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Nietzsche, Friedrich - Di...

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<strong>Di</strong>e Musik als Mittel zur Verdeutlichung, Verstärkung, Verinnerlichung der dramatischen<br />

Gebärde und Schauspieler−Sinnenfälligkeit; und das Wagnerische Drama nur eine<br />

Gelegenheit zu vielen dramatischen Attitüden! Er hatte, neben allen anderen Instinkten, die<br />

commandirenden Instinkte eines grossen Schauspielers, in Allem und Jedem: und, wie<br />

gesagt, auch als Musiker. − <strong>Di</strong>es machte ich einstmals einem rechtschaffenen Wagnerianer<br />

klar, mit einiger Mühe; und ich hatte Gründe, noch hinzuzufügen "seien Sie doch ein<br />

wenig ehrlicher gegen sich selbst: wir sind ja nicht im Theater! Im Theater ist man nur als<br />

Masse ehrlich; als Einzelner lügt man, belügt man sich. Man lässt sich selbst zu Hause,<br />

wenn man in's Theater geht, man verzichtet auf das Recht der eignen Zunge und Wahl, auf<br />

seinen Geschmack, selbst auf seine Tapferkeit, wie man sie zwischen den eignen vier<br />

Wänden gegen Gott und Mensch hat und übt. In das Theater bringt Niemand die feinsten<br />

Sinne seiner Kunst mit, auch der Künstler nicht, der für das Theater arbeitet: da ist man<br />

Volk, Publikum, Heerde, Weib, Pharisäer, Stimmvieh, Demokrat, Nächster, Mitmensch, da<br />

unterliegt noch das persönlichste Gewissen dem nivellirenden Zauber der "grössten Zahl",<br />

da wirkt die Dummheit als Lüsternheit und Contagion, da regiert der "Nachbar", da wird<br />

man Nachbar... " (Ich vergass zu erzählen, was mir mein aufgeklärter Wagnerianer auf die<br />

physiologischen Einwände entgegnete: "Sie sind also eigentlich nur nicht gesund genug für<br />

unsere Musik?"−)<br />

369.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Unser Nebeneinander. − Müssen wir es uns nicht eingestehn, wir Künstler, dass es eine<br />

unheimliche Verschiedenheit in uns giebt, dass unser Geschmack und andrerseits unsre<br />

schöpferische Kraft auf eine wunderliche Weise für sich stehn, für sich stehn bleiben und<br />

ein Wachsthum für sich haben, − ich will sagen ganz verschiedne Grade und tempi von<br />

Alt, Jung, Reif, Mürbe, Faul? So dass zum Beispiel ein Musiker zeitlebens <strong>Di</strong>nge schaffen<br />

könnte, die dem, was sein verwöhntes Zuhörer−Ohr, Zuhörer−Herz schätzt, Schmeckt,<br />

vorzieht, widersprechen: − er brauchte noch nicht einmal um diesen Widerspruch zu<br />

wissen! Man kann, wie eine fast peinlich−regelmässige Erfahrung zeigt, leicht mit seinem<br />

Geschmack über den Geschmack seiner Kraft hinauswachsen, selbst ohne dass letztere<br />

dadurch gelähmt und am Hervorbringen gehindert würde; es kann aber auch etwas<br />

Umgekehrtes geschehn, − und dies gerade ist es, worauf ich die Aufmerksamkeit der<br />

Künstler lenken möchte. Ein Beständig−Schaffender, eine "Mutter" von Mensch, im<br />

grossen Sinne des Wortes, ein Solcher, der von Nichts als von Schwangerschaften und<br />

Kindsbetten seines Geistes mehr weiss und hört, der gar keine Zeit hat, sich und sein Werk<br />

zu bedenken, zu vergleichen, der auch nicht mehr Willens ist, seinen Geschmack noch zu<br />

üben, und ihn einfach vergisst, nämlich stehn, liegen oder fallen lässt, − vielleicht bringt<br />

ein Solcher endlich Werke hervor, denen er mit seinem Urtheile längst nicht mehr<br />

gewachsen ist: so dass er über sie und sich Dummheiten sagt, − sagt und denkt. <strong>Di</strong>es<br />

scheint mir bei fruchtbaren Künstlern beinahe das normale Verhältniss, − Niemand kennt<br />

ein Kind schlechter als seine Eltern − und es gilt sogar, um ein ungeheueres Beispiel zu<br />

nehmen, in Bezug auf die ganze griechische <strong>Di</strong>chter− und Künstler−Welt: sie hat niemals<br />

369. 171

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