Nietzsche, Friedrich - Di...
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378.<br />
"Und werden wieder hell". − Wir Freigebigen und Reichen des Geistes, die wir gleich<br />
offnen Brunnen an der Strasse stehn und es Niemandem wehren mögen, dass er aus uns<br />
schöpft: wir wissen uns leider nicht zu wehren, wo wir es möchten, wir können durch<br />
Nichts verhindern, dass man uns trübt, finster macht, − dass die Zeit, in der wir leben, ihr<br />
"Zeitlichstes", dass deren schmutzige Vögel ihren Unrath, die Knaben ihren Krimskrams<br />
und erschöpfte, an uns ausruhende Wandrer ihr kleines und grosses Elend in uns werfen.<br />
Aber wir werden es machen, wie wir es immer gemacht haben: wir nehmen, was man auch<br />
in uns wirft, hinab in unsre Tiefe − denn wir sind tief, wir vergessen nicht − und werden<br />
wieder hell...<br />
379.<br />
Zwischenrede des Narren. − Das ist kein Misanthrop, der dies Buch geschrieben hat: der<br />
Menschenhass bezahlt sich heute zu theuer. Um zu hassen, wie man ehemals den<br />
Menschen gehasst hat, timonisch, im Ganzen, ohne Abzug, aus vollem Herzen, aus der<br />
ganzen Liebe des Hasses − dazu müsste man auf's Verachten Verzicht leisten: − und wie<br />
viel feine Freude, wie viel Geduld, wie viel Gütigkeit selbst verdanken wir gerade unsrem<br />
Verachten! Zudem sind wir damit die "Auserwählten Gottes": das feine Verachten ist unser<br />
Geschmack und Vorrecht, unsre Kunst, unsre Tugend vielleicht, wir Modernsten unter den<br />
Modernen!... Der Hass dagegen stellt gleich, stellt gegenüber, im Hass ist Ehre, endlich: im<br />
Hass ist Furcht, ein grosser guter Theil Furcht. Wir Furchtlosen aber, wir geistigeren<br />
Menschen dieses Zeitalters, wir kennen unsern Vortheil gut genug, um gerade als die<br />
Geistigeren in Hinsicht auf diese Zeit ohne Furcht zu leben. Man wird uns schwerlich<br />
köpfen, einsperren, verbannen; man wird nicht einmal unsre Bücher verbieten und<br />
verbrennen. Das Zeitalter liebt den Geist, es liebt uns und hat uns nöthig, selbst wenn wir<br />
es ihm zu verstehn geben müssten, dass wir in der Verachtung Künstler sind; dass uns<br />
jeder Umgang mit Menschen einen leichten Schauder macht; dass wir mit aller unsrer<br />
Milde, Geduld, Menschenfreundlichkeit, Höflichkeit unsre Nase nicht überreden können,<br />
von ihrem Vorurtheile abzustehn, welches sie gegen die Nähe eines Menschen hat; dass<br />
wir die Natur lieben, je weniger menschlich es in ihr zugeht, und die Kunst, wenn sie die<br />
Flucht des Künstlers vor dem Menschen oder der Spott des Künstlers über den Menschen<br />
oder der Spott des Künstlers über sich selber ist...<br />
380.<br />
<strong>Nietzsche</strong><br />
"Der Wanderer" redet. − Um unsrer europäischen Moralität einmal aus der Ferne ansichtig<br />
zu werden, um sie an anderen, früheren oder kommenden, Moralitäten zu messen, dazu<br />
muss man es machen, wie es ein Wanderer macht, der wissen will, wie hoch die Thürme<br />
einer Stadt sind: dazu verlässt er die Stadt. "Gedanken über moralische Vorurtheile", falls<br />
sie nicht Vorurtheile über Vorurtheile sein sollen, setzen eine Stellung ausserhalb der<br />
Moral voraus, irgend ein Jenseits von Gut und Böse, zu dem man steigen, klettern, fliegen<br />
378. 179