26.06.2013 Aufrufe

Nietzsche, Friedrich - Di...

Nietzsche, Friedrich - Di...

Nietzsche, Friedrich - Di...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit,<br />

das Licht der Gestirne braucht Zeit, Thaten brauchen Zeit, auch nachdem sie gethan sind,<br />

um gesehen und gehört zu werden. <strong>Di</strong>ese That ist ihnen immer noch ferner, als die fernsten<br />

Gestirne, − und doch haben sie dieselbe gethan!" − Man erzählt noch, dass der tolle<br />

Mensch des selbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein<br />

Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er<br />

immer nur diess entgegnet: "Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte<br />

und Grabmäler Gottes sind?" −<br />

126.<br />

Mystische Erklärungen. − <strong>Di</strong>e mystischen Erklärungen gelten für tief; die Wahrheit ist,<br />

dass sie noch nicht einmal oberflächlich sind.<br />

127.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Nachwirkung der ältesten Religiosität. − Jeder Gedankenlose meint, der Wille sei das<br />

allein Wirkende; Wollen sei etwas Einfaches, schlechthin Gegebenes, Unableitbares,<br />

An−sich−Verständliches. Er ist überzeugt, wenn er Etwas thut, zum Beispiel einen Schlag<br />

ausführt, er sei es, der da schlage, und er habe geschlagen, weil er schlagen wollte. Er<br />

merkt gar Nichts von einem Problem daran, sondern das Gefühl des Willens genügt ihm,<br />

nicht nur zur Annahme von Ursache und Wirkung, sondern auch zum Glauben, ihr<br />

Verhältniss zu verstehen. Von dem Mechanismus des Geschehens und der hundertfältigen<br />

feinen Arbeit, die abgethan werden muss, damit es zu dem Schlage komme, ebenso von der<br />

Unfähigkeit des Willens an sich, auch nur den geringsten Theil dieser Arbeit zu thun, weiss<br />

er Nichts. Der Wille ist ihm eine magisch wirkende Kraft: der Glaube an den Willen, als an<br />

die Ursache von Wirkungen, ist der Glaube an magisch wirkende Kräfte. Nun hat<br />

ursprünglich der Mensch überall, wo er ein Geschehen sah, einen Willen als Ursache und<br />

persönlich wollende Wesen im Hintergrunde wirkend geglaubt, − der Begriff der<br />

Mechanik lag ihm ganz ferne. Weil aber der Mensch ungeheure Zeiten lang nur an<br />

Personen geglaubt hat (und nicht an Stoffe, Kräfte, Sachen und so weiter), ist ihm der<br />

Glaube an Ursache und Wirkung zum Grundglauben geworden, den er überall, wo Etwas<br />

geschieht, verwendet, − auch jetzt noch instinctiv und als ein Stück Atavismus ältester<br />

Abkunft. <strong>Di</strong>e Sätze "keine Wirkung ohne Ursache", "jede Wirkung wieder Ursache"<br />

erscheinen als Verallgemeinerungen viel engerer Sätze: "wo gewirkt wird, da ist gewollt<br />

worden", "es kann nur auf wollende Wesen gewirkt werden", "es giebt nie ein reines,<br />

folgenloses Erleiden einer Wirkung, sondern alles Erleiden ist eine Erregung des Willens"<br />

(zur That, Abwehr, Rache, Vergeltung), − aber in den Urzeiten der Menschheit waren diese<br />

und jene Sätze identisch, die ersten nicht Verallgemeinerungen der zweiten, sondern die<br />

zweiten Erläuterungen der ersten. − Schopenhauer, mit seiner Annahme, dass Alles, was da<br />

sei, nur etwas Wollendes sei, hat eine uralte Mythologie auf den Thron gehoben; er scheint<br />

nie eine Analyse des Willens versucht zu haben, weil er an die Einfachheit und<br />

Unmittelbarkeit alles Wollens glaubte, gleich Jedermann: − während Wollen nur ein so gut<br />

126. 87

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!