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Nietzsche, Friedrich - Di...

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hinüberzuziehen. Ich will sagen: sie sind nicht selber die Taxatoren des Glückes und des<br />

Glücklichen, aber sie drängen sich immer in die Nähe dieser Taxatoren, mit der grössten<br />

Neugierde und Lust, sich ihre Schätzungen sofort zu Nutze zu machen. So werden sie, weil<br />

sie ausser ihrer Ungeduld auch die grossen Lungen der Herolde und die Füsse der Läufer<br />

haben, immer auch unter den Ersten sein, die das neue Gute verherrlichen, und oft als <strong>Di</strong>e<br />

erscheinen, welche es zuerst gut nennen und als gut taxiren. <strong>Di</strong>ess aber ist, wie gesagt, ein<br />

Irrthum: sie sind nur geschwinder und lauter, als die wirklichen Taxatoren. − Und wer sind<br />

denn diese? − Es sind die Reichen und die Müssigen.<br />

86.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Vom Theater. − <strong>Di</strong>eser Tag gab mir wieder starke und hohe Gefühle, und wenn ich an<br />

seinem Abende Musik und Kunst haben könnte, so weiss ich wohl, welche Musik und<br />

Kunst ich nicht haben möchte, nämlich alle jene nicht, welche ihre Zuhörer berauschen und<br />

zu einem Augenblicke starken und hohen Gefühls emportreiben möchte, − jene Menschen<br />

des Alltags der Seele, die am Abende nicht Siegern auf Triumphwägen gleichen, sondern<br />

müden Maulthieren, an denen das Leben die Peitsche etwas zu oft geübt hat. Was würden<br />

jene Menschen überhaupt von "höheren Stimmungen" wissen, wenn es nicht<br />

rauscherzeugende Mittel und idealische Peitschenschläge gäbe! − und so haben sie ihre<br />

Begeisterer, wie sie ihre Weine haben. Aber was ist mir ihr Getränk und ihre Trunkenheit!<br />

Was braucht der Begeisterte den Wein! Vielmehr blickt er mit einer Art von Ekel auf die<br />

Mittel und Mittler hin, welche hier eine Wirkung ohne zureichenden Grund erzeugen<br />

sollen, − eine Nachäffung der hohen Seelenfluth! − Wie? Man schenkt dem Maulwurf<br />

Flügel und stolze Einbildungen, − vor Schlafengehen, bevor er in seine Höhle kriecht?<br />

Man schickt ihn in's Theater und setzt ihm grosse Gläser vor seine blinden und müden<br />

Augen? Menschen, deren Leben keine "Handlung", sondern ein Geschäft ist, sitzen vor der<br />

Bühne und schauen fremdartigen Wesen zu, denen das Leben mehr ist, als ein Geschäft?<br />

"So ist es anständig", sagt ihr, "So ist es unterhaltend, so will es die Bildung!" − Nun denn!<br />

So fehlt mir allzuoft die Bildung: denn dieser Anblick ist mir allzuoft ekelhaft. Wer an sich<br />

der Tragödie und Komödie genug hat, bleibt wohl am Liebsten fern vom Theater; oder, zur<br />

Ausnahme, der ganze Vorgang − Theater und Publicum und <strong>Di</strong>chter eingerechnet − wird<br />

ihm zum eigentlichen tragischen und komischen Schauspiel, sodass das aufgeführte Stück<br />

dagegen ihm nur wenig bedeutet. Wer Etwas wie Faust und Manfred ist, was liegt dem an<br />

den Fausten und Manfreden des Theaters! − während es ihm gewiss noch zu denken giebt,<br />

dass man überhaupt dergleichen Figuren aufs Theater bringt. <strong>Di</strong>e stärksten Gedanken und<br />

Leidenschaften vor Denen, welche des Denkens und der Leidenschaft nicht fähig sind −<br />

aber des Rausches! Und jene als ein Mittel zu diesem! Und Theater und Musik das<br />

Haschisch−Rauchen und Betel−Kauen der Europäer! Oh wer erzählt uns die ganze<br />

Geschichte der Narcotica! − Es ist beinahe die Geschichte der "Bildung", der sogenannten<br />

höheren Bildung!<br />

86. 64

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