DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks
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Am Morgen des entscheidenden Spieltags ist Donnie Nelson<br />
unser Ersatz für Dirk. Nelson ist General Manager der<br />
Mave ricks und hat Nowitzki 1998 nach Dallas geholt. Er sitzt<br />
in seinem Büro zwischen Papierstapeln, Pokalen und Erinnerungsfotos<br />
und kommt sofort zur Sache. Ungefragt erzählt er,<br />
wie fürchterlich Dirks erstes Jahr hier war. Pfiffe von den Zuschauern,<br />
Schmähungen in den Zeitungen, ligaweiter Spott.<br />
Nelson lehnt sich zurück, er sieht an den Wänden entlang, an<br />
den Sports Illustrated-Titelseiten und Mannschaftsbildern, an<br />
den Pokalen. Plötzlich wirft er völlig ansatzlos ein glitzerndes<br />
Ding in meine Richtung. Nur mit Glück fange ich das Teil.<br />
Nelsons Lachen ist lauter als erwartet. Ich halte einen Meisterring<br />
der Mave ricks in der Hand, Gold und Diamanten, 50 000<br />
Dollar pro Stück. »Ein Test«, sagt Nelson, ich hätte gute Hände.<br />
Was Dirk denn nun wirklich für Dallas bedeutet? Nelson<br />
überlegt keine Sekunde: »Dirk hat Dallas verändert, ökonomisch<br />
und kulturell. Die Mentalität. Er verdient ein Denkmal,<br />
ganz einfach.« Donnie Nelson ist für einen kurzen Moment<br />
ernst. »Mehrere«, sagt er, »Dirk verdient mehrere Denkmäler.«<br />
Als wir die Kabine betreten, befiehlt mir Nelson, mich auf<br />
Dirks Platz zu setzen, auf Dirks riesigen Ledersessel, zwischen<br />
Dirks Socken und Schuhe. Er nimmt sein Trikot mit der 41<br />
vom Bügel und überreicht es mir feierlich. Es ist das Trikot, das<br />
Dirk heute Abend tragen wird. Dirk Nowitzkis Trikot, denke<br />
ich, überrascht von meiner eigenen Feierlichkeit.<br />
Nachmittags dann Holger Geschwindner bei Starbucks:<br />
mad professor, Genie im Flanellhemd, rätselhafter Querkopf,<br />
Entdecker Nowitzkis, Mentor, Freund und – wenn es so etwas<br />
gibt – sein Schöpfer. Vor ihm eine leere Kaffeetasse. Das Spiel<br />
heute Abend scheint ihn nicht nervös zu machen. Er sei hier,<br />
um Dirks Wurf zu korrigieren, wenn nötig. Seit Jahren benutzen<br />
sie ihre eingespielten Zeichen, »höher werfen« und »Finger<br />
auseinander«. Er sei hier, um auf seinem Platz zu sein, wenn<br />
Dirk ihn braucht.<br />
Wenn man sich mit Holger Geschwindner unterhält, ahnt<br />
man, warum Nowitzki schon so lange auf allerhöchstem Niveau<br />
spielt. Man ahnt es, aber man weiß es nicht. Er hat den jugendlichen<br />
Dirk unter seine Fittiche genommen und einen Sieben-<br />
Stufen-Plan zur Erschaffung dessen entwickelt, was Dirk heute<br />
ist. Geschwindners Methode ist ein Komplettpaket aus Mathematik,<br />
Psychologie, Bildung, Disziplin und plausiblem Aberwitz.<br />
Geschwindner war der Kapitän der Olympiamannschaft<br />
1972, hat Physik und Mathematik studiert und wohnt auf einem<br />
Schloss bei Bamberg.<br />
In Gesprächen klappt er bisweilen seinen Rechner auf.<br />
Auf dem Bildschirm bewegt sich dann ein Strichmännchen mit<br />
Dirk Nowitzkis genauen Körperproportionen. Die Winkel-<br />
und Kurvenberechnungen zeigen, wie der ideale Wurf aussieht.<br />
Es geht darum, in welchem Winkel Nowitzki werfen muss, damit<br />
er auch dann trifft, wenn er Fehler macht. Geschwindner<br />
spricht von Basketball als Jazz, von Till Brönner in der Turnhalle,<br />
von Faulkner und Froschsprüngen. Manchmal hält Geschwindner<br />
mitten im Gespräch inne, sieht ins Leere und<br />
schreibt sich einen Gedanken in sein Notizbuch.<br />
Geschwindner fordert einen heraus und will herausgefordert<br />
werden. Er ist sich nicht sicher, ob man über Nowitzki angemessen<br />
schreiben kann. Ob es schon passende Worte gibt für<br />
das, was Dirk seit Jahren tut. Man müsse da eine eigene Sprache<br />
entwickeln. Geschwindner vergleicht Dirk mit einem Extrembergsteiger<br />
und dessen körperlichen und mentalen Anforderungen,<br />
die zu erfassen konventionelle Sätze nicht ausreichen.<br />
»Wenn man mal auf einem Sechstausender war, weiß man, was<br />
das Hirn da veranstaltet«, sagt er. »Das zu beschreiben ist<br />
schwierig. Dirk befindet sich seit Jahren in sehr großen Höhen.<br />
Wer solche Erfahrungen macht, dem fehlen oft die Worte, und<br />
umgekehrt: Worte ohne Erfahrung sind meist zu wenig.«<br />
Ich sehe mich um. Die Kulisse ist beeindruckend und surreal,<br />
Kameras auf dem Spielfeld, alle sechs Ebenen plus Presse-<br />
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