15.06.2013 Aufrufe

DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Wirkung. Die gewinnen sie, indem sie mit<br />

allem, was sie in die Finger bekommen, herumspielen.<br />

Demnach wäre kein Wissen angeboren –<br />

wohl aber wären es Regeln, wie wir Erfahrungen<br />

ordnen. Was immer uns begegnet,<br />

versuchen wir in ein unbewusstes Schema<br />

von Wahrscheinlichkeiten, Ursache und<br />

Wirkung zu pressen. Was nicht in den<br />

Rahmen passt, bleibt uns verborgen: Immanuel<br />

Kant hat im 17. Jahrhundert genau<br />

das vermutet.<br />

Ja, aber die Kategorien sind nicht starr. Ein<br />

neun Monate altes Baby versteht Wahrscheinlichkeiten<br />

anders als mit 18 Monaten oder als<br />

ein Erwachsener. Im Grunde erforschen Kinder<br />

die Welt, wie Wissenschaftler es tun: Ihre<br />

Theorien verändern sich ständig.<br />

Sehr tröstlich, zu wissen, dass wir einem<br />

Forschungsprojekt beiwohnen, wenn die<br />

Kinder wieder einmal das Haus verwüsten.<br />

Aber konnten Sie als Mutter dreier<br />

Jungen aus solch philosophischer Warte<br />

die Ruhe bewahren?<br />

28<br />

Ich bin sowieso geistesabwesend und desorganisiert.<br />

Das machte es leicht, mit kleinen<br />

Kindern zu leben, während ich gleichzeitig<br />

meine wissenschaftliche Karriere voranzubringen<br />

versuchte. Ich fand das Chaos um<br />

mich herum ganz natürlich. Deutschen mag<br />

das schwererfallen.<br />

Nun ja.<br />

Ein Vorurteil, ich weiß. Aber tatsächlich ist<br />

das Spiel der Kinder höchst rational. Wir<br />

wissen heute, dass ein wenig Unordnung oft<br />

zu besseren Lernergebnissen führt als planvolles<br />

Vorgehen. Wildes Herumprobieren<br />

bewährt sich umso besser, je weniger man<br />

über ein Problem weiß. Kinder und Wissenschaftler<br />

werden dadurch schneller klug als<br />

mit durchdachten Experimenten. Darum<br />

ähnelt der Verstand in den ersten Jahren einer<br />

Laterne – er beleuchtet alles, was ihm<br />

begegnet. Sein einziges Ziel ist es, möglichst<br />

viel über die Welt herauszufinden. Später<br />

dagegen, wenn wir Ergebnisse bringen müssen,<br />

ist die Aufmerksamkeit wie ein Scheinwerfer<br />

gebündelt.<br />

»Feuerdrache« von Leopold, 7 Jahre<br />

Mich erinnert die kindliche Denkweise an<br />

Leonardo da Vinci, der sich von Malerei<br />

über Wasserbau bis hin zur Konstruktion<br />

von Flugmaschinen stets mit einem Dutzend<br />

vertrackter Probleme gleichzeitig<br />

befasste – allerdings die wenigsten seiner<br />

Erkenntnisse praktisch umsetzen konnte.<br />

Steckt in jedem Kind ein Leonardo?<br />

Unbedingt. Wir hören heute andauernd, wie<br />

wichtig es sei, Kinder Konzentration zu lehren.<br />

Allerdings geht Impulskontrolle auf<br />

Kosten der Kreativität. Wir wissen das aus<br />

Untersuchungen an Jazzmusikern. Beim Improvisieren<br />

funktionieren deren Gehirne ganz<br />

anders als beim Spielen vom Blatt: Die Zentren,<br />

die die Aufmerksamkeit fokussieren,<br />

sind heruntergeregelt. Menschen konnten<br />

nur deswegen so viel entdecken, weil ihr Verstand<br />

in der Kindheit diese lange unkontrollierte<br />

Phase durchläuft.<br />

Wann verlieren wir den weiten Blick auf<br />

die Welt?<br />

Das beginnt mit etwa fünf Jahren. Nicht zufällig<br />

ist das meist die Zeit der Einschulung.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!