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Nietzsche, Friedrich - Di...

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das Wort aus dem Munde genommen und nach einer Melodie abgesungen, bei der sie die<br />

feinen Hände vor die feinen Oehrchen hält − und so giebt es tausend Vergnügungen des<br />

Krieges, die Niederlagen mitgezählt, von denen die Unpoetischen, die sogenannten<br />

Prosa−Menschen, gar Nichts wissen: − diese schreiben und sprechen denn auch nur<br />

schlechte Prosa! Der Krieg ist der Vater aller guten <strong>Di</strong>nge, der Krieg ist auch der Vater der<br />

guten Prosa! − Vier sehr seltsame und wahrhaft dichterische Menschen waren es in diesem<br />

Jahrhundert, welche an die Meisterschaft der Prosa gereicht haben, für die sonst diess<br />

Jahrhundert nicht gemacht ist − aus Mangel an Poesie, wie angedeutet. Um von Goethe<br />

abzusehen, welchen billigerweise das Jahrhundert in Anspruch nimmt, das ihn<br />

hervorbrachte: so sehe ich nur Giacomo Leopardi, Prosper Mérimée, Ralph Waldo<br />

Emerson und Walter Savage Landor, den Verfasser der Imaginary Conversations, als<br />

würdig an, Meister der Prosa zu heissen.<br />

93.<br />

Aber warum schreibst denn du? − A.: Ich gehöre nicht zu Denen, welche mit der nassen<br />

Feder in der Hand denken; und noch weniger zu jenen, die sich gar vor dem offenen<br />

Tintenfasse ihren Leidenschaften überlassen, auf ihrem Stuhle sitzend und auf's Papier<br />

starrend. Ich ärgere oder schäme mich alles Schreibens; Schreiben ist für mich eine<br />

Nothdurft, − selbst im Gleichniss davon zu reden, ist mir widerlich. B.: Aber warum<br />

schreibst du dann? A.: Ja, mein Lieber, im Vertrauen gesagt: ich habe bisher noch kein<br />

anderes Mittel gefunden, meine Gedanken los zu werden. B.: Und warum willst du sie los<br />

werden? A.: Warum ich will? Will ich denn? Ich muss. − B.: Genug! Genug!<br />

94.<br />

Wachsthum nach dem Tode. − Jene kleinen verwegenen Worte über moralische <strong>Di</strong>nge,<br />

welche Fontenelle in seinen unsterblichen Todtengesprächen hinwarf, galten seiner Zeit als<br />

Paradoxien und Spiele eines nicht unbedenklichen Witzes; selbst die höchsten Richter des<br />

Geschmackes und des Geistes sahen nicht mehr darin, − ja, vielleicht Fontenelle selber<br />

nicht. Nun ereignet sich etwas Unglaubliches: diese Gedanken werden Wahrheiten! <strong>Di</strong>e<br />

Wissenschaft beweist sie! Das Spiel wird zum Ernst! Und wir lesen jene <strong>Di</strong>aloge mit einer<br />

anderen Empfindung, als Voltaire und Helvetius sie lasen, und heben unwillkürlich ihren<br />

Urheber in eine andere und viel höhere Rangclasse der Geister, als jene thaten, − mit<br />

Recht? Mit Unrecht?<br />

95.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Chamfort. − Dass ein solcher Kenner der Menschen und der Menge, wie Chamfort, eben<br />

der Menge beisprang und nicht in philosophischer Entsagung und Abwehr seitwärts stehen<br />

blieb, das weiss ich mir nicht anders zu erklären, als so: Ein Instinct war in ihm stärker, als<br />

seine Weisheit, und war nie befriedigt worden, der Hass gegen alle Noblesse des Geblüts:<br />

vielleicht der alte nur zu erklärliche Hass seiner Mutter, welcher durch die Liebe zur<br />

93. 67

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