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Nietzsche, Friedrich - Di...

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dass es eine Krankheit ist. Es ist, wie man erräth, nicht der Gegensatz von Subjekt und<br />

Objekt, der mich hier angeht: diese Unterscheidung überlasse ich den<br />

Erkenntnisstheoretikern, welche in den Schlingen der Grammatik (der Volks−Metaphysik)<br />

hängen geblieben sind. Es ist erst recht nicht der Gegensatz von "<strong>Di</strong>ng an sich" und<br />

Erscheinung: denn wir "erkennen" bei weitem nicht genug, um auch nur so scheiden zu<br />

dürfen. Wir haben eben gar kein Organ für das Erkennen, für die "Wahrheit": wir "wissen"<br />

(oder glauben oder bilden uns ein) gerade so viel als es im Interesse der<br />

Menschen−Heerde, der Gattung, nützlich sein mag: und selbst, was hier "Nützlichkeit"<br />

genannt wird, ist zuletzt auch nur ein Glaube, eine Einbildung und vielleicht gerade jene<br />

verhängnissvollste Dummheit, an der wir einst zu Grunde gehn.<br />

355.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Der Ursprung unsres Begriffs "Erkenntniss". − Ich nehme diese Erklärung von der Gasse;<br />

ich hörte jemanden aus dem Volke sagen "er hat mich erkannt" −: dabei fragte ich mich:<br />

was versteht eigentlich das Volk unter Erkenntniss? was will es, wenn es "Erkenntniss"<br />

will? Nichts weiter als dies: etwas Fremdes soll auf etwas Bekanntes zurückgeführt<br />

werden. Und wir Philosophen − haben wir unter Erkenntniss eigentlich mehr verstanden?<br />

Das Bekannte, das heisst: das woran wir gewöhnt sind, so dass wir uns nicht mehr darüber<br />

wundern, unser Alltag, irgend eine Regel, in der wir stecken, Alles und jedes, in dem wir<br />

uns zu Hause wissen: − wie? ist unser Bedürfniss nach Erkennen nicht eben dies<br />

Bedürfniss nach Bekanntem, der Wille, unter allem Fremden, Ungewöhnlichen,<br />

Fragwürdigen Etwas aufzudecken, das uns nicht mehr beunruhigt? Sollte es nicht der<br />

Instinkt der Furcht sein, der uns erkennen heisst? Sollte das Frohlocken des Erkennenden<br />

nicht eben das Frohlocken des wieder erlangten Sicherheitsgefühls sein?... <strong>Di</strong>eser<br />

Philosoph wähnte die Welt "erkannt", als er sie auf die "Idee" zurückgeführt hatte: ach, war<br />

es nicht deshalb, weil ihm die "Idee" so bekannt, so gewohnt war? weil er sich so wenig<br />

mehr vor der "Idee" fürchtete? − Oh über diese Genügsamkeit der Erkennenden! man sehe<br />

sich doch ihre Principien und Welträthsel−Lösungen darauf an! Wenn sie Etwas an den<br />

<strong>Di</strong>ngen, unter den <strong>Di</strong>ngen, hinter den <strong>Di</strong>ngen wiederfinden, das uns leider sehr bekannt ist,<br />

zum Beispiel unser Einmaleins oder unsre Logik oder unser Wollen und Begehren, wie<br />

glücklich sind sie sofort! Denn was bekannt ist, ist "erkannt": darin stimmen sie überein.<br />

Auch die Vorsichtigsten unter ihnen meinen, zum Mindesten sei das Bekannte leicht<br />

ererkennbar als das Fremde; es sei zum Beispiel methodisch geboten, von der "inneren<br />

Welt", von den "Thatsachen des Bewusstseins" auszugehen, weil sie die uns bekanntere<br />

Welt sei! Irrthum der Irrthümer! Das Bekannte ist das Gewohnte; und das Gewohnte ist am<br />

schwersten zu "erkennen", das heisst als Problem zu sehen, das heisst als fremd, als fern,<br />

als "ausser uns" zu sehn... <strong>Di</strong>e grosse Sicherheit der natürlichen Wissenschaften im<br />

Verhältniss zur Psychologie und Kritik der Bewusstseins−Elemente − unnatürlichen<br />

Wissenschaften, wie man beinahe sagen dürfte − ruht gerade darauf, dass sie das Fremde<br />

als Objekt nehmen: während es fast etwas Widerspruchsvolles und Widersinniges ist, das<br />

Nicht−Fremde überhaupt als Objekt nehmen zu wollen...<br />

355. 157

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