Monaten attackieren sie vielerorts<br />

Kulturzentren, Kinos, Galerien, Hotelbars, Universitäten.<br />

Eine im Land verbreitete Stimmung sieht in<br />

den Salafisten die Verteidiger des Heiligen. In der<br />

europäisch beeinflussten Mittelschicht der Küstenregionen<br />

hingegen geht die Furcht vor Gegenaufklärung<br />

und Dunkelmännertum um. In einem<br />

Monat läuft die Frist ab, in der die verfassunggebende<br />

Versammlung ein Grundgesetz beschließen sollte.<br />

Man wird sie nicht einhalten. Der Streit um die<br />

Artikel, die aus dem Land einen Gottesstaat ohne<br />

echte Gewaltenteilung machen würden, erweist sich<br />

als unlösbar.<br />

Diese Entwicklung zeigt, was auf dem Spiel steht.<br />

Schaffen die muslimischen Länder den Übergang<br />

in die Demokratie – oder nimmt die Abwehrhaltung<br />

zu säkularen Modellen gefährliche Züge an? Die<br />

Chancen für die aufgeklärte Variante stehen trotz<br />

vieler Hindernisse günstig wie nie. Dieselben arabischen<br />

Medien, die vor sechs Jahren mit dem Karikaturenstreit<br />

noch reißerisch Quote machten,<br />

berichten jetzt über die Unfähigkeit der Polizei, einen<br />

»kleinen Mob« zu kontrollieren und Botschaften<br />

zu schützen. Sie erklären die amerikanische Sicht<br />

auf die Meinungsfreiheit und thematisieren die<br />

schwierige Lage der islamistischen Regierungen<br />

zwischen Pragmatismus und Ideologie. Höchste Zeit<br />

für den Westen, seine Sicht auf die Region genauso<br />

zu schärfen.<br />

Siehe auch Feuilleton, Seiten 43 und 45;<br />

Glauben & Zweifeln, Seite 58<br />

»Gläubige<br />

müssen den Film<br />

boykottieren«<br />

Halb so wild, alles im Griff: Ordnungskräfte im Rücken der Demonstration<br />

Der ägyptische<br />

Islam-Minister<br />

Scheich Afi fi verteidigt<br />

die Meinungsfreiheit –<br />

bis zu einem<br />

gewissen Punkt<br />

<strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong>: Scheich Afifi, haben Sie den Schmähfilm<br />

gegen den Propheten Mohammed gesehen?<br />

Scheich Talaat Afifi: Nein, ich habe ihn nicht gesehen<br />

und rate niemandem dazu, sich so etwas anzutun.<br />

Das bloße Ansehen ist eine Sünde.<br />

<strong>ZEIT</strong>: Das müssen Sie erklären.<br />

Afifi: Es ist verboten, dass ein Muslim etwas sieht<br />

oder hört, das seinem Glauben widerspricht.<br />

Wenn man weiß, dass der Inhalt eines Videos oder<br />

einer Karikatur sich gegen Gott und seinen Propheten<br />

richtet, darf man sich nicht damit befassen.<br />

<strong>ZEIT</strong>: Auch wenn Sie das Video nicht gesehen haben,<br />

haben Sie wahrscheinlich eine Meinung dazu.<br />

Afifi: Das ist ein Anti-Islam-Film. Er beleidigt alle<br />

Muslime – und deswegen rufe ich alle Gläubigen<br />

auf, ihn zu boykottieren. Mehr kann ich dazu<br />

nicht sagen.<br />

<strong>ZEIT</strong>: Ein Boykott ist aber schwierig in den Zeiten<br />

von Internet und Satellitenfernsehen.<br />

Afifi: Gott sagt im Koran: »Böse Menschen sind in<br />

der Gesellschaft von bösen Menschen gut aufgehoben.«<br />

Die Macher dieses Films wollen Hass und<br />

Gewalt verbreiten. Doch sie haben das Gegenteil<br />

erreicht: Wir lieben unseren Propheten, wir verehren<br />

ihn jeden Tag ein bisschen mehr. Er lebt in<br />

unseren Herzen, und wir werden ihn mit jeder<br />

Faser davon verteidigen.<br />

<strong>ZEIT</strong>: Manche Radikale verstehen unter Verteidigung<br />

Gewalt gegen westliche Botschaften.<br />

Afifi: Kein Mensch sollte solch eine Beleidigung<br />

seines Propheten hören und dazu schweigen. Wir<br />

sollten unsere Religion verteidigen, aber ohne<br />

Mord, ohne Gewalt. Ich frage mich, was es bringt,<br />

einen Botschafter zu töten? Ein<br />

Gebäude in Brand zu setzen? Eine<br />

Fahne zu verbrennen?<br />

<strong>ZEIT</strong>: Wer ruft da zur Gewalt auf?<br />

Afifi: Diejenigen, die schon festgenommen<br />

wurden und ihre gerechte<br />

Strafe bekommen werden,<br />

das sind alles Leute mit eigenen<br />

Interessen. Sie wollen Kapital aus<br />

der ganzen Geschichte schlagen.<br />

Es sind immer wieder die Gleichen,<br />

die Probleme machen. Das<br />

sind keine Repräsentanten des Islams.<br />

Es sind Extremisten mit einer<br />

eindeutigen Agenda, die das<br />

Land destabilisieren wollen, sodass<br />

wir nie zu einem guten Leben kommen können.<br />

Das ärgert mich.<br />

<strong>ZEIT</strong>: Wen meinen Sie damit?<br />

Afifi: Die Kader des alten Regimes haben ein<br />

großes Interesse daran, uns Probleme zu berei-<br />

Scheich Talaat Afifi ist<br />

Minister für islamische<br />

Angelegenheiten in der<br />

Regierung des<br />

Präsidenten Mursi<br />

20. September <strong>2012</strong> <strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong> N o <strong>39</strong> 7<br />

ten. Und dann sind auch noch die selbst ernannten<br />

Dschihadisten am Werk, die im Namen<br />

des Islams willkürlich Menschen töten.<br />

Im letzten Jahr starben dadurch vor allem viele<br />

unschuldige Muslime in Ägypten.<br />

<strong>ZEIT</strong>: Einige dieser Extremisten fühlen sich<br />

den Salafisten zugehörig. Die<br />

salafistische Al-Nur-Partei hat<br />

vor sechs Wochen durchgesetzt,<br />

dass Sie Minister wurden.<br />

Afifi: Ich gehöre keiner Partei<br />

an. Der salafistische Islam ruft<br />

nicht zu Krawallen auf; das sind<br />

Leute, mit denen wir nichts zu<br />

tun haben und nichts zu tun<br />

haben wollen. Nirgendwo in<br />

der Scharia steht, dass wir Botschafter<br />

töten, Fahnen verbrennen<br />

oder Gebäude stürmen<br />

sollen.<br />

<strong>ZEIT</strong>: Schützt der ägyptische<br />

Staat westliche Botschaften ausreichend?<br />

Afifi: Der Schutz von Botschaften und Botschaftspersonal<br />

ist eine Verantwortung, die<br />

wir übernommen haben. Wenn wir Botschaften<br />

auf unserem Boden nicht schützen, werden<br />

morgen unsere Botschaften im Ausland<br />

angegriffen. Wir geben uns also Mühe, dieser<br />

Verpflichtung nachzukommen. Ich habe<br />

heute bei meiner Fahrt durch die Stadt gesehen,<br />

dass Polizei und Militär eine Mauer<br />

rund um die US-Botschaft errichtet haben;<br />

das ist ein Anfang. Dennoch muss ich sagen:<br />

Ich verstehe nicht, warum Menschen in den<br />

Vereinigten Staaten einen solchen Film drehen.<br />

Wir Muslime beleidigen ja auch keinen<br />

Propheten. Mose, Jesus, Noah – das sind alles<br />

Heilige für uns. Das kann man unserer Religion<br />

nicht nehmen: Wir respektieren andere<br />

Religionen, auch wenn wir denken, dass sie<br />

falsch sind.<br />

<strong>ZEIT</strong>: Das koptische Christentum ist eine dieser<br />

anderen Religionen. Hat Ägypten nicht ein<br />

Problem mit der Diskriminierung von Kopten?<br />

Afifi: Wir haben mit den Christen kein Problem.<br />

Sie leben hier friedlich und harmonisch<br />

seit 1400 Jahren, seit es den Islam gibt. Wir<br />

sind Brüder und Schwestern, und in Ägypten<br />

gibt es genügend Platz für alle. Wir verstehen<br />

uns gut.<br />

<strong>ZEIT</strong>: Sind Sie sicher? Der Macher des Films<br />

führt diese Diskriminierung als seine Hauptmotivation<br />

an.<br />

Afifi: Ich bin sehr sicher. Dieser Typ will unsere<br />

Gesellschaft nur spalten.<br />

<strong>ZEIT</strong>: Sie waren mehrmals in den Vereinigten<br />

Staaten. Wie sehen Sie die Idee der Rede- und<br />

Meinungsfreiheit, die dort herrscht?<br />

Afifi: Die Wahrheit ist, dass ich dort die meiste<br />

Zeit in Moscheen verbracht habe, vor allem<br />

weil ich immer zum Ramadan in die Staaten<br />

geflogen bin. Dennoch kann ich dieses amerikanische<br />

Prinzip der absoluten Redefreiheit<br />

verstehen. Der Respekt für Ansichten, die einem<br />

nicht passen, ist ein zutiefst islamisches<br />

Prinzip.<br />

<strong>ZEIT</strong>: Tatsächlich?<br />

Afifi: Gott sagt: »Beleidigt nie diejenigen, die<br />

Gott beleidigen, denn am Ende wird sie Gott<br />

bestrafen.« Das bedeutet für mich nichts anderes<br />

als absolute Redefreiheit. Aber ohne Grenzen<br />

geht das auch wieder nicht: Ich darf dabei<br />

nicht die Rechte anderer verletzen, vor allem<br />

darf ich nicht ihre Propheten und ihre heiligen<br />

Schriften in den Dreck ziehen. Ich rufe deswegen<br />

zu einer islamisch disziplinierten Redefreiheit<br />

auf.<br />

<strong>ZEIT</strong>: Also doch keine absolute Meinungsfreiheit?<br />

Afifi: Solch ein Verständnis grenzenloser Freiheiten<br />

führt zu Problemen, wie wir sie jetzt<br />

wieder haben. Gott, sein Prophet und der Islam<br />

bleiben für mich unantastbar.<br />

Die Fragen stellte MOHAMED AMJAHID<br />

Fotos (S.6 - 7): Mohammed Huwais/AFP/Getty Images (l.); Yahya Arhar/EPA/dpa (m.); Mohammed Huwais/AFP/Getty Images (r.); Middle East News Agency (kl., u.)

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