DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks
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Fotos (Ausschnitte): Vahid Salemi/AP (Teherean, 13.9.<strong>2012</strong>); Alex Trebus für <strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong> (u.)<br />
<strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong>: Frau Ateş, fühlen Sie sich von dem<br />
Film Unschuld der Muslime beleidigt?<br />
Seyran Ateş: Nein. Ich grenze meinen Glauben an<br />
Gott ab von Menschen, die diesen Gott kritisieren.<br />
Ich fühle mich von so einem Film nicht persönlich<br />
angegriffen, sondern kann ihn diskutieren.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Aber müssten Sie als gläubige Muslimin<br />
nicht trotzdem beleidigt sein?<br />
Ateş: Wenn ich jemandem erlaube, mich zu beleidigen,<br />
nehme ich ihn ernst und gebe ihm Macht.<br />
Dass Beleidigungen ausgesprochen werden, heißt<br />
noch lange nicht, dass ich mich getroffen fühle.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Verstehen Sie, dass andere empört sind?<br />
Ateş: Ich weiß, dass es so ist, aber nachvollziehen<br />
kann ich es nicht. Natürlich lehne ich islamfeindliche<br />
Provokationen ab, wie wir sie von Vereinen<br />
wie Pro NRW kennen. Aber dieser Film wird nicht<br />
nur benutzt, um zu beleidigen, sondern auch, um<br />
demonstrativ beleidigt zu sein. Er kann nicht der<br />
wahre Grund der plötzlichen Gewalt sein, denn er<br />
steht ja schon seit sechs Monaten im Netz. Es<br />
kommt mir vor, als ob das Internet durchgescannt<br />
wurde nach einem Anlass für politische Ak tio nen<br />
im Namen des Islams.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Mit welchem Ziel?<br />
Ateş: Das ist die Frage. Woher kommt der extreme<br />
Hass auf den Westen, und wohin führt er? Die<br />
Fundamentalisten wollen Demokratie verhindern<br />
und die gesamte Gesellschaft nach religiösen Regeln<br />
gestalten. Gottes Wort ist ihnen Gesetz. Es<br />
soll auch für das Verhältnis der Bürger un ter einander<br />
gelten. Islamische Fundamentalisten wollen<br />
keine zivile Gesellschaft unabhängig vom Glauben.<br />
Deshalb hassen sie uns.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Die Demonstranten werfen dem Westen<br />
Blasphemie vor. Was heißt das?<br />
Ateş: Blasphemie ist Gotteslästerung und Verächtlichmachung<br />
des Glaubens und des Propheten.<br />
Wer so tiefreligiös ist, dass sein ganzer Alltag vom<br />
Glauben durchsetzt ist, der muss die Beleidigung<br />
Gottes persönlich nehmen und sich dagegen wehren.<br />
Jeder Kritiker des Islams ist für ihn ein Feind,<br />
egal ob die Kritik respektvoll oder respektlos geäußert<br />
wird. Der tiefgläubige Muslim ist verpflichtet,<br />
den Feind zu bestrafen.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Aber muss er ihn töten?<br />
Ateş: Nein. Natürlich nicht. Nur in Pakistan, Saudi-Arabien,<br />
im Iran, in Afghanistan und neuerdings<br />
auch im Sudan steht auf Blasphemie die<br />
Todesstrafe, und sie wird aus dem Koran und den<br />
Hadithen abgeleitet. Aber das ist Auslegungssache.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Was steht denn im Koran?<br />
Ateş: Der Vers 4,89 besagt: »Wenn sie sich abkehren,<br />
dann greift sie und tötet sie, wo immer ihr sie<br />
findet.« Das bezieht sich zunächst auf die sogenannten<br />
Heuchler, aber auch auf Abtrünnige, also<br />
Apostaten. Schließlich wird der Vers kombiniert<br />
mit der neunten Sure, Vers 65/66: »Wolltet ihr<br />
denn über Gott und seine Zeichen und seinen Gesandten<br />
spotten? Entschuldigt euch nicht! Ihr seid<br />
ungläubig geworden, nachdem ihr geglaubt hattet.«<br />
Es gibt also keine Vergebung für diejenigen,<br />
die Gott verspotten. Auch die Sure 33,61: »Verflucht<br />
sind sie. Wo immer man sie trifft, wird man<br />
sie ergreifen und unerbittlich töten«, könnte herangezogen<br />
werden, um Gewalt gegen diejenigen zu<br />
rechtfertigen, die den Islam beleidigen. Also Blasphemie<br />
wird gleichgesetzt mit Unglaube, und Unglaube<br />
gilt als größte Sünde, die ein Mensch auf<br />
sich laden kann. Darauf steht der Tod. Wie gesagt,<br />
man kann das alles auch anders deuten.<br />
<strong>ZEIT</strong>: In der deutschen Rechtsprechung gibt es<br />
nur Rudimente eines Blasphemieverbotes, und<br />
zwar im Strafgesetzbuch.<br />
Ateş: Bei uns ist Gotteslästerung kein Straftatbestand.<br />
Der Strafparagraf 166 regelt, dass Verächtlichmachung<br />
oder Verhöhnung einer Religion dann<br />
strafbar ist, wenn die öffentliche Ordnung gefährdet<br />
wird. Das hat nichts zu tun mit Blasphemie, wie sie<br />
in islamischen Ländern unter Strafe steht. Dort darf<br />
man Gott und seinen Propheten nicht beleidigen.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Die Gerichte berufen sich auf die Scharia.<br />
Ateş: Sie ist das sogenannte islamische Gesetz, aber<br />
kein einheitliches Werk für die gesamte islamische<br />
Welt, wie viele Menschen im Westen irrtümlich<br />
annehmen. Sie besteht zum einen aus religiösen Geboten<br />
und glaubenspraktischen Anweisungen und<br />
unter anderem aus zivilrechtlichen und strafrechtlichen<br />
Normen, inklusive konkreter Sanktionen und<br />
Strafparagrafen. Die Scharia wird in den verschiedenen<br />
Ländern aber ganz unterschiedlich ausgelegt<br />
und praktiziert. Je nach Rechtsschule und politischem<br />
System. Die Sunniten verstehen sie anders als<br />
die Schiiten, die Hanafiten anders als die Malikiten,<br />
um nur einige zu nennen. Der Iran behauptet zwar,<br />
es sei islamisches Recht, dass auf Blasphemie die<br />
Iranische Frauen<br />
protestieren in<br />
Teheran gegen den<br />
Film »Unschuld<br />
der Muslime« am<br />
13. September <strong>2012</strong><br />
»Beleidigt sind nur<br />
Fundamentalisten«<br />
Was heißt hier Blasphemie? Und wem nützt sie? Ein Gespräch mit<br />
der muslimischen Juristin und Menschenrechtlerin Seyran Ateş<br />
Todesstrafe steht. Trotzdem gilt sie in anderen islamisch<br />
geprägten Ländern nicht unbedingt.<br />
<strong>ZEIT</strong>: In der Türkei, Ihrem Herkunftsland, gibt es<br />
keinen Straftatbestand der Blasphemie.<br />
Ateş: Jedenfalls nicht auf Grundlage der Scharia.<br />
Weil die Türkei ein laizistischer Staat ist. Atatürk<br />
hat die Scharia abgeschafft.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Aber damit sind die religiösen Gefühle nicht<br />
abgeschafft, von denen jetzt so viel die Rede ist.<br />
Ateş: Die Abschaffung der Scharia in der Türkei<br />
sollte auch nicht die Re li gion abschaffen, sondern<br />
das weltliche Recht über das Gesetz Gottes stellen.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Was halten Sie davon, den Film Unschuld<br />
der Muslime in Deutschland zu verbieten?<br />
Ateş: Nichts. Es ist fatal, wenn eine Re li gionsgemein<br />
schaft Strafgesetze nötig hat, um sich zu<br />
verteidigen, wenn also ihr Selbstwertgefühl zu<br />
schwach ist, sich in einer freien Gesellschaft zu behaupten.<br />
Unsere deutsche Rechtsprechung ist sehr<br />
vernünftig. Gerade weil wir die Versammlungs-<br />
und Meinungsfreiheit, die Kunst-<br />
und Pressefreiheit so stark machen, findet<br />
Gotteslästerung nur selten statt.<br />
Wenn wir die Aufführung verbieten,<br />
schließen wir uns dem Streit der Extremisten<br />
auf beiden Seiten an. Ich halte es<br />
für besser, ganz demokratisch gegen den<br />
Kirchenverbrechen bleiben Kirchensache<br />
Von dem Kölner Kardinal Joachim Meisner ist die<br />
Anekdote überliefert, wie ihn einmal eine fromme<br />
Muslimin durch tätige Empörung beschämte und<br />
zum Nachdenken über seine eigene Laxheit bei der<br />
Verteidigung des christlichen Glaubens brachte.<br />
Der Kardinal wurde nämlich Zeuge, wie eine Verschleierte<br />
an einem Zeitungskiosk pornografische<br />
Magazine runterriss, und da dachte er bei sich:<br />
Warum habe ich das nicht gemacht?<br />
Vielleicht müsste man sich als katholischer Bischof<br />
mal wieder so richtig über die Kirchenfeinde<br />
aufregen. Vielleicht müsste man die Gotteslästerlichkeit<br />
der westlichen Welt leibhaftig bekämpfen. Viel-<br />
GLAUBEN & ZWEIFELN<br />
leicht würde man dann wieder ernst genommen, ja<br />
gefürchtet, anstatt sich täglich mit unbotmäßigem<br />
Kirchenvolk rumzuschlagen. So denken in diesen<br />
hitzigen Tagen des Blasphemie-Streites wohl manche<br />
Kirchenhierarchen, zumal sie ein weltliches Gesetz<br />
gegen Gotteslästerung für Deutschland fordern.<br />
Muss man Pornomagazine vernichten, um ein<br />
guter Katholik zu sein? Muss man sich empören<br />
über Blasphemie? Muss man nicht, sagen selbst<br />
katho lische Kirchenrechtler. Auf die Beleidigung<br />
religiöser Gefühle etwa durch unzüchtige Magazine<br />
muss man nicht mit heiligem Zorn reagieren. Auch<br />
nicht auf Bilder gekreuzigter Schweine oder Spiel-<br />
Film und dessen Vorführer vorm Kino zu demonstrieren.<br />
So sehen wir die Gesichter der Rassisten<br />
und stehen weiterhin für die Meinungsfreiheit.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Der katholische Schriftsteller Martin Mosebach<br />
fordert, dass Blasphemie auch bei uns strafbar<br />
sein soll. Katholische Bischöfe pflichten ihm bei.<br />
Ateş: Das halte ich für Unsinn. Denn in diesem<br />
Land ist genug Platz für den Glauben. Wo aber Reli<br />
gion nur der Abgrenzung dient, stellt sie sich gegen<br />
die Demokratie. Und wo Re li gion nach Strafen<br />
schreit, beginnt der Krieg gegen die Aufklärung und<br />
gegen jene Freiheiten, von denen hierzulande alle<br />
Kirchen und Glaubensgemeinschaften profitieren.<br />
Auch ihre Wahrheit muss kritisierbar bleiben. Beleidigt<br />
werden kann im Grunde nur der Fundamentalist.<br />
Solchen Fundamentalismus zu bekämpfen<br />
sollte auch Aufgabe der Gläubigen sein.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Und was soll der säkulare Staat tun?<br />
Ateş: Sich raushalten. Nur im Einzelfall, wenn es<br />
Konflikte gibt, soll er entscheiden, welches<br />
Recht hier Vorrang genießt. Dass islamfeindliche<br />
Vereine Mohammed-Karikaturen vor<br />
Moscheen zeigen dürfen, ist unschön, aber<br />
gehört zur Meinungsfreiheit. Der Strafparagraf<br />
166 schützt die öffentliche Ordnung,<br />
nicht die Re li gion. Karikaturen sind in unserer<br />
zivilen Gesellschaft keine Straftat.<br />
filme, in denen eine Christin das Kreuz zum Masturbieren<br />
benutzt – um nur zwei deutsche Fälle aus<br />
jüngster Zeit zu nennen. Denn man kann sich als<br />
Katholik auch an die Devise der europäischen Aufklärung<br />
halten, dass die Idee, Gott müsse von den<br />
Menschen gegen Beleidigung verteidigt werden,<br />
einem kleinlichen und daher unzutreffenden Gottesbild<br />
folgt.<br />
Selbstverständlich gibt es im kanonischen Recht<br />
den Straftatbestand der Blasphemie. Artikel 1369<br />
rechnet sie zu den Kirchenverbrechen: »Wer in einer<br />
Aufführung oder Versammlung oder durch schriftliche<br />
Verbreitung oder sonst unter Benutzung von<br />
<strong>ZEIT</strong>: Es gibt aber Leute, die gern den Seelenfrieden<br />
der Rechtgläubigen stören. Das Satiremagazin Titanic<br />
hat soeben einen Prozess gewonnen, den der<br />
Vatikan gegen das Bild eines besudelten Papstes angestrengt<br />
hatte. Warum ist solche Satire erlaubt?<br />
Ateş: Weil sie ein Teil unseres kritischen Denkens<br />
ist. Wenn wir bös arti ge Kritik verbieten, müssen<br />
wir irgendwann alle Kritik verbieten.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Dürfen religiöse Gefühle also in unserer<br />
Rechtsprechung keine Rolle spielen?<br />
Ateş: Doch. Aber das Recht schützt die Religionsgemeinschaften,<br />
keine Gefühle und keinen Gott.<br />
Das ist ein Beleg unserer Rechtsstaatlichkeit, nicht<br />
Ermunterung zum Schmähen von Glaubenden.<br />
Unser Staat will kein verlängerter Arm einer bestimmten<br />
Religion sein. Obwohl die Bürger dieses<br />
Landes mehrheitlich Christen sind, spielt sich die<br />
Regierung nicht als Wächter über die Unantastbarkeit<br />
des Christengottes auf.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Und was ist mit der Politik?<br />
Ateş: Ich halte es mit Dolf Sternberger, der sagt:<br />
Keine Freiheit den Gegnern der Freiheit, keine Toleranz<br />
den Gegnern der Toleranz. Religiöse Fanatiker<br />
haben vor niemandem außerhalb ihrer Re li gion<br />
Respekt. Sie sind selbstherrlich und größenwahnsinnig,<br />
deshalb darf man sie auch politisch nicht<br />
ernst nehmen. Ihre religiösen Gefühle sind in mei-<br />
SEYRAN ATEŞ wurde 1963 in der Türkei geboren sich für Integration. Sie streitet gegen das<br />
und kam mit sechs Jahren nach Kopftuch und forderte einen Straftatbestand<br />
Berlin. Die Juristin war Mitglied der Zwangsverheiratung. Für ihr Buch »Der<br />
der Islamkonferenz und engagiert Multikulti-Irrtum« wurde sie von radikalen<br />
sozialen Kommunikationsmitteln eine Gotteslästerung<br />
zum Ausdruck bringt, die guten Sitten schwer<br />
verletzt, gegen die Religion oder die Kirche Beleidigungen<br />
ausspricht oder Hass und Verachtung hervorruft,<br />
soll mit einer gerechten Strafe belegt werden.«<br />
Diese Strafe aber ist eine geistliche Strafe, sie hat<br />
keine Entsprechung im weltlichen Recht – und das<br />
ist ein Fortschritt, finden hierzulande selbst Kanonisten.<br />
Religiöse Gefühle sind kein objektivierbares<br />
Kriterium, ihre Verletzung hat deshalb in der Rechtsprechung<br />
einer Demokratie nichts zu suchen. Atheisten<br />
beispielsweise müssen keinen Respekt vor dem<br />
Glau ben zeigen, nur vor der Person des Gläubigen.<br />
20. September <strong>2012</strong> <strong>DIE</strong> <strong>ZEIT</strong> N o <strong>39</strong> 58<br />
nen Augen keine religiösen Gefühle, sondern Ressentiments.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Die Kanzlerin hat die Mohammed-Karikaturen<br />
verteidigt und erntet dafür nun den Hass der<br />
Fanatiker. Hätte die Pfarrerstochter Angela Merkel<br />
gottesfürchtiger sprechen sollen?<br />
Ateş: Nein. Denn sie muss sich an unseren eigenen<br />
Maßstäben orientieren. Sie kann nicht nach den<br />
Maßstäben eines Gottesstaates wie des Irans handeln.<br />
Demokratie darf sich nicht verleugnen. Es<br />
gibt im Westen längst eine fatale Tendenz dazu.<br />
Man knickt vor den Fundamentalisten ein und<br />
warnt stattdessen vor respektloser Religionskritik.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Haben Sie kein Verständnis für eine Politik<br />
der Deeskalation?<br />
Ateş: Nein, weil sie den religiösen Eiferern nützt.<br />
Wir haben mittlerweile eine überspitzte Sensibilität<br />
gegenüber dem Islam. Eine meiner Klientinnen<br />
musste ihren Job als Lehrerin aufgeben, weil es ihr<br />
unmöglich war, die überwiegend muslimischen<br />
Schüler für ihr Verhalten zu kritisieren. Die empfanden<br />
das als Beleidigung. Oder nehmen wir das<br />
Kopftuch. Es wird so gründlich toleriert, dass die<br />
politischen Motive dafür kaum noch Beachtung<br />
finden. Wer es kritisiert, gilt als religionsfeindlich.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Das Kopftuch ist ein religiöses Symbol.<br />
Ateş: Es ist Symbol der Geschlechtertrennung, also<br />
einer politischen Haltung innerhalb der Religion.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Wurden Sie auch schon einmal als Gotteslästerer<br />
beschimpft?<br />
Ateş: Nicht so direkt, aber als Islamfeindin. Ich bin<br />
in der Islamkonferenz angegriffen worden, dass ich<br />
eigentlich keine Muslimin sei.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Wegen Ihrer liberalen Positionen wurden Sie<br />
mehrfach mit dem Tod bedroht. Sie mussten jahrelang<br />
in der Anonymität leben und stehen auch jetzt<br />
unter Personenschutz.<br />
Ateş: Ja, da gab es immer wieder den Vorwurf, ich<br />
würde den Islam beleidigen. Und wenn ich nicht<br />
aufhöre, würde man mich töten. Der entscheidende<br />
Punkt ist, dass die Bedroher meine Bücher nicht lesen<br />
und die Meinungsfreiheit einschränken wollen.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Ärgern Sie sich eigentlich mehr über blasphemische<br />
Filmemacher, die den Hass des Mobs<br />
entsichern, oder über den Hass selbst?<br />
Ateş: Weder – noch. Ich ärgere mich am meisten<br />
über die Masse der Ignoranten, die sich einschüchtern<br />
lassen. Die Provokateure und die Fanatiker<br />
kommen für mich an zweiter und dritter Stelle.<br />
Schlimmer sind die Gleichgültigen, die nicht mitwirken<br />
an der Stärkung unserer Demokratie.<br />
Schlimmer sind die Relativisten, die nicht aufstehen,<br />
um die Meinungsfreiheit zu verteidigen.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Nachdem neulich Salafisten in deutschen<br />
Städten den Koran verteilt haben und dann Christen<br />
die Bibel, beteiligten Sie sich an einer Ak tion<br />
zur Verteilung des Grundgesetzes. Warum?<br />
Ateş: Weil ich Verfassungspatriotin bin. Die Aktion<br />
kam von muslimischen Frauen. Wir wollten<br />
zeigen, dass es auch Muslime gibt, die säkular denken<br />
und sich dem Grundgesetz verpflichtet fühlen.<br />
Für uns ist der Glaube Privatsache. Es muss aufhören,<br />
dass im Westen nur muslimische Kopftuchfrauen<br />
sichtbar sind und dass nur als Muslim<br />
gilt, wer ständig den Koran vor sich herträgt.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Was sagen Sie den Islamophoben, die Ihre<br />
Religion für unaufklärbar halten?<br />
Ateş: Dass das nun wirklich eine Verhöhnung des<br />
Islams ist – aber von der Meinungsfreiheit gedeckt.<br />
Ich würde die Behauptung nie unter Strafe stellen.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Was tun Sie stattdessen gegen Islamhass?<br />
Ateş: Argumente vorbringen und authentisches<br />
Verhalten an den Tag legen. Mich zur Freiheit<br />
bekennen und trotzdem an Allah glauben.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Endlich fällt der Name Allahs. Muss ein<br />
Muslim ihn wirklich nicht gegen Hohn verteidigen?<br />
Ateş: Ich würde erst einmal das Niveau der Verhöhnung<br />
prüfen. Der Film Das Leben des Brian ist<br />
ein Kunstwerk, aber das Video Unschuld der Muslime<br />
ist ein Machwerk. Die Satire von Monty<br />
Python soll die Leute zum Lachen bringen. Das<br />
grottenschlechte Video soll Hass schüren. Aber<br />
Gott ist über den Hass erhaben.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Auch über blasphemische Witze?<br />
Ateş: Das Lachen über etwas, was uns heilig ist,<br />
gehört zu den menschlichen Eigenheiten, die vom<br />
Wunsch eines liebenden Gottes getragen sind.<br />
Daran glaube ich ganz fest. Weder Allah noch der<br />
christliche Gott lassen sich beleidigen. Deshalb<br />
können wir Gläubigen durch Gelassenheit zur Befriedung<br />
der Welt beitragen.<br />
<strong>ZEIT</strong>: Ist Ihnen denn gar nichts heilig?<br />
Ateş: Doch. Ich glaube, dass wir Muslime einen<br />
viel toleranteren Gott haben, als viele denken.<br />
Das Gespräch führte EVELYN FINGER<br />
Muslimen angefeindet. Wegen Todesdrohungen<br />
gab sie zeitweise ihre Anwaltstätigkeit<br />
auf. Zuletzt erschien »Der<br />
Islam braucht eine sexuelle Revolution«<br />
Mag sein, dass der christliche Glaube von der<br />
christlichen Person schwer unterscheidbar ist. Aber<br />
wenn der Staat die Unterscheidung nicht träfe,<br />
müsste er Blasphemie tatsächlich ahnden und<br />
agierte bald als Gesinnungspolizei. Blasphemisch<br />
sind ja nicht nur gewisse Hetzvideos, blasphemisch<br />
ist auch die Meinung, dass es keinen Gott gibt. Das<br />
Überwachen und Strafen finge also bei einem Film<br />
an. Und wo hörte es auf? Vielleicht hätten christliche<br />
Freunde eines weltlichen Blasphemiegesetzes<br />
gern, dass Christen sich wieder mehr aufregen.<br />
Aber Aufregung allein ist kein Glaubensbeweis.<br />
Nein, auch nach dem Kirchenrecht nicht. EF