DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks
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Und die Reaktionen der Eltern und Erzieher<br />
verstärken diese Vorlieben weiter. Auch viele<br />
Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen<br />
lassen sich so erklären.<br />
Ich gestehe, dass ich Frauen ausgesprochen<br />
anziehend finde, wenn sie mit Schlagbohrmaschinen<br />
hantieren. Aber trotz aller Bemühungen<br />
haben mir meine Töchter nie<br />
die Freude gemacht, sich für Technik zu interessieren.<br />
Mein Sohn hingegen geriet<br />
schon mit einem Jahr in Erregung, sobald er<br />
mich zu einem Schraubenzieher greifen sah.<br />
Gerade für Eltern, die Geschlechterrollen<br />
durchbrechen wollen, ist es oft zum Verzweifeln.<br />
Dass Testosteron Männer zu Elektrowerkzeugen<br />
hinziehen könnte, ist natürlich<br />
absurd. Sehr wohl aber kann dieses Hormon<br />
in Jungen einen Hang zu ausladenden Bewegungen<br />
bewirken. Papa ist dann für sie interessanter,<br />
wenn er werkelt, als am Schreibtisch.<br />
Und indem der Kleine das imitiert und selbst<br />
immer geschickter mit Werkzeugen umgeht,<br />
verstärkt sich der anfänglich kleine Unterschied<br />
zu seinen Schwestern.<br />
30<br />
»Besuch für die Kuh« von Rosa, 6 Jahre<br />
Demnach wäre es grundsätzlich unmöglich,<br />
den Einfluss der Gene von dem der<br />
Umwelt zu trennen.<br />
Weil Menschen ihre Umwelt ständig verändern,<br />
können wir nie wissen, welchen Effekt<br />
bestimmte Anlagen haben. Ein anderes gutes<br />
Beispiel ist die Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung<br />
ADHS ...<br />
... das sogenannte Zappelphilipp-Syndrom.<br />
Hunderttausende Kinder in<br />
Deutschland bekommen dagegen täglich<br />
Ritalin.<br />
ADHS hat genetische Ursachen. Doch für<br />
unsere fernen Vorfahren spielten sie überhaupt<br />
keine Rolle. Wenn überhaupt, dann<br />
waren hyperaktive Menschen bessere Jäger.<br />
Aber wenn Sie Kinder mit diesen Anlagen in<br />
eine Schule setzen, haben Sie ein Problem.<br />
Und schon spricht man von einer genetisch<br />
bedingten Krankheit. Dabei gibt es die Umgebung<br />
Klassenzimmer, in der ADHS erst<br />
auftritt, gerade einmal seit 100 Jahren.<br />
Ritalin gibt uns die Möglichkeit, diese<br />
Kinder der Schule anzupassen.<br />
Vor allem ihren Eltern. Denn die kommen<br />
eindeutig mit hyperaktiven Kindern unter<br />
Ritalin besser zurecht. Hingegen fehlt bisher<br />
der Nachweis, dass sich dieses Medikament<br />
positiver auf den Schul erfolg auswirkt als beispielsweise<br />
eine Verhaltenstherapie.<br />
Andererseits kann ich Eltern verstehen,<br />
die ihrem Kind die Pille verschreiben<br />
lassen, weil sie fürchten, dass ein völlig<br />
unkonzentriertes Kind in der Schule für<br />
immer den Anschluss verliert.<br />
Nur schlucken hier in den USA schon Dreijährige<br />
Ritalin – das ist Wahnsinn. Doch gewiss<br />
gibt es Fälle, in denen man zu jedem<br />
Mittel greifen muss.<br />
Zumal die Eltern auch keine unendliche<br />
Kapazität haben, ihr Kind zu unterstützen.<br />
Schon unter normalen Umständen<br />
brauchen Kinder oft mehr, als wir ihnen<br />
geben können. Das ist für mich die<br />
schmerzliche Seite daran, Vater zu sein.<br />
Elternschaft stellt uns im Alltag vor einige der<br />
tiefsten moralischen Dilemmata, die es überhaupt<br />
gibt. Auch dies macht unser Verhältnis