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Nietzsche, Friedrich - Di...

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Vorsicht im Schliessen, jeder skeptische Hang eine grosse Gefahr für das Leben. Es<br />

würden keine lebenden Wesen erhalten sein, wenn nicht der entgegengesetzte Hang, lieber<br />

zu bejahen als das Urtheil auszusetzen, lieber zu irren und zu dichten als abzuwarten, lieber<br />

zuzustimmen als zu verneinen, lieber zu urtheilen als gerecht zu sein − ausserordentlich<br />

stark angezüchtet worden wäre. − Der Verlauf logischer Gedanken und Schlüsse in<br />

unserem jetzigen Gehirne entspricht einem Processe und Kampfe von Trieben, die an sich<br />

einzeln alle sehr unlogisch und ungerecht sind; wir erfahren gewöhnlich nur das Resultat<br />

des Kampfes: so schnell und so versteckt spielt sich jetzt dieser uralte Mechanismus in uns<br />

ab.<br />

112.<br />

Ursache und Wirkung. − "Erklärung" nennen wir's: aber "Beschreibung" ist es, was uns vor<br />

älteren Stufen der Erkenntniss und Wissenschaft auszeichnet. Wir beschreiben besser, −<br />

wir erklären ebenso wenig wie alle Früheren. Wir haben da ein vielfaches Nacheinander<br />

aufgedeckt, wo der naive Mensch und Forscher älterer Culturen nur Zweierlei sah,<br />

"Ursache" und "Wirkung", wie die Rede lautete; wir haben das Bild des Werdens<br />

vervollkommnet, aber sind über das Bild, hinter das Bild nicht hinaus gekommen. <strong>Di</strong>e<br />

Reihe der "Ursachen" steht viel vollständiger in jedem Falle vor uns, wir schliessen: diess<br />

und das muss erst vorangehen, damit jenes folge, − aber begriffen haben wir damit Nichts.<br />

<strong>Di</strong>e Qualität, zum Beispiel bei jedem chemischen Werden, erscheint nach wie vor als ein<br />

"Wunder", ebenso jede Fortbewegung; Niemand hat den Stoss "erklärt". Wie könnten wir<br />

auch erklären! Wir operiren mit lauter <strong>Di</strong>ngen, die es nicht giebt, mit Linien, Flächen,<br />

Körpern, Atomen, theilbaren Zeiten, theilbaren Räumen −, wie soll Erklärung auch nur<br />

möglich sein, wenn wir Alles erst zum Bilde machen, zu unserem Bilde! Es ist genug, die<br />

Wissenschaft als möglichst getreue Anmenschlichung der <strong>Di</strong>nge zu betrachten, wir lernen<br />

immer genauer uns selber beschreiben, indem wir die <strong>Di</strong>nge und ihr Nacheinander<br />

beschreiben. Ursache und Wirkung: eine solche Zweiheit giebt es wahrscheinlich nie, − in<br />

Wahrheit steht ein continuum vor uns, von dem wir ein paar Stücke isoliren; so wie wir<br />

eine Bewegung immer nur als isolirte Puncte wahrnehmen, also eigentlich nicht sehen,<br />

sondern erschliessen. <strong>Di</strong>e Plötzlichkeit, mit der sich viele Wirkungen abheben, führt uns<br />

irre; es ist aber nur eine Plötzlichkeit für uns. Es giebt eine unendliche Menge von<br />

Vorgängen in dieser Secunde der Plötzlichkeit, die uns entgehen. Ein Intellect, der Ursache<br />

und Wirkung als continuum, nicht nach unserer Art als willkürliches Zertheilt− und<br />

Zerstücktsein, sähe, der den Fluss des Geschehens sähe, − würde den Begriff Ursache und<br />

Wirkung verwerfen und alle Bedingtheit leugnen.<br />

113.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Zur Lehre von den Giften. − Es gehört so viel zusammen, damit ein wissenschaftliches<br />

Denken entstehe: und alle diese nöthigen Kräfte haben einzeln erfunden, geübt, gepflegt<br />

werden müssen! In ihrer Vereinzelung haben sie aber sehr häufig eine ganz andere<br />

Wirkung gehabt als jetzt, wo sie innerhalb des wissenschaftlichen Denkens sich<br />

112. 81

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