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DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

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Frau Schwan, was haben Sie aus Ihren<br />

zwei vergeblichen Kandidaturen für das<br />

Amt der Bundespräsidentin gelernt?<br />

Das politische Leben ist wölfisch, man darf<br />

nicht zu vertrauensselig sein. Meine Gegner<br />

haben mich als einsame, ehrgeizige Ziege, als<br />

professoral und abgehoben beschrieben. Das<br />

sind unschöne Bezeichnungen. Viele konnten<br />

mir überhaupt nicht abnehmen, dass ich<br />

wirklich um der Demokratie willen kandidiert<br />

habe. Ich galt als Einzelkämpferin, auch<br />

weil die SPD-Spitze nicht geschlossen hinter<br />

mir stand. Um den Menschen prinzipiell zu<br />

vertrauen, muss man stark genug sein, auch<br />

solche Enttäuschungen zu verkraften. Wenn<br />

ich mich im Übrigen sehr über eine Person<br />

ärgere, sage ich mir: Ist auch ein Gotteskind,<br />

damit musst du umgehen. Dann werde ich<br />

gelassener. Ich habe aber während der Kandidatur<br />

auch überaus viel Zuwendung erlebt,<br />

viele Menschen auf der Straße bedanken sich<br />

noch heute, obwohl sie gar keinen Anlass<br />

haben, mir irgendwas ums Maul zu schmieren.<br />

Und in der SPD gab es natürlich auch<br />

große Unterstützung.<br />

Wie haben Sie die Niederlagen weggesteckt?<br />

Das Gefühl zu verlieren kannte ich aus schwierigeren<br />

Situationen, vor allem von der Krebskrankheit<br />

meines ersten Mannes, und insofern<br />

wusste ich: Das wirft dich nicht aus der Bahn.<br />

Der Tod eines nahestehenden Menschen nach<br />

drei Jahren Krankheit ist ja viel gravierender.<br />

Überdies weckt er fast immer Schuldgefühle,<br />

die man nicht steuern kann.<br />

Warum Schuldgefühle?<br />

Ich war einige Monate vor dem Tod meines<br />

Mannes in eine emotionale Distanz zu ihm<br />

geraten und habe das als einen Akt der Untreue<br />

erlebt. Nachdem ich wie eine Löwin um<br />

sein Überleben gekämpft hatte, war ich erschrocken<br />

über meine innere Unzuverlässigkeit,<br />

dabei ist Verlässlichkeit für mich ein ganz<br />

hoher Wert. Das hat mich in große Verzweiflung<br />

gestürzt. Ich konnte rein gar nichts Positives<br />

mehr sehen, alles war schwarz. Eigentlich<br />

wollte ich nur weg sein, nicht mehr leben,<br />

war ausgebrannt. Ich habe gebetet, aber gedacht,<br />

dieser Gott liebt nicht. Nach außen<br />

habe ich funktioniert, kein Mensch wäre darauf<br />

gekommen, dass ich depressiv bin, ich<br />

war Dekanin, erfolgreich, alles toll. Zu Hause<br />

habe ich geheult. Mein Sohn war damals 14<br />

Jahre, meine Tochter zwölf. Sie spürten das<br />

natürlich, auch wenn ich nie vor ihnen weinte.<br />

Ich muss ganz klar sagen: Der Glaube allei-<br />

54<br />

Das war meine Rettung<br />

»Glaube und<br />

Psychoanalyse«<br />

Gesine Schwan über das Verkraften von<br />

Niederlagen, den Sturz in tiefe<br />

Verzweiflung und ihren Heilungsweg<br />

Gesine Schwan,<br />

69, geboren in Berlin, ist Politikwissenschaftlerin<br />

und prominentes<br />

SPD-Mitglied. 2004 und 2009<br />

kandidierte sie für das Amt der<br />

Bundespräsidentin und scheiterte<br />

beide Male an Horst Köhler. Sie<br />

ist Präsidentin der Humboldt-<br />

Viadrina School of Governance in<br />

Berlin. Schwan ist verheiratet<br />

und hat zwei Kinder aus erster Ehe<br />

Herlinde Koelbl<br />

gehört neben dem Psychologen<br />

Louis Lewitan, Lara Fritzsche<br />

und Ijoma Mangold zu den<br />

Interviewern unserer Gesprächsreihe.<br />

Die renommierte Fotografin<br />

wurde in Deutschland auch<br />

durch ihre Interviews bekannt<br />

ne hätte mir nicht geholfen. Das ist mir schon<br />

wichtig, weil die Gesellschaft nach wie vor<br />

psychische Erkrankungen als Schwäche interpretiert.<br />

Man braucht professionelle Hilfe von<br />

außen. Die Verbindung von Glaube und Psychoanalyse<br />

hat mich gerettet.<br />

Hatten Sie Angst, so krank zu werden wie<br />

Ihre Mutter?<br />

Ja, das war meine Sorge. Meine Mutter war<br />

manisch-depressiv. Meine Gefühle hatten sich<br />

mit einer ganzen Reihe von anderen Problemen<br />

verknotet. Ich wollte zum Beispiel nie<br />

sehen, dass mir Menschen wehtaten, die ich<br />

lieb hatte. Man blendet das aus, und dann<br />

entsteht eine negative Hypothek, die selbstzerstörerisch<br />

werden kann. Diesen psychologischen<br />

Zusammenhang kann man nicht<br />

durch den Glauben oder durch das Lesen von<br />

Psalmen begreifen. Da spielt sich etwas ab,<br />

was man erfühlen muss. Bei der Erinnerung<br />

daran habe ich körperlich reagiert: gezittert,<br />

geweint, völlig spontan. Der Heilungsweg<br />

war für mich insgesamt aber ein schöner Weg,<br />

ich habe nie gelitten in der Analyse.<br />

Wie haben Sie sich verändert?<br />

Ich bin persönlich konfliktfähiger geworden.<br />

Als Kind hatte ich in meiner Familie die Rolle<br />

der Versöhnerin. Ich hatte immer Angst, dass<br />

alles auseinanderfliegt. Wir hatten ein Boot,<br />

und sonnabends segelten wir manchmal auf<br />

dem Tegeler See, sangen viel, auch mehrstimmig,<br />

das machte mir Freude. Aber wenn vier<br />

temperamentvolle Familienmitglieder ein<br />

Wochenende auf einem Boot verbringen,<br />

führt das fast immer zu Krach. Also habe ich,<br />

wenn es mulmig wurde, das Liederbuch auf<br />

den Schoß genommen und gesungen, alle<br />

sollten einstimmen und aufhören zu streiten,<br />

weil ich darunter sehr gelitten habe. Bis heute<br />

ist mir das Glück meiner Familie sehr wichtig.<br />

Das nächste Gala-Dinner und noch eine Auszeichnung<br />

bedeuten mir nicht so viel.<br />

Ihr Gottvertrauen ist geblieben?<br />

Es gibt auch Zweifel, aber wenn ich die Summe<br />

meines Lebens nehme, bin ich darin eher<br />

bestärkt worden. Auch in total harten Momenten<br />

wirst du getragen, du fällst nicht ins<br />

Nichts. Ich weiß, dass der Glaube, bei aller<br />

eigenen Bemühung, letztlich eine Gnade ist.<br />

In Momenten großer Bedrängnis kann man<br />

den lieben Gott schon anrufen, man sollte ihn<br />

nur nicht behelligen, wenn es einigermaßen<br />

gut geht. Aber danken darf man immer.<br />

Interview und Foto von Herlinde Koelbl

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