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Nietzsche, Friedrich - Di...

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dann lagen die braven Schiffe so ruhig in Einem Hafen und in Einer Sonne, dass es<br />

scheinen mochte, sie seien schon am Ziele und hätten Ein Ziel gehabt. Aber dann trieb uns<br />

die allmächtige Gewalt unserer Aufgabe wieder auseinander, in verschiedene Meere und<br />

Sonnenstriche und vielleicht sehen wir uns nie wieder, − vielleicht auch sehen wir uns<br />

wohl, aber erkennen uns nicht wieder: die verschiedenen Meere und Sonnen haben uns<br />

verändert! Dass wir uns fremd werden müssen, ist das Gesetz über uns: eben dadurch<br />

sollen wir uns auch ehrwürdiger werden! Eben dadurch soll der Gedanke an unsere<br />

ehemalige Freundschaft heiliger werden! Es giebt wahrscheinlich eine ungeheure<br />

unsichtbare Curve und Sternenbahn, in der unsere so verschiedenen Strassen und Ziele als<br />

kleine Wegstrecken einbegriffen sein mögen, − erheben wir uns zu diesem Gedanken!<br />

Aber unser Leben ist zu kurz und unsere Sehkraft zu gering, als dass wir mehr als Freunde<br />

im Sinne jener erhabenen Möglichkeit sein könnten. − Und so wollen wir an unsere<br />

Sternen−Freundschaft glauben, selbst wenn wir einander Erden−Feinde sein müssten.<br />

280.<br />

Architektur der Erkennenden. − Es bedarf einmal und wahrscheinlich bald einmal der<br />

Einsicht, was vor Allem unseren grossen Städten fehlt: stille und weite, weitgedehnte Orte<br />

zum Nachdenken, Orte mit hochräumigen langen Hallengängen für schlechtes oder allzu<br />

sonniges Wetter, wohin kein Geräusch der Wagen und der Ausrufer dringt und wo ein<br />

feinerer Anstand selbst dem Priester das laute Beten untersagen würde: Bauwerke und<br />

Anlagen, welche als Ganzes die Erhabenheit des Sich−Besinnens und Bei−Seitegehens<br />

ausdrücken. <strong>Di</strong>e Zeit ist vorbei, wo die Kirche das Monopol des Nachdenkens besass, wo<br />

die vita contemplativa immer zuerst vita religiosa sein musste: und Alles, was die Kirche<br />

gebaut hat, drückt diesen Gedanken aus. Ich wüsste nicht, wie wir uns mit ihren<br />

Bauwerken, selbst wenn sie ihrer kirchlichen Bestimmung entkleidet würden, genügen<br />

lassen könnten; diese Bauwerke reden eine viel zu pathetische und befangene Sprache, als<br />

Häuser Gottes und Prunkstätten eines überweltlichen Verkehrs, als dass wir Gottlosen hier<br />

unsere Gedanken denken könnten. Wir wollen uns in Stein und Pflanze übersetzt haben,<br />

wir wollen in uns spazieren gehen, wenn wir in diesen Hallen und Gärten wandeln.<br />

281.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Das Ende zu finden wissen. − <strong>Di</strong>e Meister des ersten Ranges geben sich dadurch zu<br />

erkennen, dass sie im Grossen wie im Kleinen auf eine vollkommene Weise das Ende zu<br />

finden wissen, sei es das Ende einer Melodie oder eines Gedankens, sei es der fünfte Act<br />

einer Tragödie oder Staats−Action. <strong>Di</strong>e ersten der zweiten Stufe werden immer gegen das<br />

Ende hin unruhig, und fallen nicht in so stolzem ruhigem Gleichmaasse in's Meer ab, wie<br />

zum Beispiel das Gebirge bei Porto fino − dort, wo die Bucht von Genua ihre Melodie zu<br />

Ende singt.<br />

280. 116

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