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DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

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WIRTSCHAFT<br />

Unter den Wüsten und Steppen der Mongolei lagern gewaltige Rohstoff vorkommen. Kann<br />

das Land davon profi tieren – oder wird sein Reichtum zum Fluch? VON ANGELA KÖCKRITZ<br />

Möglichkeiten geschaffen: Ihre Tochter macht gerade<br />

ein Praktikum in der Bank in Tsogtsesi.<br />

Und doch, sagen die Zogtgerels, hat die Entwicklung<br />

zwei Seiten. Die andere Seite, das sind<br />

die Zäune und die Mauern, die jetzt überall gebaut<br />

werden. »Früher«, sagt Zogtgerel, »konnten wir die<br />

Tiere hinführen, wo wir wollten. Jetzt können wir<br />

uns nicht mehr so frei bewegen.« Auch die Wasserknappheit<br />

macht Zogtgerel Sorgen. »Ich weiß<br />

nicht, ob es daran liegt, dass unser Brunnen schon<br />

so alt ist oder ob es mit dem Bergbau zu tun hat,<br />

doch in der letzten Zeit ist der Wasserspiegel stark<br />

gesunken.« Umweltschützer teilen seine Bedenken,<br />

sie kritisieren die Bergbauprojekte scharf, entstehen<br />

doch ausgerechnet die beiden größten des<br />

Landes im fragilen Ökosystem der Gobiwüste.<br />

Der Kohlehügel, sagt Zogtgerel, wehe an windigen<br />

Tagen Staub und Schmutz auf die Weiden, »für<br />

die Tiere ist das nicht gut«.<br />

Im Camp des Staatsunternehmens Erdenet<br />

wartet bereits sein Kollege, Campleiter R. Natsagdash.<br />

Er ist ein viel beschäftigter Mann, immer<br />

klingelt eines seiner beiden Handys, dann wieder<br />

kommen Parlamentarier zu Besuch, alle wollen<br />

wissen, wie es vorangeht. Er steht in seinem kleinen<br />

Containerbüro, gleich dahinter liegt die<br />

Waschküche, in der Erdenechimeg arbeitet, und<br />

tippt auf eine Karte, auf der unterschiedlich große<br />

Kringel zu sehen sind: die Vorkommen. 6,4 Milliarden<br />

Tonnen hochwertiger Kokskohle liegen hier.<br />

Noch beschäftigt das Projekt gerade mal 300 Mitarbeiter,<br />

2016 aber wird es das größte staatliche<br />

Bergbauunternehmen des Landes sein.<br />

Der Bauleiter ist kein Typ, der zu Überschwänglichkeit<br />

neigt, und doch malt er fantastische<br />

Visionen in den Gobisand. Die Kohle soll in<br />

einem ersten Verarbeitungsschritt gereinigt werden,<br />

ein Kraftwerk soll entstehen, ein Industriekomplex,<br />

zu viel wolle er da allerdings noch nicht<br />

verraten. Mitten in der Wüste soll eine neue Stadt<br />

gebaut werden, eine Erdenet-Stadt für Erdenet-<br />

Mitarbeiter, für 10 000 Menschen hat man geplant.<br />

Das mit dem Wasser, sagt der Campleiter,<br />

sei gar kein Problem, »wir haben da staatliche Gutachten«.<br />

Die Botschaft des Campleiters: Die Mine<br />

schafft Arbeitsplätze. Und nutzt außerdem jedem<br />

Mongolen. »Unabhängig vom Alter und Geschlecht<br />

soll jeder Mongole Anteile am Unternehmen<br />

erhalten. Wenn sie die nicht wollen, können<br />

sie sie verkaufen und Bargeld dafür bekommen.«<br />

Für Erdenechimeg und Zogtgerel steht fest: Sie<br />

werden die Aktien behalten. Ein bisschen haben<br />

sie sich schon an Geschenke des Staates gewöhnt.<br />

Vor der letzten Wahl hat man ihnen 500 000 Tugrig<br />

versprochen, etwa 300 Euro, 300 000 haben sie<br />

dann wirklich bekommen. »Wie wir das ausgegeben<br />

haben? Ach, keine Ahnung«, lacht Zogtgerel.<br />

»Irgendwie haben wir’s schon verbraten. Wahrscheinlich<br />

für das Studium der Töchter.« Im Prinzip<br />

aber findet er die Bargeldgeschenke nicht richtig.<br />

»Viel besser wäre es doch gewesen, der Staat<br />

hätte mit dem Geld Schulen und Straßen gebaut,<br />

das hätte allen etwas gebracht.« Zogtgerel glaubt,<br />

dass von dem Bergbauboom nur wenige profitieren<br />

werden. »Und wir gehören nicht dazu.«<br />

Das mit den Cash-Handouts, sagt Otgochuluu,<br />

der Mann von dem Thinktank, war einfach nur fatal.<br />

»Das ganze Hot Money macht die Politiker völlig<br />

kurzsichtig. Sie machten Wahlgeschenke, bei der<br />

letzten Wahl bekam jeder Mongole Bargeld, und was<br />

waren die Folgen? Die Inflation ging hoch, die Zentralbank<br />

erhöhte den Leitzins, der Privatsektor litt,<br />

und viele Jobs wurden vernichtet.« Ob die Mongolei<br />

es schaffen wird, ihren Reichtum gut zu verwalten,<br />

das liege an den Menschen, glaubt Otgochuluu. Und<br />

an politischen Institutionen.<br />

Einerseits scheinen diese, trotz Korruption, für<br />

eine junge Demokratie recht stabil zu sein – eine<br />

Ausnahme waren die Unruhen bei der Wahl von<br />

2008. Andererseits aber wirken sie bisweilen ähnlich<br />

zusammengewürfelt wie die Architektur Ulan-<br />

Bators. Beim Wahlrecht hat man sich sowohl von<br />

Deutschland als auch von Großbritannien inspirieren<br />

lassen, beim Budgetrecht von Neuseeland,<br />

»von jedem ein bisschen, und am Ende passt es<br />

nicht wirklich zusammen«, sagt Otgochuluu.<br />

Was die Mongolei außer Bodenschätzen<br />

noch zu bieten hat, ist schwer zu sagen<br />

Mit einem Mal geht die Tür auf und P. Tsagaan<br />

schreitet herein, der Berater des Präsidenten für<br />

Rohstoffpolitik. Kopfschüttelnd überreicht er seine<br />

Visitenkarte: »Da steht Senior Advisor drauf,<br />

dabei müsste es doch Chief Advisor heißen. Pff,<br />

meine Berater können alle kein Englisch.« Die<br />

Bargeldgeschenke ans Volk, sagt er, »waren ein<br />

wirklich schlechtes Beispiel. Das Parlament hat sie<br />

jetzt verboten«.<br />

Ein Staatsfonds, das sei die einzige Lösung,<br />

»Dutch Disease und den Fluch der Bodenschätze<br />

zu vermeiden«. Nur so könnten die Einnahmen<br />

aus den Bodenschätzen sinnvoll verwaltet werden.<br />

»Wir schauen uns das genau an, 60 Länder haben<br />

ganz unterschiedliche Lösungen gefunden.« Er<br />

persönlich liebäugele mit dem norwegischen Pensionsfonds,<br />

auch einige arabische Länder hätten<br />

gute Lösungen gefunden. Statt Bargeld zu verteilen,<br />

solle die Regierung lieber soziale Anreize setzen.<br />

»Kindergeld zum Beispiel.«<br />

Die eine Frage ist, wie man die Einnahmen aus<br />

den Bodenschätzen sinnvoll verwaltet. Die andere,<br />

was die Mongolei außer Bodenschätzen eigentlich<br />

zu bieten hat. Wenn das Land wirklich dem Fluch<br />

der Bodenschätze entkommen will: Welche Geschäftszweige<br />

könnte es dann noch entwickeln?<br />

Keine einfache Frage – bei diesen Nachbarn.<br />

Südgobi, Tavan Tolgoi. Mitten in der Wüste<br />

tut sich ein schwarzer Schlund auf, Bagger graben<br />

sich tief in die Kohlevorkommen hinein. Am<br />

Rand des Abgrunds steht Minenmanager B. Batsaikhan,<br />

ein bulliger Typ, Goldringe an dicken<br />

Fingern, die Sonnenbrille erinnert an Men in<br />

Black. Er ist kein Mann der großen Worte. Lieber<br />

raucht er genüsslich vor einem »Hier können Sie<br />

rauchen«-Schild, eher wirkt es wie ein »Hier können<br />

Sie nicht rauchen«-Schild, dem einer das<br />

»nicht« davongetragen hat, doch wer könnte das<br />

hier schon so genau sagen. Er nickt zu den Kohlelastern.<br />

»Kommt alles nach China. Bald werden<br />

wir die größten Exporteure des Landes sein.« Noch<br />

liefern sie unter Weltmarktpreis, eine Tonne für 70<br />

US-Dollar.<br />

Otgochuluu lächelt müde. »Der niedrige Preis,<br />

den wir für unsere Kohle bekommen, das hat ein<br />

wenig damit zu tun, dass die Kohle noch nicht veredelt<br />

ist. Viel mehr aber mit der Macht der Chinesen.<br />

China ist unser einziger Käufer. Es absorbiert<br />

92 Prozent unserer Exporte und versorgt uns mit<br />

der Hälfte an Importen, Öl nicht eingeschlossen.<br />

Das mongolische Wachstum hängt ganz am chinesischen.«<br />

Das zu akzeptieren ist für viele Mongolen<br />

nicht einfach, pflegen sie doch ihre antichinesischen<br />

Ressentiments mit Leidenschaft.<br />

»Keines der Viehzüchterkinder<br />

will mehr Viehzüchter sein«<br />

Sie sind ein Erbe des jahrtausendealten Konfliktes<br />

zwischen Nomaden und sesshaften Bauern, vor allem<br />

aber das Erbe einer Zeit, als die Qing-Dynastie die<br />

Mongolei beherrschte. Chinesische Männer, die mit<br />

mongolischen Frauen ausgehen, werden bisweilen<br />

verprügelt, chinesische Wanderarbeiter ebenso – was<br />

viele Mongolen achselzuckend quittieren. »So was<br />

passiert eben«, heißt es dann.<br />

Ganz im Gegensatz dazu steht das diplomatische<br />

Geschick und Feingefühl, das die Mongolei<br />

auf der internationalen Bühne aufbringen muss.<br />

Eingezwängt zwischen zwei Großmächten, Russland<br />

und China, hat jedes Detail das Potenzial,<br />

zur Staatsaffäre zu werden. So auch die Mine Tavan<br />

Tolgoi. Eigentlich sollte sie vom chinesischen<br />

Konzern Shenhua, Peabody sowie einer russischmongolischen<br />

Gruppe gemeinsam entwickelt<br />

werden. Dann aber protestierten Japaner und<br />

Südkoreaner, weil man sie nicht einbezogen hatte,<br />

und die mongolische Regierung blies das Projekt<br />

ab.<br />

Die Mongolei muss auf viele Staaten Rücksicht<br />

nehmen. Um die Übermacht Chinas und Russlands<br />

zu kontern, hat sie die Politik des Dritten<br />

Nachbarn entwickelt. Südkorea, Japan, die USA,<br />

Deutschland, auch Italien zählt die Mongolei zu<br />

diesem Kreis. Gerne würde man dem Einfluss<br />

Chinas auch durch ein Bündnis mit Indien begegnen,<br />

»doch die Inder sind leider nicht so aktiv«.<br />

Die strategische Lage beherrscht auch die<br />

Volkswirtschaft der Mongolei. Die berühmte Eisenbahnlinie<br />

etwa. Sie verläuft einspurig, gerne<br />

würde die Regierung sie ausbauen. Das aber führt<br />

zu allerlei Verwicklungen und Problemen mit dem<br />

russischen Staat, dem 50 Prozent der Linie gehören.<br />

Ähnlich verhält es sich mit den Exporten. Allzu<br />

gerne würde die Mongolei mehr Waren nach<br />

Europa exportieren, doch dazu müssten sie Russland<br />

passieren, »und die Transitgebühren sind<br />

sehr, sehr hoch«, sagt Otgochuluu.<br />

Ohnehin stellt sich die Frage: Was will die<br />

Mongolei eigentlich exportieren, wo China, der<br />

Nachbar im Süden, der Welt doch fast alles billiger<br />

und in besserer Qualität bieten kann? In sozialistischen<br />

Zeiten war die mongolische Industrie entwickelter<br />

als heute. Damals waren etwa 30 Prozent<br />

der Fleischexporte verarbeitet, heute ist es nur<br />

noch ein verschwindend geringer Teil. Aus der<br />

Mongolei stammt zwar ein Drittel der weltweiten<br />

Kaschmirproduktion, das meiste aber wird als<br />

Rohstoff in andere Länder geliefert. Nur wenige<br />

Firmen wie zum Beispiel Gobi schneidern daraus<br />

auch Kleider.<br />

Was Otgochuluu nicht davon abhält, von einer<br />

Zukunft zu träumen, in der die Mongolei Ökofleisch<br />

und feine Kaschmirkleidung in die ganze<br />

Welt verkauft und Ökotourismus in der Steppe<br />

anbietet. »Wir können uns nicht mit China messen.<br />

Wir müssen etwas ganz anderes machen.« Mit<br />

Kaschmirpullis und Reiterferien kann man zwar<br />

nicht Millionen Jobs schaffen. Andererseits gibt es<br />

auch nur 3,18 Millionen Mongolen.<br />

Südgobi, die Jurte der Zogtgerels. Die Nacht<br />

senkt sich über der Steppe. Tochter Sumya geht<br />

die Kamele melken. Sie kann es noch immer wie<br />

im Schlaf, obwohl sie doch längst in Ulan-Bator<br />

Elektrotechnik studiert. Auch sie möchte mal bei<br />

Erdenet arbeiten, am liebsten im Kraftwerk, »so<br />

kann ich nahe bei meiner Familie sein«. Der Bergbauboom<br />

habe sein Gutes, sagt sie, und doch frage<br />

sie sich, »ob noch genug bleibt für die Generationen,<br />

die nach uns kommen«.<br />

Wie diese wohl mal leben werden? Sumya<br />

selbst will keine Viehzüchterin mehr sein, ihren<br />

Freunden und Kollegen geht das genauso. »Und<br />

trotzdem kann ich mir gar keine Mongolei ohne<br />

Nomaden vorstellen. Das macht uns doch aus.«<br />

Zogtgerel hört zu und nickt. »Ich sehe es um<br />

uns herum, keines der Viehzüchterkinder will<br />

mehr Viehzüchter sein. Wir«, sagt er und nickt in<br />

Richtung seiner Frau, »werden bei den Tieren bleiben,<br />

bis wir sterben.« Er schweigt und greift zur<br />

Wodkaflasche, einen kurzen Moment denkt er<br />

nach, will den traurigen Satz wohl nicht so stehen<br />

lassen. Er nimmt einen tiefen Schluck und lacht.<br />

Draußen seufzen die Kamele.<br />

Lastwagen fahren zur Kokskohlemine Tavan Tolgoi im Süden der Gobiwüste<br />

Ein Mädchen springt Seil vor den Toren Ulan Bators<br />

Lastwagen stehen vor dem Bergwerk von Tavan Tolgoi<br />

20. September <strong>2012</strong> <strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong> N o <strong>39</strong> 27<br />

Fotos: Kieran Doherty/Corbis (2); Gilles Sabrie/NYT/Redux/laif (mitte); Angela Köckritz für <strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong> (klein, S. 26)

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