Nietzsche, Friedrich - Di...
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15.<br />
Aus der Ferne. − <strong>Di</strong>eser Berg macht die ganze Gegend, die er beherrscht, auf alle Weise<br />
reizend und bedeutungsvoll: nachdem wir diess uns zum hundertsten Male gesagt haben,<br />
sind wir so unvernünftig und so dankbar gegen ihn gestimmt, dass wir glauben, er, der<br />
Geber dieses Reizes, müsse selber das Reizvollste der Gegend sein − und so steigen wir<br />
auf ihn hinauf und sind enttäuscht. Plötzlich ist er selber, und die ganze Landschaft um<br />
uns, unter uns wie entzaubert; wir hatten vergessen, dass manche Grösse, wie manche<br />
Güte, nur auf eine gewisse <strong>Di</strong>stanz hin gesehen werden will, und durchaus von unten, nicht<br />
von oben, − so allein wirkt sie. Vielleicht kennst du Menschen in deiner Nähe, die sich<br />
selber nur aus einer gewissen Ferne ansehen dürfen, um sich überhaupt erträglich oder<br />
anziehend und kraftgebend zu finden; die Selbsterkenntnis ist ihnen zu widerrathen.<br />
16.<br />
Ueber den Steg. − Im Verkehre mit Personen, welche gegen ihre Gefühle schamhaft sind,<br />
muss man sich verstellen können; sie empfinden einen plötzlichen Hass gegen Den,<br />
welcher sie auf einem zärtlichen oder schwärmerischen und hochgehenden Gefühle<br />
ertappt, wie als ob er ihre Heimlichkeiten gesehen habe. Will man ihnen in solchen<br />
Augenblicken wohl thun, so mache man sie lachen oder sage irgend eine kalte scherzhafte<br />
Bosheit: − ihr Gefühl erfriert dabei, und sie sind ihrer wieder mächtig. Doch ich gebe die<br />
Moral vor der Geschichte. − Wir sind uns Einmal im Leben so nahe gewesen, dass Nichts<br />
unsere Freund− und Bruderschaft mehr zu hemmen schien und nur noch ein kleiner Steg<br />
zwischen uns war. Indem du ihn eben betreten wolltest, fragte ich dich: "willst du zu mir<br />
über den Steg?" − Aber da wolltest du nicht mehr; und als ich nochmals bat, schwiegst du.<br />
Seitdem sind Berge und reissende Ströme, und was nur, trennt und fremd macht, zwischen<br />
uns geworfen, und wenn wir auch zu einander wollten, wir könnten es nicht mehr!<br />
Gedenkst du aber jetzt jenes kleinen Steges, so hast du nicht Worte mehr, − nur noch<br />
Schluchzen und Verwunderung.<br />
17.<br />
Seine Armuth motiviren. − Wir können freilich durch kein Kunststück aus einer armen<br />
Tugend eine reiche, reichfliessende machen, aber wohl können wir ihre Armuth schön in<br />
die Nothwendigkeit umdeuten, sodass ihr Anblick uns nicht mehr wehe thut, und wir<br />
ihrethalben dem Fatum keine vorwurfsvollen Gesichter machen. So thut der weise Gärtner,<br />
der das arme Wässerchen seines Gartens einer Quellnymphe in den Arm legt und also die<br />
Armuth motivirt: − und wer hätte nicht gleich ihm die Nymphen nöthig!<br />
18.<br />
<strong>Nietzsche</strong><br />
Antiker Stolz. − <strong>Di</strong>e antike Färbung der Vornehmheit fehlt uns, weil unserem Gefühle der<br />
antike Sclave fehlt. Ein Grieche edler Abkunft fand zwischen seiner Höhe und jener letzten<br />
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