DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks
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einer der besten Basketballer der Welt. Mit der Hilfe eines verschroben-genialischen<br />
Mentors geht er unkonventionelle Wege,<br />
trainiert in der Zurückgezogenheit einer oberfränkischen Schulturnhalle<br />
und erreicht schließlich sein großes Ziel. Es ist eine<br />
Legende, eine Heldengeschichte mit verzeihbaren Scharten.<br />
Und ich bin hier, um etwas Neues zu erzählen.<br />
Helden müssen sich schützen. Das System Nowitzki ist ein<br />
geschlossenes. Dirk und ich haben zwar gemeinsame Freunde<br />
– Mithat Demirel, seinen Zimmergenossen bei der Nationalmannschaft,<br />
und Rekordnationalspieler Patrick Femerling –,<br />
aber es gibt ungeschriebene Gesetze, und Nowitzkis Mannschafts<br />
kame ra den würden sich eher ihre Wurfhand abhacken,<br />
als seine Telefonnummer zu verraten. Es blieben die offiziellen<br />
Wege. Wenn ich erst mal in Dallas bin, so habe ich gehofft, wird<br />
das eine zum anderen führen. Die Pressechefin der Mavericks<br />
hat mir ein Interview mit ihm zugesagt. Zehn Minuten nach<br />
dem Spiel. Heute Abend.<br />
Ich habe mir Fragen notiert: nach seinen Ritualen. Nach<br />
der Langeweile des Lebens als Profisportler. Der Bedeutung<br />
seiner Hautfarbe für seine Berühmtheit, der Bedeutung von<br />
Rasse im Sport. Ob ihn manchmal Geldsorgen plagen (die Sorge,<br />
was man mit knapp zwanzig Millionen Dollar pro Jahr anfangen<br />
soll). Wie man vierzehn Jahre lang die Kon zen tra tion bei<br />
der Arbeit so unfassbar hoch hält. Ob Basketball ihm immer<br />
noch Spaß bereitet. Ob man für andere Prominente Sympathie<br />
empfindet (oder nur dasselbe Leid teilt). Ob er zur Motivation<br />
wirklich Joseph Conrads Taifun liest. Wie er seine Position in<br />
der Basketballgeschichte sieht. Wann der erste Paparazzo vor<br />
seiner Tür aufgetaucht ist. Was man denkt, wenn die Bild Polizeifotos<br />
der Exfreundin druckt oder wenn sämtliche Zeitungen<br />
über die Steuerangelegenheiten seines Mentors Holger Geschwindner<br />
berichten. Ob er so bodenständig ist, wie alle sagen.<br />
Wie oft er das alles verflucht. Was ihn am meisten schmerzt.<br />
Wem man vertrauen kann. Was echt ist und was falsch.<br />
Jetzt rase ich mit einem Taxi durch Dallas, und Haile beantwortet<br />
mir sämtliche Fragen mit Enthusiasmus. Er hat den<br />
Highway verlassen und fährt auf Schleichwegen zum American<br />
Airlines Center: Wohngebiete, Industriebrachen, Kakteen, ein<br />
ausgetrocknetes Flussbett. Parkplätze, Hochhäuser, Parkplätze.<br />
Haile weiß alles über Dirk. Wir hauen uns die großen<br />
Momente seiner Karriere um die Ohren: Haile erzählt von Indianapolis<br />
2002, Deutschlands Weltmeisterschaftsbronze, diesem<br />
unerwarteten Erfolg. Nowitzki wurde zum wertvollsten<br />
Spieler des Turniers gewählt. Ich erzähle vom Europameisterschaftsfinale<br />
2005 und wie das Publikum in der Belgrad-Arena<br />
kurz vor Ende des verlorenen Finales gegen die Griechen geschlossen<br />
aufstand und minutenlang applaudierte, als Nowitzki<br />
ausgewechselt wurde. Oder Dirk nach der verlorenen Meisterschaft<br />
2006: wie er in den Katakomben verschwindet, die Hände<br />
über dem Kopf, als habe er gerade einen Schlag in den Magen<br />
bekommen, als ringe er um Luft. Dirk Nowitzki hat in den<br />
letzten vierzehn Jahren für etliche solcher Augenblicke gesorgt.<br />
»Here we are«, sagt Haile und parkt an der Victory Lane.<br />
»The house that Dirk built.«<br />
Ein riesiges Banner zieht sich über das Eingangsportal der<br />
Arena, darauf ein brüllender Dirk und der Play-off-Schlachtruf<br />
der Mave ricks: Dallas is all in. Haile lacht sein gläubiges Lachen:<br />
»Welcome to the church of Nowitzki.« Er ist sich sicher,<br />
dass Dirk heute gewinnen wird. Er rechnet fest mit ihm. Und<br />
mir wird klar, dass ich nicht nur für ein Interview nach Dallas<br />
geflogen bin: Ich will Zeuge einer Heldentat werden. Haile öffnet<br />
mir die Tür und gibt mir seine Karte. »Ein Freund von Dirk<br />
ist ein Freund von mir«, sagt er. »Ruf mich an.«<br />
Die Plaza vor dem American Airlines Center ist bis auf ein<br />
paar Lieferwagen leer, die Sonne brennt, wie die texanische Sonne<br />
eben brennt. Vor einem klimatisierten Fanshop warten zehn,<br />
fünfzehn Verkäufer auf Kundschaft. Alle tragen blaue T-Shirts<br />
mit dem Play-off-Slogan. Eine freundliche Dame mit einem se-<br />
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