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Nietzsche, Friedrich - Di...

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liess, versteckt, dort ist es in's Erhabene umgedeutet. Vieles Vage, der Formung<br />

Widerstrebende ist für Fernsichten aufgespart und ausgenutzt worden: − es soll in das<br />

Weite und Unermessliche hinaus winken. Zuletzt, wenn das Werk vollendet ist, offenbart<br />

sich, wie es der Zwang des selben Geschmacks war, der im Grossen und Kleinen herrschte<br />

und bildete: ob der Geschmack ein guter oder ein schlechter war, bedeutet weniger, als<br />

man denkt, − genug, dass es Ein Geschmack ist! − Es werden die starken, herrschsüditigen<br />

Naturen sein, welche in einem solchen Zwange, in einer solchen Gebundenheit und<br />

Vollendung unter dem eigenen Gesetz ihre feinste Freude geniessen; die Leidenschaft ihres<br />

gewaltigen Wollens erleichtert sich beim Anblick aller stilisirten Natur, aller besiegten und<br />

dienenden Natur; auch wenn sie Paläste zu bauen und Gärten anzulegen haben, widerstrebt<br />

es ihnen, die Natur frei zu geben. − Umgekehrt sind es die schwachen, ihrer selber nicht<br />

mächtigen Charaktere, welche die Gebundenheit des Stils hassen: sie fühlen, dass, wenn<br />

ihnen dieser bitterböse Zwang auferlegt würde, sie unter ihm gemein werden müssten: −<br />

sie werden Sclaven, sobald sie dienen, sie hassen das <strong>Di</strong>enen. Solche Geister − es können<br />

Geister ersten Rangs sein − sind immer darauf aus, sich selber und ihre Umgebungen als<br />

freie Natur − wild, willkürlich, phantastisch, unordentlich, überraschend − zu gestalten<br />

oder auszudeuten.− und sie thun wohl daran, weil sie nur so sich selber wohlthun! Denn<br />

Eins ist Noth: dass der Mensch seine Zufriedenheit mit sich erreiche − sei es nun durch<br />

diese oder jene <strong>Di</strong>chtung und Kunst: nur dann erst ist der Mensch überhaupt erträglich<br />

anzusehen! Wer mit sich unzufrieden ist, ist fortwährend bereit, sich dafür zu rächen: wir<br />

Anderen werden seine Opfer sein, und sei es auch nur darin, dass wir immer seinen<br />

hässlichen Anblick zu ertragen haben. Denn der Anblick des Hässlichen macht schlecht<br />

und düster.<br />

291.<br />

<strong>Nietzsche</strong><br />

Genua. − Ich habe mir diese Stadt, ihre Landhäuser und Lustgärten und den weiten<br />

Umkreis ihrer bewohnten Höhen und Hänge eine gute Weile angesehen; endlich muss ich<br />

sagen: ich sehe Gesichter aus vergangenen Geschlechtern, − diese Gegend ist mit den<br />

Abbildern kühner und selbstherrlicher Menschen übersäet. Sie haben gelebt und haben<br />

fortleben wollen − das sagen sie mir mit ihren Häusern, gebaut und geschmückt für<br />

Jahrhunderte und nicht für die flüchtige Stunde: sie waren dem Leben gut, so böse sie oft<br />

gegen sich gewesen sein mögen. Ich sehe immer den Bauenden, wie er mit seinen Blicken<br />

auf allem fern und nah um ihn her Gebauten ruht und ebenso auf Stadt, Meer und<br />

Gebirgslinien, wie er mit diesem Blick Gewalt und Eroberung ausübt. Alles diess will er<br />

seinem Plane einfügen und zuletzt zu seinem Eigenthum machen, dadurch dass es ein<br />

Stück desselben wird. <strong>Di</strong>ese ganze Gegend ist mit dieser prachtvollen unersättlichen<br />

Selbstsucht der Besitz− und Beutelust überwachsen; und wie diese Menschen in der Ferne<br />

keine Grenze anerkannten und in ihrem Durste nach Neuem eine neue Welt neben die alte<br />

hinstellten, so empörte sich auch in der Heimat immer noch jeder gegen jeden und erfand<br />

eine Weise, seine Ueberlegenheit auszudrücken und zwischen sich und seinen Nachbar<br />

seine persönliche Unendlichkeit dazwischen zu legen. Jeder eroberte sich seine Heimat<br />

291. 120

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