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Nietzsche, Friedrich - Di...

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Genügsamkeit um sich und in mich hinein, sodass mich nach Anderem nicht verlangt, ohne<br />

dass ich zu vergleichen oder zu verachten oder zu hassen hätte. Und eines Tages hat es<br />

seine Zeit gehabt: die gute Sache scheidet von mir, nicht als Etwas, das mir nun Ekel<br />

einflösst − sondern friedlich und an mir gesättigt, wie ich an ihm, und wie als ob wir<br />

einander dankbar sein müssten und uns so die Hände zum Abschied reichten. Und schon<br />

wartet das Neue an der Thüre und ebenso mein Glaube − der unverwüstliche Thor und<br />

Weise! − diess Neue werde das Rechte, das letzte Rechte sein. So geht es mir mit Speisen,<br />

Gedanken, Menschen, Städten, Gedichten, Musiken, Lehren, Tagesordnungen,<br />

Lebensweisen. − Dagegen hasse ich die dauernden Gewohnheiten und meine, dass ein<br />

Tyrann in meine Nähe kommt und dass meine Lebensluft sich verdickt, wo die Ereignisse<br />

sich so gestalten, dass dauernde Gewohnheiten daraus mit Nothwendigkeit zu wachsen<br />

scheinen: zum Beispiel durch ein Amt, durch ein beständiges Zusammensein mit den<br />

selben Menschen, durch einen festen Wohnsitz, durch eine einmalige Art Gesundheit. Ja,<br />

ich bin allem meinem Elend und Kranksein, und was nur immer unvollkommen an mir ist,<br />

− im untersten Grunde meiner Seele erkenntlich gesinnt, weil dergleichen mir hundert<br />

Hinterthüren lässt, durch die ich den dauernden Gewohnheiten entrinnen kann. − Das<br />

Unerträglichste freilich, das eigentlich Fürchterliche, wäre mir ein Leben ganz ohne<br />

Gewohnheiten, ein Leben, das fortwährend die Improvisation verlangt: − diess wäre meine<br />

Verbannung und mein Sibirien.<br />

296.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Der feste Ruf. − Der feste Ruf war ehedem eine Sache der äussersten Nützlichkeit; und wo<br />

nur immer die Gesellschaft noch vom Heerden−Instinct beherrscht wird, ist es auch jetzt<br />

noch für jeden Einzelnen am zweckmässigsten, seinen Charakter und seine Beschäftigung<br />

als unveränderlich zu geben, − selbst wenn sie es im Grunde nicht sind. "Man kann sich<br />

auf ihn verlassen, er bleibt sich gleich": − das ist in allen gefährlichen Lagen der<br />

Gesellschaft das Lob, welches am meisten zu bedeuten hat. <strong>Di</strong>e Gesellschaft fühlt mit<br />

Genugthuung, ein zuverlässiges, jederzeit bereites Werkzeug in der Tugend <strong>Di</strong>eses, in dem<br />

Ehrgeize jenes, in dem Nachdenken und der Leidenschaft des Dritten zu haben, − sie ehrt<br />

diese Werkzeug−Natur, diess Sich−Treubleiben, diese Unwandelbarkeit in Ansichten,<br />

Bestrebungen, und selbst in Untugenden, mit ihren höchsten Ehren. Eine solche Schätzung,<br />

welche überall zugleich mit der Sittlichkeit der Sitte blüht und geblüht hat, erzieht<br />

"Charaktere" und bringt alles Wechseln, Umlernen, Sich−Verwandeln in Verruf. <strong>Di</strong>ess ist<br />

nun jedenfalls, mag sonst der Vortheil dieser Denkweise noch so gross sein, für die<br />

Erkenntniss die allerschädlichste Art des allgemeinen Urtheils: denn gerade der gute Wille<br />

des Erkennenden, unverzagt sich jederzeit gegen seine bisherige Meinung zu erklären und<br />

überhaupt in Bezug auf Alles, was in uns fest werden will, misstrauisch zu sein, − ist hier<br />

verurtheilt und in Verruf gebracht. <strong>Di</strong>e Gesinnung des Erkennenden als im Widerspruch<br />

mit dem "festen Rufe" gilt als unehrenhaft, während die Versteinerung der Ansichten alle<br />

Ehre für sich hat: − unter dem Banne solcher Geltung müssen wir heute noch leben! Wie<br />

schwer lebt es sich, wenn man das Urtheil vieler Jahrtausende gegen sich und um sich<br />

296. 123

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