26.06.2013 Aufrufe

Nietzsche, Friedrich - Di...

Nietzsche, Friedrich - Di...

Nietzsche, Friedrich - Di...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

363.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Wie jedes Geschlecht über die Liebe sein Vorurtheil hat. − Bei allem Zugeständnisse,<br />

welches ich dem monogamischen Vorurtheile zu machen Willens bin, werde ich doch<br />

niemals zulassen, dass man bei Mann und Weib von gleichen Rechten in der Liebe rede:<br />

diese giebt es nicht. Das macht, Mann und Weib verstehen unter Liebe jeder etwas<br />

Anderes, − und es gehört mit unter die Bedingungen der Liebe bei beiden Geschlechtern,<br />

dass das eine Geschlecht beim andren Geschlechte nicht das gleiche Gefühl, den gleichen<br />

Begriff "Liebe" voraussetzt. Was das Weib unter Liebe versteht, ist klar genug:<br />

vollkommene Hingabe (nicht nur Hingebung) mit Seele und Leib, ohne jede Rücksicht,<br />

jeden Vorbehalt, mit Scham und Schrecken vielmehr vor dem Gedanken einer<br />

verklausulirten, an Bedingungen geknüpften Hingabe. In dieser Abwesenheit von<br />

Bedingungen ist eben seine Liebe ein Glaube: das Weib hat keinen anderen. − Der Mann,<br />

wenn er ein Weib liebt, will von ihm eben diese Liebe, ist folglich für seine Person selbst<br />

am entferntesten von der Voraussetzung der weiblichen Liebe; gesetzt aber, dass es auch<br />

Männer geben sollte, denen ihrerseits das Verlangen nach vollkommener Hingebung nicht<br />

fremd ist, nun, so sind das eben − keine Männer. Ein Mann, der liebt wie ein Weib, wird<br />

damit Sklave; ein Weib aber, das liebt wie ein Weib, wird damit ein vollkommeneres<br />

Weib... <strong>Di</strong>e Leidenschaft des Weibes, in ihrem unbedingten Verzichtleisten auf eigne<br />

Rechte, hat gerade zur Voraussetzung, dass auf der andren Seite nicht ein gleiches Pathos,<br />

ein gleiches Verzichtleisten−Wollen besteht: denn wenn Beide aus Liebe auf sich selbst<br />

verzichteten, so entstünde daraus − nun, ich weiss nicht was, vielleicht ein leerer Raum? −<br />

Das Weib will genommen, angenommen werden als Besitz, will aufgehn in den Begriff<br />

"Besitz", "besessen"; folglich will es Einen, der nimmt, der sich nicht selbst giebt und<br />

weggiebt, der umgekehrt vielmehr gerade reicher an "sich" gemacht werden soll − durch<br />

den Zuwachs an Kraft, Glück, Glaube, als welchen ihm das Weib sich selbst giebt. Das<br />

Weib giebt sich weg, der Mann nimmt hinzu − ich denke, über diesen Natur−Gegensatz<br />

wird man durch keine socialen Verträge, auch nicht durch den allerbesten Willen zur<br />

Gerechtigkeit hinwegkommen: so wünschenswerth es sein mag, dass man das Harte,<br />

Schreckliche, Räthselhafte, Unmoralische dieses Antagonismus sich nicht beständig vor<br />

Augen stellt. Denn die Liebe, ganz, gross, voll gedacht, ist Natur und als Natur in alle<br />

Ewigkeit etwas "Unmoralisches". − <strong>Di</strong>e Treue ist demgemäss in die Liebe des Weibes<br />

eingeschlossen, sie folgt aus deren Definition; bei dem Manne kann sie leicht im Gefolge<br />

seiner Liebe entstehn, etwa als Dankbarkeit oder als Idiosynkrasie des Geschmacks und<br />

sogenannte Wahlverwandtschaft, aber sie gehört nicht in's Wesen seiner Liebe, − und zwar<br />

so wenig, dass man beinahe mit einigem Recht von einem natürlichen Widerspiel zwischen<br />

Liebe und Treue beim Mann reden dürfte: welche Liebe eben ein Haben−Wollen ist und<br />

nicht ein Verzichtleisten und Weggeben; das Haben−Wollen geht aber jedes Mal mit dem<br />

Haben zu Ende... Thatsächlich ist es der feinere und argwöhnerischere Besitzdurst des<br />

Mannes, der dies "Haben" sich selten und spät eingesteht, was seine Liebe fortbestehn<br />

macht; insofern ist es selbst möglich, dass sie noch nach der Hingebung wächst, − er giebt<br />

nicht leicht zu, dass ein Weib für ihn Nichts mehr "hinzugeben" hätte. −<br />

363. 167

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!