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Nietzsche, Friedrich - Di...

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ich, dass jetzt wieder unter den ehemaligen Bewunderern der Kanzleien ein ähnlicher<br />

Drang nach Vornehmheit des Klanges um sich greift, und dass die Deutschen einem ganz<br />

absonderlichen "Klangzauber" sich zu fügen anfangen, der auf die Dauer eine wirkliche<br />

Gefahr für die deutsche Sprache werden könnte, − denn abscheulichere Klänge sucht man<br />

in Europa vergebens. Etwas Höhnisches, Kaltes, Gleichgültiges, Nachlässiges in der<br />

Stimme: das klingt jetzt den Deutschen "vornehm" − und ich höre den guten Willen zu<br />

dieser Vornehmheit in den Stimmen der jungen Beamten, Lehrer, Frauen, Kaufleute; ja die<br />

kleinen Mädchen machen schon dieses Offizierdeutsch nach. Denn der Offizier, und zwar<br />

der preussische, ist der Erfinder dieser Klänge: dieser selbe Offizier, der als Militär und<br />

Mann des Fachs jenen bewunderungswürdigen Tact der Bescheidenheit besitzt, an dem die<br />

Deutschen allesammt zu lernen hätten (die deutschen Professoren und Musicanten<br />

eingerechnet!). Aber sobald er spricht und sich bewegt, ist er die unbescheidenste und<br />

geschmackwidrigste Figur im alten Europa − sich selber unbewusst, ohne allen Zweifel!<br />

Und auch den guten Deutschen unbewusst, die in ihm den Mann der ersten und<br />

vornehmsten Gesellschaft anstaunen und sich gerne "den Ton von ihm angeben" lassen.<br />

Das thut er denn auch! − und zunächst sind es die Feldwebel und Unteroffiziere, welche<br />

seinen Ton nachahmen und vergröbern. Man gebe Acht auf die Commandorufe, von denen<br />

die deutschen Städte förmlich umbrüllt werden, jetzt wo man vor allen Thoren exerciert:<br />

welche Anmaassung, welches wüthende Autoritätsgefühl, welche höhnische Kälte klingt<br />

aus diesem Gebrüll heraus! Sollten die Deutschen wirklich ein musicalisches Volk sein? −<br />

Sicher ist, dass die Deutschen sich jetzt im Klange ihrer Sprache militarisiren:<br />

wahrscheinlich ist, dass sie, eingeübt militärisch zu sprechen, endlich auch militärisch<br />

schreiben werden. Denn die Gewohnheit an bestimmte Klänge greift tief in den Charakter:<br />

− man hat bald die Worte und Wendungen und schliesslich auch die Gedanken, welche<br />

eben zu diesem Klange passen! Vielleicht schreibt man jetzt schon offiziermäßig; vielleicht<br />

lese ich nur zu wenig von dem, was man jetzt in Deutschland schreibt. Aber Eines weiss<br />

ich um so sicherer: die öffentlichen deutschen Kundgebungen, die auch in's Ausland<br />

dringen, sind nicht von der deutschen Musik inspirirt, sondern von eben jenem neuen<br />

Klange einer geschmackwidrigen Anmaassung. Fast in jeder Rede des ersten deutschen<br />

Staatsmannes und selbst dann, wenn er sich durch sein kaiserliches Sprachrohr vernehmen<br />

lässt, ist ein Accent, den das Ohr eines Ausländers mit Widerwillen zurückweist: aber die<br />

Deutschen ertragen ihn, − sie ertragen sich selber.<br />

105.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

<strong>Di</strong>e Deutschen als Künstler. − Wenn der Deutsche einmal wirklich in Leidenschaft geräth<br />

(und nicht nur, wie gewöhnlich, in den guten Willen zur Leidenschaft!), so benimmt er sich<br />

dann in derselben, wie er eben muss, und denkt nicht weiter an sein Benehmen. <strong>Di</strong>e<br />

Wahrheit aber ist, dass er sich dann sehr ungeschickt und hässlich und wie ohne Tact und<br />

Melodie benimmt, sodass die Zuschauer ihre Pein oder ihre Rührung dabei haben und nicht<br />

mehr: − es sei denn, dass er sich in das Erhabene und Entzückte hinaufhebt, dessen manche<br />

Passionen fähig sind. Dann wird sogar der Deutsche schön! <strong>Di</strong>e Ahnung davon, auf<br />

105. 75

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