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Nietzsche, Friedrich - Di...

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längeren, tieferen Ruhe fähig sind, als diese; selbst ihre Narcotica wirken langsam und<br />

verlangen Geduld, im Gegensatz zu der widrigen Plötzlichkeit des europäischen Giftes, des<br />

Alkohols.<br />

43.<br />

Was die Gesetze verrathen. − Man vergreift sich sehr, wenn man die Strafgesetze eines<br />

Volkes studirt, als ob sie ein Ausdruck seines Charakters wären; die Gesetze verrathen<br />

nicht Das, was ein Volk ist, sondern Das, was ihm fremd, seltsam, ungeheuerlich,<br />

ausländisch erscheint. <strong>Di</strong>e Gesetze beziehen sich auf die Ausnahmen der Sittlichkeit der<br />

Sitte; und die härtesten Strafen treffen Das, was der Sitte des Nachbarvolkes gemäss ist. So<br />

giebt es bei den Wahabiten nur zwei Todsünden: einen anderen Gott haben als den<br />

Wahabiten−Gott und − rauchen (es wird bei ihnen bezeichnet als "die schmachvolle Art<br />

des Trinkens"). "Und wie steht es mit Mord und Ehebruch?" − fragte erstaunt der<br />

Engländer, der diese <strong>Di</strong>nge erfuhr. "Nun, Gott ist gnädig und barmherzig!" − sagte der alte<br />

Häuptling. − So gab es bei den alten Römern die Vorstellung, dass ein Weib sich nur auf<br />

zweierlei Art tödtlich versündigen könne: einmal durch Ehebruch, sodann − durch<br />

Weintrinken. Der alte Cato meinte, man habe das Küssen unter Verwandten nur desshalb<br />

zur Sitte gemacht, um die Weiber in diesem Puncte unter Controle zu halten; ein Kuss<br />

bedeute: riecht sie nach Wein? Man hat wirklich Frauen, die beim Weine ertappt wurden,<br />

mit dem Tode gestraft: und gewiss nicht nur, weil die Weiber mitunter unter der<br />

Einwirkung des Weines alles Nein−Sagen verlernen; die Römer fürchteten vor Allem das<br />

orgiastische und dionysische Wesen, von dem die Weiber des europäischen Südens<br />

damals, als der Wein noch neu in Europa war, von Zeit zu Zeit heimgesucht wurden, als<br />

eine ungeheuerliche Ausländerei, welche den Grund der römischen Empfindung umwarf;<br />

es war ihnen wie ein Verrath an Rom, wie die Einverleibung des Auslandes.<br />

44.<br />

<strong>Di</strong>e geglaubten Motive. − So wichtig es sein mag, die Motive zu wissen, nach denen<br />

wirklich die Menschheit bisher gehandelt hat: vielleicht ist der Glaube an diese oder jene<br />

Motive, also Das, was die Menschheit sich selber als die eigentlichen Hebel ihres Thuns<br />

bisher untergeschoben und eingebildet hat, etwas noch Wesentlicheres für den<br />

Erkennenden. Das innere Glück und Elend der Menschen ist ihnen nämlich je nach ihrem<br />

Glauben an diese oder jene Motive zu Theil geworden, − nicht aber durch Das, was<br />

wirklich Motiv war! Alles diess Letztere hat ein Interesse zweiten Ranges.<br />

45.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Epikur.− Ja, ich bin stolz darauf, den Charakter Epikur's anders zu empfinden, als irgend<br />

Jemand vielleicht, und bei Allem, was ich von ihm höre und lese, das Glück des<br />

Nachmittags des Alterthums zu geniessen: − ich sehe sein Auge auf ein weites weissliches<br />

Meer blicken, über Uferfelsen hin, auf denen die Sonne liegt, während grosses und kleines<br />

43. 45

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