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DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

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FEUILLETON<br />

Goethes Mutter, eine modern<br />

gesinnte Frau, pflegte in europäische<br />

Staatsanleihen zu investieren,<br />

aber nachdem ihre<br />

Preußen- und Franzosenbonds<br />

praktisch wertlos geworden waren,<br />

musste der Sohn sie verkaufen – es gab zu<br />

viele Schlösser und Soldaten in den Staaten,<br />

zu viel Krieg und Gier, kurzum: zu viele<br />

Schulden. Es ist ja nicht so, dass etwas Neues<br />

passierte unter der fahlen Krisensonne. Man<br />

gewöhnt sich inzwischen daran, Goethe auch<br />

als finanzpolitischen Zeitgenossen zu behandeln,<br />

den Kritiker des Papiergeldes und<br />

des irren Strebens nach dem Golde, den Moralisten<br />

und Antimodernisten. Faust II: eine<br />

Allegorie des Kapitalismus. Faust I: der Bürger<br />

in totaler Selbstverantwortung. Und alles<br />

geht im Spiele komplett schief, genau wie<br />

heute in echt.<br />

Das Frankfurter Schauspiel sieht den<br />

Turm der Europäischen Zentralbank vor sich,<br />

unten lagert der letzte Trödel der Occupy-Bewegung,<br />

rechts ein Parkhaus, links eine Baustelle,<br />

welche sich »The Riverside Financial<br />

District« nennt. Goethe würde diese Lage vermutlich<br />

»bedeutend« genannt haben. Sie verpflichtet<br />

in diesen Zeiten auch künstlerisch.<br />

Und tatsächlich: Frankfurt strömt gleichsam<br />

in die Neuinszenierungen dieses Doppel-<br />

Faust ein, ins Bühnenbild ebenso wie ins ewig<br />

flackernde Videomaterial: Man sieht die Glasfassaden<br />

und die Trinkhallen, die Porsches<br />

und den Osterspaziergang am Mainufer entlang,<br />

bis der schwarze Königspudel schelmisch<br />

in die Kamera glotzt.<br />

Wie zwei unterschiedliche Tonspuren<br />

folgen die beiden Dramen dem Aus- und<br />

Einatmen dieser Finanzmetropole. Noch<br />

immer recken sich die Schlote der Geldfabriken<br />

in den Himmel, wenngleich nicht mehr<br />

so selbstsicher wie einst. Frankfurt ist die<br />

einzige kapitalistische deutsche Stadt, die zugleich<br />

eine vollkommen antikapitalistische<br />

ist. Stefan Pucher, der jüngere der beiden<br />

Regisseure, Jahrgang 1965, macht aus dem<br />

ersten Faust ein grell bebildertes Roadmovie,<br />

es ist eine urbane Revue, die in einem überdimensionalen<br />

Polyeder stattfindet, immerfort<br />

sich drehend und die Farben wechselnd,<br />

die Spieler durch expressionistisch schräge<br />

Türen drängend und durch Schlupf- und<br />

Mauselöcher. Es ist ein Gewese und Gewusel<br />

durch all die Kicks der Großstadt hindurch,<br />

die einen schlechten Geschmack im Mund<br />

hinterlassen, aber mehr auch nicht.<br />

Selbst dem Mephisto ist das ganze<br />

Unglück ein wenig peinlich<br />

Puchers Faust (Marc Oliver Schulze) tritt<br />

auf als verwahrloster Oberstudienrat aus<br />

dem Frankfurter Nordend. Irgendwie scheint<br />

er ein Zurückgelassener der Kritischen Theorie<br />

zu sein, einer, dem spät, zu spät aufging,<br />

dass sich über der fortgesetzten Adorno-Lektüre<br />

eine große Traurigkeit seines Gemütes<br />

bemächtigte. Mephisto (Alexander Scheer)<br />

sieht demgegenüber aus wie der junge David<br />

Bowie. Er ist die Club-Bekanntschaft, die<br />

immer cooler sein wird als man selbst, der<br />

Smarte, mit dem auf einmal alles möglich<br />

wird, der lang erwartete Grenzüberschreiter,<br />

der Besorger. A walk on the wild side mit einem<br />

niederen Teufel. Mephisto-Scheer vergeigt<br />

die Schüler-Szene, spielt aber passabel<br />

Gitarre. Das Gretchen (Henrike Johanna<br />

Jörissen): Typ fuck doll. Am Ende stehen alle<br />

belämmert da, sogar Mephisto ist das Ganze<br />

ein wenig peinlich. Kurzweilig war diese Affäre<br />

schon, aber es wird davon kaum etwas<br />

im Gedächtnis bleiben.<br />

Pucher macht so etwas wie Moraltheater<br />

für die Jugend. Es handelt vom Egomanen,<br />

der die Krise heraufbeschwor, dem Egoshoo-<br />

Hier wird niemand gerettet<br />

Das Stück zur Krise in der Metropole des Kapitalismus: Frankfurt genehmigt sich den ganzen<br />

»Faust« – und wird, wie sollte es anders sein, nicht warm mit ihm VON THOMAS E. SCHMIDT<br />

ter und Erlebnisjunkie, dem Auskoster, das<br />

Leben abgrasend und auf nichts und niemanden<br />

Rücksicht nehmend. Sind wir nicht alle<br />

ein bisschen Faust? Nicht länger (alter Faust)<br />

sucht er die künstlichen Paradiese in sich, sondern<br />

er wirft die Heroinnadel mit großer Geste<br />

fort und will fortan (verjüngter Faust), dass<br />

sich die Welt für ihn in ein Intensitätskontinuum<br />

verwandelt, wieder nur für sich und auf<br />

Kosten anderer. Ähnlich wie in Bret Easton<br />

Ellis’ American Psycho streift hier ein Investmentbanker<br />

durch die Stadt, Finsteres im<br />

Sinn. Nachdem er den Weiberschoß gekostet<br />

hat, gelüstet es ihn schon wieder nach dem<br />

Mammon. Für die Entsprechung von Begehren<br />

und Geld, Zahlungs- und Geschlechtsverkehr,<br />

gibt es bei Goethe zahllose Prunkzitate.<br />

Alle werden sie bei Pucher herbeideklamiert.<br />

Puchers Faust I ist ein fernsehtauglicher<br />

Calderon, von lulligem Gitarrenrock begleitet<br />

und in Videos getaucht, die oft ziemlich penetrant<br />

nach Robert Wilson aussehen. Mitten<br />

Faust<br />

(Wolfgang<br />

Michael) und<br />

Mephisto<br />

(Constanze<br />

Becker) in<br />

»Faust II«<br />

im Tohuwabohu macht sich das Gefühl von<br />

Belanglosigkeit breit. Es ist ein Theater der<br />

kapitalismuskritischen Gegenreformation.<br />

Wutbürgerkunst ist alles im Herbst <strong>2012</strong>,<br />

in den Romanen, den Filmen und auf dem<br />

Staatstheater auch. Frankfurt feiert seinen großen<br />

Sohn mit einem breit gefächerten Festprogramm.<br />

Im Goethehaus hat gerade eine Goethe<br />

und das Geld betitelte Ausstellung eröffnet.<br />

Ihre Exponate sind karg, ihr geistiger Ertrag<br />

passt in einen kleinen Aufsatz: Er war ein guter<br />

Geschäftsmann und ein skeptischer Zeitgenosse<br />

von Adam Smith. Möchte man, entsprechend<br />

dem Zeitgeist in Wut und Empörung<br />

sich windend, nicht eigentlich lieber so<br />

sein wie er? Distanziert und erfolgreich, statt<br />

den üblichen Verdächtigen zuzuhören, die<br />

mittags um zwei über »Negativität. Die Dialektik<br />

des Fortschritts« schwadronieren?<br />

Altmeister Günter Krämer hat den zweiten<br />

Faust inszeniert. Empörung kommt in dieser Regiearbeit<br />

vielleicht auch zum Ausdruck, aber<br />

plakativ ist sie beileibe nicht. Auch Krämer spürt<br />

dem Ich nach, um eine Erklärung für die Krise<br />

zu finden. Es ist Faust, der die Jetztzeit angerichtet<br />

hat, die in ihrem, mit Goethe gesprochen,<br />

»velociferischen« Fortgang sich selbst auffressende<br />

Moderne, den existenzverschlingenden Kapitalismus,<br />

der scheinbar selbst nicht mehr existieren<br />

will. Genau das verkörpert Krämers agiler<br />

und doch von der ersten Sekunde an seltsam resignierter<br />

Faust (Wolfgang Michael). Krämer<br />

interessiert am Stück eigentlich nur der Helena-<br />

Akt. Ihn inszeniert er aus, dieses gewaltige, klassische<br />

die Zeit, auch die Theaterzeit still stellende<br />

Intermezzo, in dem Faust erotische Erfüllung zuteil<br />

wird. Es ist strenges Schauspiel, so verschieden<br />

von Puchers Arbeit, wie die beiden Teile des<br />

Stücks sich voneinander unterscheiden. Sparsam<br />

das Bühnenbild, doch wirkungsvoll, wenig Musik,<br />

eigentlich sind es nur Klänge, welche die<br />

Sprach-Partitur akzentuieren.<br />

Es gibt kein Glück, und wenn der Augenblick<br />

erfüllt ist, ist er schon über sich hinaus.<br />

20. September <strong>2012</strong> <strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong> N o <strong>39</strong> 51<br />

Faust muss das lernen, Helena, ebenso die Zuschauer.<br />

Die Vereinigung des romantischen<br />

Helden mit der klassischen Schönheit ist von<br />

Dauer nicht. Günter Krämer bettet das Begehren<br />

von vornherein in ein Gewaltgeschehen<br />

ein, lässt es sich im Medium noch stärkerer,<br />

noch tieferer kreatürlicher Bedürfnisse ereignen,<br />

inmitten zerstörerischer, zentrifugaler<br />

Impulse, die mit der brüchigen Bildung des<br />

Ichs zu tun haben und die Zivilisation mit der<br />

blutigen Spur des Fortschritts durchziehen.<br />

Dabei wird die Liebe einfach mitgerissen.<br />

Nein, die Liebe ist nicht die Rettung, niemand<br />

wird hier gerettet. Zerbrechlich stehen die<br />

Körper auf der Bühne, immer bereit umzusinken.<br />

Auch die Erotik ist Moderne – und insofern<br />

krisenhaft geworden.<br />

Entsprechend ist Faust in dieser Inszenierung<br />

keine »Person« mehr, nicht länger der<br />

Gegenstand von Psychologie, sondern Artikulationsfläche<br />

mächtigerer Kräfte, er ist das<br />

Zentrum von hereingebrochenen Katastrophen,<br />

die größer waren als jeder Einzelne,<br />

mochte er ein Titan gewesen sein. Auch Mephisto<br />

(Constanze Becker) ist bloß noch ein<br />

Conferencier. Er zeigt ein Geschehen her, das<br />

ihm irgendwann entglitten ist.<br />

Die schöne Helena (fast immer nackig:<br />

Valery Tscheplanowa) hat hier gar nichts<br />

mehr von griechischer Vollkommenheit. Sie<br />

ist die Auslöserin eines die Welt aufstörenden<br />

Begehrens, und dieses Begehren kann nicht<br />

mehr erwidert, geschweige denn gezügelt<br />

werden. Helena reißt ein körperliches Loch<br />

ins Dasein, und das saugt hernach Phantasmen<br />

in sich ein, Tatkraft, Macht und Ehre,<br />

sämtliche männliche Ich-Prothesen, kurz:<br />

den Irrwitz der Zivilisationsgeschichte, den<br />

ganzen alten Faust.<br />

Goethe war Anschaffer und<br />

Verschwender zugleich<br />

Was sonst so alles im Stück passiert, es muss<br />

hier nicht mehr ausgespielt werden. Ein Bühnenbild<br />

lang – Krämer bringt das Occupy-<br />

Camp kurz aufs Theater – genügt, um zu zeigen,<br />

dass die Faustschen Visionen längst Ereignis<br />

geworden sind. Dieser Faust II zeigt<br />

nicht den scheiternden Kapitalismus, sondern<br />

seine poetische Vorgeschichte. Es geschehen<br />

dabei schöne Momente auf der Bühne, beispielsweise<br />

wenn Faust gegen Ende liebend<br />

mit der Sorge ringt – die zugleich Helena ist.<br />

Oder ganz am Schluss, wenn er sich, blind<br />

und gescheitert, in Zeitlupe die Hosen auszieht<br />

und sich zum Sterben niederlegt. Das ist<br />

beinahe ein barmherziger Augenblick, den<br />

Krämer sich erlaubt. Mag sein, dass danach<br />

die allerletzten Liebesqualen des Teufels noch<br />

immer ironische Wutbürgerkunst bedeuten<br />

wollen. Dann ist es eine äußerst sublimierte.<br />

Kurz vor seinem Ende machte Goethe in<br />

Weimar Kassensturz. Er rechnete zusammen,<br />

was ihm in mehr als achtzig Jahren an Geldern<br />

so zugeflossen war. Die Summe überraschte<br />

ihn. Er hatte mit weniger gerechnet. Noch<br />

mehr überraschte ihn, dass er im Laufe seines<br />

Lebens fast alles wieder ausgegeben hatte. Er<br />

war ein harter Anschaffer und ein Verschwender.<br />

Und er resümierte, dass Geld, viel Geld<br />

nötig war, um diese Persönlichkeit so zu bilden,<br />

wie sie am Ende ausfiel, und ihrem Horizont<br />

eine solche Breite zu verschaffen. In Goethes<br />

Augen dienten all die Taler der eigenen<br />

Vervollkommnung: »Und wie mir’s gefallen, /<br />

Gefall’ ich auch mir.«<br />

Der Dichter opferte seinen Faust den Zeitläuften;<br />

er selbst überlebte in ihnen ganz gut.<br />

Übrigens lieh er später keiner europäischen Nation<br />

mehr Geld, nur dem Zwergstaat noch, in<br />

dem er wohnte. Als Mitglied des Kabinetts hatte<br />

er allerdings auch erheblichen Einfluss auf die<br />

Zahlungswilligkeit seines Schuldners. Das ist eine<br />

Ökonomie, die Sinn bewahrt und Krisen trotzt.<br />

Foto (Ausschnitt): Birgit Hupfeld

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