DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks
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Foto: Eccles/Delius Klasing Verlag<br />
64 20. September <strong>2012</strong> <strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong> N o <strong>39</strong> REISEN<br />
Die Briten Cee und David Eccles<br />
halten seit über 35 Jahren dem<br />
VW-Bulli die Treue<br />
Lektionen, die<br />
das Campen lehrt<br />
Unser freilufterprobter Autor BJØRN ERIK SASS sucht in drei neuen<br />
Büchern nach Tipps für erfolgreiches Urlauben in der Natur<br />
Zum nahenden Ende der Campingsaison<br />
kann ich melden: Endlich doch etwas<br />
verstanden über das Leben im Freien.<br />
Das habe ich vor allem der Literatur zu<br />
verdanken. Und das kam so: Einmal in<br />
diesem Sommer, da gehen mir der Beton, der Lärm<br />
und die Massen in der Stadt fürchterlich auf die<br />
Nerven. Also lade ich den Kofferraum voll Draußenzeug<br />
und suche einen Platz im Freien. Meine<br />
engere soziale Umgebung findet sich nach meinem<br />
Aufruf zum Camping sämtlich in dringende Verpflichtungen<br />
eingebunden, leider, ehrlich. Ich fahre<br />
allein hinaus und nehme stattdessen einige Bücher<br />
mit, die in den vergangenen zwölf Monaten zum<br />
Thema Camping erschienen sind.<br />
Ich beginne, meinen Abendreis im Blechnapf<br />
zwischen den Knien, mit dem handlichsten Werk:<br />
Das Vorzelt zur Hölle – ist ja schon mal ein sagenhaft<br />
guter Titel. Tommy Krappweis, unter anderem Erfinder<br />
von Bernd das Brot, beschreibt darin, Wie ich<br />
die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte. Wie<br />
er als Kind am liebsten zu Hause auf dem Sofa lesen<br />
und Pumuckl-Kassetten hören wollte. Stattdessen<br />
musste er Sommerferien für Sommerferien mit der<br />
Familie im VW-Bus nach »Egal, es ist überall heiß<br />
und scheiße«-Land fahren. Sein Vater mag Strände<br />
ohne Sand und Plätze ohne Klo und selbst Seeigelstacheln<br />
in den Füßen, denn es zeigt ihm, dass er<br />
wirklich im Urlaub ist. Krappweis hasst das alles.<br />
Das erinnert mich an unsere Familienurlaube in<br />
den Siebzigern. Wir fuhren mit dem Wohnwagen<br />
nach Südfrankreich. Rumpelten immer ohne Pause<br />
durch, immer auf denselben Campingplatz. Spätestens<br />
ab Lyon übergaben sich reisekrank meine Mutter<br />
rechts hinaus, meine Schwester links hinaus und<br />
unser erschöpfungsschaumschnauziger Hund auf<br />
meinen Schoß. Angekommen und das Lager aufgebaut,<br />
steckte sich mein Vater eine Pfeife an, schwärmte<br />
von der glatten Fahrt, holte sich am Imbiss Muscheln<br />
mit Pommes, war also glücklich, und die Familie<br />
ging im Caravan auf Rekonvaleszenz.<br />
Daran muss ich denken, allein an diesem Sommerabend<br />
dort draußen. Und dann wird mir klar:<br />
Viele Campingkinder werden später Campingväter.<br />
Auch ich bin mit meinen Kindern campen gegangen.<br />
Nicht im Wohnwagen, ich wollte sie nicht einengen.<br />
Ich schaute mir mit ihnen Filme wie Der letzte Mohikaner<br />
an. Nach dem Abspann rasierte ich uns<br />
Mohawk-Frisuren und strich uns Farbe ins Gesicht.<br />
Wir nahmen Wurfbeile und Bogen und Käsestullen,<br />
gingen in den Wald, stellten die besten Szenen des<br />
Films nach und schliefen unter einem Ästedach. Ich<br />
fand es großartig. Mein Sohn nicht. Er nahm mir<br />
seine neue Frisur übel, fand unsere Attacken auf die<br />
Waldspaziergänger albern und wollte nach Hause.<br />
Und das ist nun die beängstigende Lehre aus Das<br />
Vorzelt zur Hölle: Bilde ich mir heute ein, für Angehörige<br />
meines Haushaltes ein tolles Campingevent zu<br />
kreieren, wird es mir in vielen Jahren vielleicht als<br />
zorniges »J’accuse!« um die Ohren gehauen. Um meine<br />
Stimmung aufzuhellen, nehme ich als Nächstes<br />
Campingküche – fantasievoll kochen auf kleinem Raum<br />
zur Hand. Ein rundweg schönes Buch. Zwar handelt<br />
es ebenfalls vom Camping, doch gibt es auf all den<br />
Bildern nur eine einzige Dreiviertelhose und kein einziges<br />
Nackensteak zu sehen. Stattdessen viele süße<br />
Kinder; sie schlagen Purzelbäume im Sand und sammeln<br />
Blümchen für einen Sommerblütensalat.<br />
Frauen in den Schlafsack kochen? Mit<br />
dem richtigen Rezept könnte es klappen<br />
Die Menschen in diesem Buch wohnen in einem<br />
putzigen Eriba-Puck-Caravan, mit Kräuterkasten am<br />
Ausstellfenster. Gehen sie in den Wald, hocken sie in<br />
einem Steilwandzelt ohne Boden und Moskitonetz.<br />
Zeltete ich so, die Mücken würden mich binnen eines<br />
Ferientages auslutschen. Weil diese Menschen aber,<br />
schwingt mir als Botschaft aus den Fotos entgegen, so<br />
leckere Sachen essen und sich mit so vielen schönen<br />
Dingen umgeben, sind sie von stachelabwehrender<br />
Immunkraft. Seifert will mit diesem Buch »beweisen,<br />
dass sich das Kochen beim Campen trotz erschwerter<br />
Bedingungen nicht auf Spaghetti mit Tomatensoße,<br />
Würstchen und Kartoffelsalat oder die ewigen<br />
Pommes vom Imbiss beschränken muss«. Die Rezepte<br />
sind in Sektionen für den Strand, den Hinterhof,<br />
den See, den Wald und den Winter gegliedert. Symbole<br />
zeigen, wann ich Topf, Pfanne oder beides brauche.<br />
Die nötige Ausrüstung wurde klein gehalten.<br />
Empfindliche Menschen wie ich reagieren auf all<br />
diese Perfektion zunächst verschüchtert. Das ist natürlich<br />
meine Schuld, die Autorin weiß ja nicht, von<br />
wie weit entfernt sie mich in ihr Leckerschmecker-<br />
Camping-Land abholen muss. Einmal war eine<br />
Freundin meiner Vorstellung von Campingessen<br />
während einer langen Reise durch die USA ausgeliefert.<br />
Ich kochte. Reis. Heute mit Tomaten, morgen<br />
mit Bohnen, übermorgen mit Mais. Nach einiger<br />
Zeit gewöhnte sich diese Freundin an, vor dem<br />
Abendessen eine Runde spazieren zu fahren. Wenn<br />
sie zurückkam, hatte sie meist doch keinen Appetit.<br />
Sie nahm aber nicht ab. Eines Abends setzte ich den<br />
Reis auf und ging spazieren. Gleich außerhalb des<br />
Campingplatzes sah ich unser Auto. Es stand vor<br />
einem Imbiss. Meine Freundin aß eine Pizza. Wir<br />
stritten. Sie behauptete irgendwann sogar, mein Reis<br />
sei nicht lecker. Wir reisten getrennt weiter.<br />
Daher also komme ich und sehe die Zi tro nen tarte<br />
auf Seite 66 der Campingküche und denke: Um Himmels<br />
willen, soll ich denn noch einen Backofen mitschleppen?<br />
Ist dann aber doch nur reine Anrührware.<br />
Kann man eine Frau in den Schlafsack kochen? In<br />
diesem Buch steht jedenfalls, wie es gehen könnte.<br />
Und im nächsten, in welchem Unterschlupf sich<br />
der Schlafsack noch besser machen würde: Für ihr<br />
Mit dem Bulli durch die Welt haben David und Cee<br />
Eccles Fotos und Geschichten von VW-Bussen, ihren<br />
Besitzern und Reisen gesammelt. Viele bildhübsche<br />
Fahrzeuge sind darunter: makellos eingerichtet, Vorhänge<br />
vor den Fenstern, nirgends ein Riss in der Innenverkleidung,<br />
nicht ein Schmorfleck von zu heiß<br />
abgestellten Töpfen auf den Küchenarbeitsplatten.<br />
Es muss wunderschön sein, in einem solchen Puppenstubentraum<br />
zu campen, am liebsten zusammen mit<br />
den Mädels vom Immenhof auf einer Pony-Koppel.<br />
Sollte unser blitzsauberes Abenteuer von Dauer sein,<br />
brauchte so ein Bus noch einen Anhänger: In dem<br />
führen dann Putzfrau, Inneneinrichterin und Kfz-<br />
Meisterin mit.<br />
Es gibt aber auch die Menschen, die tatsächlich<br />
aufbrechen. Von hier durch Afrika. Von dort nach<br />
Indien und Südamerika und immer weiter. Monate-<br />
und jahrelang. Da wird nicht geschraubt und geschweißt<br />
und lackiert, um für VW-Bus-Vereinstreffen<br />
auf gut gemähter Wiese kataloggetreu auszusehen,<br />
sondern allein, um weiterzukommen. Ein Foto zeigt<br />
einen Bulli auf einer anatolischen Schotterpiste: Viel<br />
mehr Lust aufs Draußensein passt nicht in ein Bild.<br />
Tommy Krappweis: Das Vorzelt zur Hölle. Wie<br />
ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte.<br />
Knaur Verlag, München <strong>2012</strong>; 272 S., 8,99 €<br />
Claudia Seifert, Julia Hoersch, Nelly Mager:<br />
Campingküche: Fantasievoll kochen auf kleinem<br />
Raum. AT Verlag, Aarau <strong>2012</strong>; 160 S., 24,90 €<br />
David und Cee Eccles: Mit dem Bulli durch<br />
die Welt: Der VW-Bus und seine Fans.<br />
Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2011; 176 S., 19,90 €