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Nietzsche, Friedrich - Di...

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fühlt! Es ist wahrscheinlich, dass viele Jahrtausende die Erkenntniss mit dem schlechten<br />

Gewissen behaftet war, und dass viel Selbstverachtung und geheimes Elend in der<br />

Geschichte der grössten Geister gewesen sein muss.<br />

297.<br />

Widersprechen können. − Jeder weiss jetzt, dass Widerspruch−Vertragen−können ein<br />

hohes Zeichen von Cultur ist. Einige wissen sogar, dass der höhere Mensch den<br />

Widerspruch gegen sich wünscht und hervorruft, um einen Fingerzeig über seine ihm<br />

bisher unbekannte Ungerechtigkeit zu bekommen. Aber das Widersprechen−Können, das<br />

erlangte gute Gewissen bei der Feindseligkeit gegen das Gewohnte, Ueberlieferte,<br />

Geheiligte, − das ist mehr als jenes Beides und das eigentlich Grosse, Neue, Erstaunliche<br />

unserer Cultur, der Schritt aller Schritte des befreiten Geistes: wer weiss das? −<br />

298.<br />

Seufzer. − Ich erhaschte diese Einsicht unterwegs und nahm rasch die nächsten schlechten<br />

Worte, sie festzumachen, damit sie mir nicht wieder davonfliege. Und nun ist sie mir an<br />

diesen dürren Worten gestorben und hängt und schlottert in ihnen − und ich weiss kaum<br />

mehr, wenn ich sie ansehe, wie ich ein solches Glück haben konnte, als ich diesen Vogel<br />

fieng.<br />

299.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Was man den Künstlern ablernen soll. − Welche Mittel haben wir, uns die <strong>Di</strong>nge schön,<br />

anziehend, begehrenswerth zu machen, wenn sie es nicht sind? − und ich meine, sie sind es<br />

an sich niemals! Hier haben wir von den Aerzten Etwas zu lernen, wenn sie zum Beispiel<br />

das Bittere verdünnen oder Wein und Zucker in den Mischkrug thun; aber noch mehr von<br />

den Künstlern, welche eigentlich fortwährend darauf aus sind, solche Erfindungen und<br />

Kunststücke zu machen. Sich von den <strong>Di</strong>ngen entfernen, bis man Vieles von ihnen nicht<br />

mehr sieht und Vieles hinzusehen muss, um sie noch zu sehen − oder die <strong>Di</strong>nge um die<br />

Ecke und wie in einem Ausschnitte sehen − oder sie so stellen, dass sie sich theilweise<br />

verstellen und nur perspectivische Durchblicke gestatten − oder sie durch gefärbtes Glas<br />

oder im Lichte der Abendröthe anschauen − oder ihnen eine Oberfläche und Haut geben,<br />

welche keine volle Transparenz hat: das Alles sollen wir den Künstlern ablernen und im<br />

Uebrigen weiser sein, als sie. Denn bei ihnen hört gewöhnlich diese ihre feine Kraft auf,<br />

wo die Kunst aufhört und das Leben beginnt; wir aber wollen die <strong>Di</strong>chter unseres Lebens<br />

sein, und im Kleinsten und Alltäglichsten zuerst.<br />

297. 124

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