15.06.2013 Aufrufe

DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Am Morgen des entscheidenden Spieltags ist Donnie Nelson<br />

unser Ersatz für Dirk. Nelson ist General Manager der<br />

Mave ricks und hat Nowitzki 1998 nach Dallas geholt. Er sitzt<br />

in seinem Büro zwischen Papierstapeln, Pokalen und Erinnerungsfotos<br />

und kommt sofort zur Sache. Ungefragt erzählt er,<br />

wie fürchterlich Dirks erstes Jahr hier war. Pfiffe von den Zuschauern,<br />

Schmähungen in den Zeitungen, ligaweiter Spott.<br />

Nelson lehnt sich zurück, er sieht an den Wänden entlang, an<br />

den Sports Illustrated-Titelseiten und Mannschaftsbildern, an<br />

den Pokalen. Plötzlich wirft er völlig ansatzlos ein glitzerndes<br />

Ding in meine Richtung. Nur mit Glück fange ich das Teil.<br />

Nelsons Lachen ist lauter als erwartet. Ich halte einen Meisterring<br />

der Mave ricks in der Hand, Gold und Diamanten, 50 000<br />

Dollar pro Stück. »Ein Test«, sagt Nelson, ich hätte gute Hände.<br />

Was Dirk denn nun wirklich für Dallas bedeutet? Nelson<br />

überlegt keine Sekunde: »Dirk hat Dallas verändert, ökonomisch<br />

und kulturell. Die Mentalität. Er verdient ein Denkmal,<br />

ganz einfach.« Donnie Nelson ist für einen kurzen Moment<br />

ernst. »Mehrere«, sagt er, »Dirk verdient mehrere Denkmäler.«<br />

Als wir die Kabine betreten, befiehlt mir Nelson, mich auf<br />

Dirks Platz zu setzen, auf Dirks riesigen Ledersessel, zwischen<br />

Dirks Socken und Schuhe. Er nimmt sein Trikot mit der 41<br />

vom Bügel und überreicht es mir feierlich. Es ist das Trikot, das<br />

Dirk heute Abend tragen wird. Dirk Nowitzkis Trikot, denke<br />

ich, überrascht von meiner eigenen Feierlichkeit.<br />

Nachmittags dann Holger Geschwindner bei Starbucks:<br />

mad professor, Genie im Flanellhemd, rätselhafter Querkopf,<br />

Entdecker Nowitzkis, Mentor, Freund und – wenn es so etwas<br />

gibt – sein Schöpfer. Vor ihm eine leere Kaffeetasse. Das Spiel<br />

heute Abend scheint ihn nicht nervös zu machen. Er sei hier,<br />

um Dirks Wurf zu korrigieren, wenn nötig. Seit Jahren benutzen<br />

sie ihre eingespielten Zeichen, »höher werfen« und »Finger<br />

auseinander«. Er sei hier, um auf seinem Platz zu sein, wenn<br />

Dirk ihn braucht.<br />

Wenn man sich mit Holger Geschwindner unterhält, ahnt<br />

man, warum Nowitzki schon so lange auf allerhöchstem Niveau<br />

spielt. Man ahnt es, aber man weiß es nicht. Er hat den jugendlichen<br />

Dirk unter seine Fittiche genommen und einen Sieben-<br />

Stufen-Plan zur Erschaffung dessen entwickelt, was Dirk heute<br />

ist. Geschwindners Methode ist ein Komplettpaket aus Mathematik,<br />

Psychologie, Bildung, Disziplin und plausiblem Aberwitz.<br />

Geschwindner war der Kapitän der Olympiamannschaft<br />

1972, hat Physik und Mathematik studiert und wohnt auf einem<br />

Schloss bei Bamberg.<br />

In Gesprächen klappt er bisweilen seinen Rechner auf.<br />

Auf dem Bildschirm bewegt sich dann ein Strichmännchen mit<br />

Dirk Nowitzkis genauen Körperproportionen. Die Winkel-<br />

und Kurvenberechnungen zeigen, wie der ideale Wurf aussieht.<br />

Es geht darum, in welchem Winkel Nowitzki werfen muss, damit<br />

er auch dann trifft, wenn er Fehler macht. Geschwindner<br />

spricht von Basketball als Jazz, von Till Brönner in der Turnhalle,<br />

von Faulkner und Froschsprüngen. Manchmal hält Geschwindner<br />

mitten im Gespräch inne, sieht ins Leere und<br />

schreibt sich einen Gedanken in sein Notizbuch.<br />

Geschwindner fordert einen heraus und will herausgefordert<br />

werden. Er ist sich nicht sicher, ob man über Nowitzki angemessen<br />

schreiben kann. Ob es schon passende Worte gibt für<br />

das, was Dirk seit Jahren tut. Man müsse da eine eigene Sprache<br />

entwickeln. Geschwindner vergleicht Dirk mit einem Extrembergsteiger<br />

und dessen körperlichen und mentalen Anforderungen,<br />

die zu erfassen konventionelle Sätze nicht ausreichen.<br />

»Wenn man mal auf einem Sechstausender war, weiß man, was<br />

das Hirn da veranstaltet«, sagt er. »Das zu beschreiben ist<br />

schwierig. Dirk befindet sich seit Jahren in sehr großen Höhen.<br />

Wer solche Erfahrungen macht, dem fehlen oft die Worte, und<br />

umgekehrt: Worte ohne Erfahrung sind meist zu wenig.«<br />

Ich sehe mich um. Die Kulisse ist beeindruckend und surreal,<br />

Kameras auf dem Spielfeld, alle sechs Ebenen plus Presse-<br />

17

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!