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DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

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KUNSTMARKT<br />

Auf dem aufgeräumten Tisch<br />

liegen iPad und iPhone. In<br />

schöner Regelmäßigkeit summen<br />

die Geräte und melden<br />

diskret den Eingang neuer E-<br />

Mails oder Anrufe. Wir sind in<br />

einer Galerie, in einer jungen<br />

noch dazu. Ihr Name: Kraupa-Tuskany. Der<br />

knapp 30-jährige Amadeo Kraupa-Tuskany betreibt<br />

sie gemeinsam mit seiner Partnerin Nadine<br />

Zeidler, einer Kunsthistorikerin. Seit 2011 zeigt<br />

das Duo meist junge, oftmals internetaffine<br />

Kunst von Künstlern wie AIDS-3D oder Florian<br />

Auer an einer selbst für Berliner Verhältnisse eher<br />

ungewöhnlichen Adresse. Kraupa-Tuskany residiert<br />

in einem ehemaligen Serverraum im vierten<br />

Stock eines alten Ostberliner Bürogebäudes direkt<br />

am Alexanderplatz. Wer den Aufzug nimmt<br />

und den nüchternen Bürogang hinuntergeht,<br />

erwartet hier alles, nur keinen Ausstellungsraum:<br />

Die Nachbarn sind Import-Export-Geschäfte<br />

und Vertreterbüros. »Es war uns wichtig, in ein<br />

Bürogebäude zu gehen«, erklärt Ziegler. »Das hat<br />

etwas Ehrliches.«<br />

Was treibt jemanden dazu, nach einem Boom-<br />

Jahrzehnt in den kriselnden Kunstmarkt einzusteigen?<br />

Was verkauft man da eigentlich und vor allem:<br />

wie? Nach Schätzungen gibt es etwa 400 Galerien<br />

in Berlin. Jedes Jahr schließen einige, dafür machen<br />

neue auf. Der Galerist ist der Zehnkämpfer des<br />

Kunstbetriebs: Er muss kalkulieren, verkaufen,<br />

spekulieren und dabei nicht nur die Kunstproduktion<br />

seiner Künstler, sondern auch die schwierigsten<br />

Sammler lange und geduldig begleiten. Den Besten<br />

gelingt es, ihre Künstler in strategisch wichtigen Ausstellungen<br />

zu platzieren und so möglichst geräusch-<br />

Intellektuell und sexy<br />

los für die Einordnung in kunsthistorische Zusammenhänge<br />

zu sorgen. Sprechen sie selbst über ihr<br />

Tun, dann klingt es ganz einfach. Er sehe sich als eine<br />

Art »Agent«, sagt Kraupa-Tuskany, als jemand, dem<br />

es darum gehe, »die Sachen an den Mann zu bringen,<br />

inhaltlich wie kommerziell«.<br />

Ist es diese Mischung aus intellektuellem Glamour<br />

und der Sexiness unternehmerischer Risikobereitschaft,<br />

die den Galeristen gegenwärtig zur<br />

heimlichen Leitfigur des Betriebs macht? Langsam,<br />

aber sicher hat das Galerist-Sein den freien Kurator<br />

als begehrten Trendjob der Kunstwelt abgelöst.<br />

Colin de Land ist heute cooler als Harald Szeemann.<br />

Der 2003 verstorbene Betreiber der New Yorker<br />

Galerie American Fine Arts ist das role model all jener,<br />

die in ihrem Tun mehr als Kunsthändler sein möchten.<br />

De Land steht nicht für schnelles Geld und ein<br />

Jetset-Leben. Vielmehr steht er für Markt-Distanz<br />

innerhalb desselben sowie für ein integratives Verständnis<br />

der Galerie als eines Ortes, an dem man das,<br />

was Kunst genannt wird, in einer engen Interaktion<br />

zwischen Künstlern, Galeristen, Kritikern und<br />

Sammlern gemeinsam herstellt.<br />

Der Grund für die anhaltende Attraktivität hängt<br />

also mit einem offeneren Begriff dessen zusammen,<br />

was eine Galerie gegenwärtig sein kann und muss.<br />

»Die Rollen im Kunstbetrieb mischen sich immer<br />

mehr, und eine Galerie ist ein sehr flexibles Format«,<br />

sagt Zeidler, die vor ihrem Einstieg in die Galerie als<br />

Kuratorin tätig war. In einer Landschaft zwischen<br />

notorisch unterfinanzierten und wenig risikobereiten<br />

Kunstinstitutionen stellt der Weg ins selbstständige<br />

(und nicht selten selbstausbeuterische)<br />

Unternehmertum oft die einzige Möglichkeit dar,<br />

einer neuen, eigenen Kunst zum Durchbruch zu<br />

verhelfen. Nicht wenige Idealisten haben deswegen<br />

inzwischen die Seiten gewechselt. »Wer früher Kurator<br />

oder Ausstellungsmacher war, ist heute Galerist«,<br />

sagt auch Waling Boers, der in der zweiten<br />

Hälfte der neunziger Jahre den bekannten Berliner<br />

Projektraum Büro Friedrich betrieb und seit 2005<br />

zusammen mit seinem Partner Pi Li die international<br />

erfolgreiche Galerie Boers-Li in Peking führt.<br />

Boers hatte es irgendwann satt, bei lokalen Verwaltungen<br />

um Geld für seinen Projektraum zu betteln.<br />

Die Arbeit als Galerist bedeutet für ihn finanzielle<br />

Unabhängigkeit: »Schwierige Kunst zu popularisieren<br />

– das machen die Galerien heute besser.«<br />

Wie Boers haben die meisten seiner Kollegen ein<br />

Vorleben im Betrieb. In Galerien oder Museen haben<br />

sie das Handwerk gelernt und Kontakte geknüpft.<br />

»Ein gutes Adressbuch ist schon wichtig«, sagt Christine<br />

Heidemann, die in Berlin seit 2009 ihre Galerie<br />

Reception betreibt. Zuvor war die promovierte<br />

Kunsthistorikerin als freie Kuratorin tätig und jobbte<br />

in Galerien. »Es hat mich irgendwann angestrengt,<br />

sich immer wieder an unterschiedliche Orten und<br />

Gegebenheiten anpassen zu müssen.« Sie sei eine<br />

»promovierte Galeristin«, sagt Heidemann und<br />

meint damit die geschmeidige Verbindung von<br />

Marktpräsenz und intellektuellem Anspruch.<br />

Ohne finanzielles Backing – durch Kredite,<br />

Erbschaften oder häufig auch durch stille Teilhaber<br />

– geht es gerade für junge Galerien nicht.<br />

Um am Markt durchzuhalten, braucht man<br />

Startkapital. Und das nicht zu knapp. Ausstellungs-<br />

und Lagerräume müssen gemietet werden,<br />

Computer angeschafft werden; Sammleressen<br />

müssen veranstaltet, Produktionskosten vorfinanziert<br />

werden. Vor allem aber schlagen die<br />

kostspieligen Messebeteiligungen zu Buche. »Auf<br />

Messen zu gehen ist extrem wichtig, um ernst<br />

20. September <strong>2012</strong> <strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong> N o <strong>39</strong> 55<br />

Der Beruf des Galeristen ist der neue Traumjob im Kunstbetrieb. Doch wie wird man einer? VON DOMINIKUS MÜLLER UND KITO NEDO<br />

Agenten der<br />

Kunst: Die<br />

Berliner<br />

Galeristen<br />

Nadine<br />

Zeidler und<br />

Amadeo<br />

Kraupa-<br />

Tuskany<br />

genommen zu werden, auch in ökonomischer<br />

Hinsicht«, berichtet Heidemann. Eine verhältnismäßig<br />

junge und kleine Verkaufsveranstaltung<br />

wie die gerade zu Ende gegangene Berliner ABC<br />

ist mit 4000 Euro Teilnahmegebühr je ausgestelltem<br />

Künstler verhältnismäßig günstig. Für die<br />

Teilnahme auf großen Messen wie der Art Basel<br />

muss man gut und gern das Zehnfache investieren<br />

– wenn man eine der begehrten Zulassungen<br />

bekommt. Gerade in der notorisch klammen<br />

Stadt Berlin verspricht die Kombination aus<br />

Messeteilnahme und Verkäufen über das Internet<br />

den Erfolg: Kontakte knüpft man persönlich,<br />

dann schickt man ein Angebot via E-Mail hinterher.<br />

Im besten Fall beginnen danach die Geräte<br />

zu summen. »Wir haben schon in viele Städte<br />

verkauft«, sagt Kraupa-Tuskany, »aber nach Berlin<br />

bislang noch nichts.«<br />

ZAHL DER WOCHE<br />

20 000<br />

… Objekte hat die Warhol Foundation bei<br />

Christie’s eingeliefert. Die Stiftung trennt<br />

sich von ihrer Sammlung, um den Erlös, der<br />

auf mehr als 100 Millionen Dollar geschätzt<br />

wird, in Künstlerstipendien zu stecken.<br />

Nach einer Auktion in New York im<br />

November werden die meisten Lose von<br />

Februar an online versteigert.<br />

TRAUMSTÜCK<br />

Dürers »Schaustellung<br />

Christi« aus der Großen<br />

Holzschnittpasssion<br />

Ecce homo!<br />

Die Spekulanten haben Albrecht<br />

Dürer noch nicht entdeckt<br />

Kann man sich einen Dürer leisten? Ja, man kann.<br />

Auch in dem überhitzten Kunstmarkt von heute<br />

gibt es Bereiche, in denen erstrangige Werke größter<br />

Künstler zu vergleichsweise moderaten Preisen<br />

gehandelt werden; vielleicht weil sie ein Minimum<br />

an Kenntnis verlangen und sich nicht dekorativ an<br />

Wände hängen lassen. Einer dieser Bereiche ist die<br />

Alte Grafik (ein anderer die Kunst der Antike).<br />

Für die Kölner Auktion am 21. September lobt<br />

Venator & Haunstein eine Reihe von Kupferstichen<br />

und Holzschnitten Albrecht Dürers aus, darunter die<br />

komplette Kupferstichpassion von 1507–13, sechzehn<br />

gut erhaltene Blätter unterschiedlicher, aber stets kontrastreicher<br />

Druckqualität, zu einem Schätzpreis von<br />

15 000 Euro. Es werden aber auch Einzelblätter aus<br />

den beiden anderen Passionszyklen Dürers angeboten,<br />

aus der Kleinen Holzschnittpassion von 1511 und<br />

aus der kunsthistorisch berühmtesten, der Großen<br />

Holzschnittpassion von 1510. Letztere, in ihrem für<br />

die Zeit spek takulären Format von circa <strong>39</strong> mal 28<br />

Zentimetern, zeigen alle staunenswerten Neuerungen<br />

der Dürerschen Holzschnitttechnik, vor allem die<br />

bezwingende Plastizität durch Mitteltonschraffuren.<br />

Es sind Illustrationen zu einem lateinischen Text<br />

des humanistisch gebildeten Mönchs Benedikt<br />

Schwalbe, der die Passion Christi nicht aus der Bibel,<br />

sondern mit zeitgenössischen Nachdichtungen der<br />

Renaissance erzählt – Jesus ist hier vor allem Mensch<br />

mit menschlichen Empfindungen –, und dementsprechend<br />

zeitgenössisch gestaltet Dürer die Szenen<br />

und Figuren. Die Leiden Christi werden so nah wie<br />

möglich gerückt – als lautete das Motto »Jesu, wenn<br />

er heute lebte«. Mein Lieblingsblatt ist Die Schaustellung<br />

Christi, also jene Szene, in der Pontius Pilatus,<br />

der sich ums Urteil drückt, den gefangenen Jesus dem<br />

Volk zeigt, mit den seither geflügelten Worten: »Ecce<br />

homo« – »Seht, ein Mensch!«<br />

Das Blatt, dessen einzige Makel kleine Restaurierungen<br />

und ein Beschnitt des linken Randes<br />

über die Einfassungslinie hinaus sind, wird mit<br />

1200 Euro angeboten. Selbst wenn sich der Schätzpreis<br />

in der Auktion verdoppeln oder verdreifachen<br />

würde, bekäme man noch immer das Meisterwerk<br />

eines der größten Meister der Kunstgeschichte<br />

für eine Summe, für die man auf dem<br />

Schrottplatz der Gegenwartskunst nur ein höhnisches<br />

Lachen hören würde. – Die übrigen Dürer-<br />

Grafiken in der Auktion sind auf 750 bis 2000<br />

Euro geschätzt. JENS JESSEN<br />

Foto: Christoph Neumann für <strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong>/christoph-neumann.com, Kunstwerk im Hintergrund: »Hanging low (bitter sweet), <strong>2012</strong>, von Slavs and Tatars; Abb.: Venator & Hanstein KG

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