DIE ZEIT 39/2012 - ElectronicsAndBooks
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und Promiboxen sind ausverkauft, geschminkte Dekolletés, das Star-<br />
Spangled Banner, dann das Two-Minute-Warning. Dallas is all in.<br />
Kurz vor dem Sprungball sehe ich Paris grünes Polohemd zwischen<br />
den Spielern herumschwirren. Die Mave ricks spielen, um die Saison<br />
und ihre Ehre zu retten, und er macht Bilder aus allernächster Nähe.<br />
Heute läuft alles über Dirk. Die Halle trägt Blau, sie schwenkt<br />
blaue Handtücher. Sie raunt, wenn er den Ball bekommt, sie brüllt,<br />
wenn er gefoult wird. Die Mavericks isolieren ihn und geben ihm den<br />
Ball, und er wird der Verantwortung gerecht. Er kann ausblenden, dass<br />
die Welt ihn beobachtet. Er liefert ein richtig gutes Spiel ab. Zu Beginn<br />
des letzten Viertels führen die Mavericks mit dreizehn Punkten,<br />
81 : 68, aber dann brechen die Dämme. Oklahoma holt Punkt um<br />
Punkt auf, und kurz vor Schluss gehen sie in Führung. Die Halle wirkt<br />
geschockt. Als Dirk eine halbe Minute vor Schluss per Freiwurf seine<br />
Punkte 33 und 34 erzielt, als der Hallensprecher ein letztes »Dööörk«<br />
durch die Halle ruft und die Uhr unaufhörlich auf das Ende der Saison<br />
zuläuft, wird es still und stiller. Es reicht nicht, Dallas scheidet aus.<br />
Auf dem Weg in die Kabine dann wieder Dirks Pose: die Arme<br />
erhoben, als müsse er sich von den Schlägen erholen. Die Presse folgt<br />
den Spielern in die Kabine, es herrscht betretenes Schweigen. Keine<br />
Fotos, keine Autogrammanfragen. Die Spieler kommen einer nach<br />
dem anderen aus der Dusche, die Pressemeute umkreist sie und stellt<br />
ihre tristen Fragen. Die Spieler tragen Handtücher mit Gummizug<br />
und ihrer Trikotnummer um die Hüften, die Meute treibt von einem<br />
zum anderen durch die Kabine. Als Dirk aus der Dusche kommt, ein<br />
gebückter Held, beißt das Rudel zu. Alle Kameras und Mikrofone auf<br />
Dirk, man kann ihn nicht sehen, aber sein Handtuch fliegt und landet<br />
im Dreckwäschetrog in der Kabinenmitte.<br />
Am Morgen die letzten Gespräche vor der Sommerpause. Die<br />
Mavericks haben das wichtigste Spiel des Jahres verloren. Trainer, Manager<br />
und Spieler treten ein letztes Mal vor die Presse, es liegt Wehmut<br />
in der Luft. Nowitzki antwortet höflich, aber ein paar Fragen klingen<br />
dringlich, als könne er die Lage noch ändern. Auch Kritik ist dabei.<br />
Dann arbeitet sich Dirk Nowitzki die Treppe hoch, ein trauriger Hei-<br />
18<br />
land in T-Shirt und Flipflops. Die Journalisten sehen ihm nach, »here<br />
goes another year of Dirk«, sagt einer.<br />
Aus der Nähe kann man Erleichterung und Erschöpfung in<br />
seinem Gesicht nicht unterscheiden. Dirk Nowitzki sitzt in der Teeküche<br />
der Mave ricks und redet, jetzt hat er Zeit. Gestern Abend hat<br />
er noch Basketball auf Weltniveau gespielt, jetzt ist Sommer. Kurz<br />
seufzt er, die Fragen der Journalisten nach seinen Knien, seinem Alter,<br />
dem Scheitern, seinem Karriereende hallen nach. »Ich mache das<br />
jetzt schon lange genug«, sagt er. »Ein paar von denen muss man<br />
runterkochen, ich gebe da kein Material.« Jemand bringt Wasser, wir<br />
wechseln ins Deutsche. Niemand hört zu. Was er gestern Abend<br />
noch gemacht habe, frage ich. »Gestern Abend habe ich mir Fast<br />
Food reingezogen«, sagt er. Er grinst. Während der Saison isst er kein<br />
rotes Fleisch, trinkt keinen Alkohol und hält sich an Fisch und<br />
Huhn. »Normalerweise wären wir weggegangen. Aber das gestern<br />
kam so schnell und abrupt, ich war einfach nicht in der Lage, noch<br />
Leute zu sehen. Also burger, fries und milkshake. Dann habe ich<br />
noch das andere Spiel gesehen, Spurs gegen Utah.«<br />
Dirk Nowitzki macht Pausen, seine Antworten sind ehrlich, aber<br />
er ist sich immer bewusst, was er zu sagen hat und welche Anekdote<br />
bei welchem Frage stel ler funktioniert. Er sagt: »Interviews und Fotoshoots<br />
und Werbedrehs sind jetzt nicht meine Lieblingsdinge.« Und:<br />
»Wenn ich in ein Restaurant gehe und alle applaudieren, ist mir das<br />
immer noch peinlich.« Wir sprechen über seine Gegensätze, über Texas<br />
und Würzburg, seine neue und seine alte Welt, wo immer noch<br />
vieles so ist wie früher, »es gibt noch den Edeka und das Sonnenstudio«.<br />
Er wohnt tatsächlich noch bei seinen Eltern, erst nach der Meisterschaft<br />
haben sie das Bad umgebaut, sodass er sich jetzt beim Zähneputzen<br />
nicht mehr bücken muss. Wir reden und reden, und<br />
irgendwann kommt die Pressefrau und ruft ihn zum nächsten Termin.<br />
Im Hintergrund hört man seine Mannschaftskollegen krakeelen, es<br />
wird ein Abschiedsbier getrunken.<br />
Um Nowitzkis Bedeutung zu verstehen, muss man weite Kreise<br />
ziehen. Ende August treffe ich Wolf Lepenies, den Soziologen, His-<br />
Der Aufwärmraum der Dallas Mavericks<br />
in den Katakomben der riesigen Arena