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DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

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Meistermannschaft habe er deshalb nur durch Zufall mitbekommen.<br />

Nur wenn er reception hatte. Nowitzki stockt kurz, manchmal schleichen<br />

sich englische Brocken in sein Deutsch, aber er macht sich noch<br />

die Mühe, das zu korrigieren: Empfang! Bei Empfang hat er erfahren,<br />

dass sein Spielmacher Jason Kidd, sein Adjutant Jason Terry und sein<br />

bester Freund Brian Cardinal nicht zurückkommen werden. Aber<br />

nach vierzehn Jahren in der Liga scheint er solche Dinge ganz nüchtern<br />

zu sehen. Letzte Saison ist letzte Saison, jetzt trainiert er für das<br />

nächste Jahr. Jetzt geht wieder alles von vorne los. Wenn er über Sport<br />

redet, klingt Nowitzki manchmal wie eine Maschine. Er fährt schnell<br />

und ruhig, der Wagen riecht neu, die Strecke ist alt.<br />

Vor den Fenstern wird es Herbst, wir rauschen zwischen Pappelreihen<br />

und Gladiolenfeldern entlang, ein Hauch von Gold liegt über<br />

den Hügeln. Dirk spricht von der jungen britischen Kunst, die seine<br />

Frau ausstellt und die er manchmal nicht verstehe, vom Fliegen, das<br />

wie Busfahren sei, von den Feierlichkeiten des Sommers. Wir schweigen<br />

kurz. Jetzt wäre es an der Zeit, die konkreten Fragen zu stellen, die<br />

ich mir zurechtgelegt habe, denke ich, aber ich lasse die Gelegenheit<br />

ungenutzt verstreichen. Ich bleibe Beifahrer, wir unterhalten uns gut.<br />

»Wir haben während Olympia geheiratet«, sagt Dirk, »wir haben Bolt<br />

und Basketball verpasst.«<br />

Kurz hinter dem Ortsschild Rattelsdorf biegt Nowitzki ab und<br />

parkt vor einer Turnhalle, wie es sie überall in Deutschland gibt. Jetzt<br />

am Vormittag ist der Parkplatz fast leer, ein paar Fahrräder, ein einzelner<br />

Pkw. Eine Frau mit Hund und Zigarette nickt uns zu. Keine Kameras,<br />

niemand. »Ich habe diesen Sommer fast drei Monate keinen<br />

Ball in der Hand gehabt«, sagt Dirk und nimmt einen völlig abgewetzten<br />

Lederball aus dem Kofferraum. »Das Teil ist elf Jahre alt, ich<br />

habe seit 2001 jeden Sommer damit trainiert.«<br />

Als wir das Spielfeld betreten, ist Geschwindner längst da. Kunststoffboden,<br />

kein Parkett. Er trainiert ein paar Zwölf- und Dreizehnjährige,<br />

zwei Väter sehen zu. Die Jungs drehen genau die Pirouetten,<br />

machen genau die Ausfallschritte, wirbeln den Ball genauso um ihren<br />

Körper, wie man es von Nowitzki kennt. Bei einigen sieht das wie<br />

22<br />

Stolpern aus, bei anderen ist es ein Tanz. »Wickel«, ruft Geschwindner,<br />

»Innendrehung«, die Anfänge einer Sprache, die er und Nowitzki<br />

seit Jahren sprechen. Die Jungs bemühen sich, Dirk zu ignorieren, als<br />

er seine Schuhe schnürt, aber als er mit staksigen Schritten das Spielfeld<br />

betritt und langsam zu werfen beginnt, wird es still in der Halle.<br />

Die Jungs sehen ihm zu, man sieht ihre Gedanken rasen. Ich notiere<br />

das Wort »andächtig«. Nowitzki wirft und wirft und trifft die ersten<br />

21 Würfe. Wir alle zählen mit.<br />

Wenn Nowitzki und Geschwindner trainieren, herrscht Schweigen.<br />

Die beiden haben diese Laufwege und Übungen in den letzten<br />

Jahren, Jahrzehnten so oft absolviert, dass fast keine Worte nötig sind.<br />

Ein Rennpferd und sein Trainer. Dirk wirft, Holger passt. Holger<br />

nickt, Dirk versteht. Wir beobachten ein Ritual, das Geräusch des<br />

ur alten Basketballs ist ein Mantra, swish, swish, immer wieder. Dirk<br />

wird schneller und schneller, springt höher, trifft besser, die Kon zentra<br />

tion füllt die Halle.<br />

Keiner von uns ist jemals so gut gewesen, und keiner von uns<br />

wird es jemals werden.<br />

Die Wahrheit über Dirk Nowitzki liegt in seinem Kofferraum:<br />

der ur alte Basketball, millionenfach geworfen und gedribbelt, fast<br />

schwarz vor Schweiß und Hallenstaub. Wenn man diesen Ball in den<br />

Händen hat, wird einem klar, warum Dirk Nowitzki ein so unfassbar<br />

guter Basketballspieler geworden ist.<br />

Dirk Nowitzki hat alles, was andere Spieler zum Aufhören, zur<br />

Sta gna tion verleitet: Geld, Ruhm, Auszeichnungen. Interviews, Interviews,<br />

Interviews. »Aber diese Sachen haben mich nie interessiert«,<br />

sagt er, und wenn man ihn trainieren sieht, glaubt man ihm. Man<br />

glaubt der Geschichte vom bescheidenen Superstar, man glaubt an<br />

Bodenständigkeit, an Kon zen tra tion, man glaubt an die Kraft der<br />

Normalität, sogar an Gerechtigkeit. Die Jungs in den Turnhallen<br />

wollen werden wie er. »Ich wollte immer Basketballspieler sein«, sagt<br />

er, »einer der besten.«<br />

Wahrscheinlich muss ich gar nichts Neues über Dirk Nowitzki<br />

sagen: Er ist wie wir. Nur viel, viel besser.<br />

zeitmagazin<br />

nr . <strong>39</strong><br />

Vor einem Play-off-Spiel versammeln sich<br />

die Mannschaftskollegen um Nowitzki

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